Im Sommer 2017 haben wir gemeinsam mit diesem Blog die Urban Energy Talks #UET2017 veranstaltet. Die Teilnehmer haben die interaktive Diskussionsrunde genutzt, um die unterschiedlichen Aspekte der Energiewende in der Stadt zu erörtern und intensiv zu „netzwerken“. Ein halbes Jahr nach der Veranstaltung wollten wir wissen, was sich in den unterschiedlichen Disziplinen hinsichtlich der Energiewende in der Stadt getan hat. Dazu haben wir bei der Keynote-Speakerin Chirine Etezadzadeh und den Panelleitern Kai Mainzer, Simon Becker und Stephan Anders nachgefragt.
Stiftung Energie & Klimaschutz: Chirine, bei der Energiewende in der Stadt, liest man häufig von tollen Ideen und man hat manchmal den Eindruck, dass viele davon nicht umgesetzt werden. Woran scheitern die Projekte?
Für viele Projekte fehlen schlicht die Geschäftsmodelle. Warum fehlen sie? Die Entwicklung von kundenzentrierten Lösungen mit tragfähigen Finanzierungskonzepten erfordern Zeit, Hingabe und Kooperation. Wir brauchen Menschen, die sich für die Umsetzung dieser Vorhaben einsetzen. Dafür benötigen wir Gründer oder Manager, die die Möglichkeit dazu haben, sich mit spezifischen gesellschaftlichen, technischen und finanziellen Fragestellungen unter geeigneten Arbeitsbedingungen zu befassen. Es müssen neue Lösungsansätze entwickelt und getestet werden. Einige davon werden scheitern, weil sie nicht funktionieren oder nicht finanzierbar sind, andere werden reüssieren und uns weiterbringen. Aktuell geht es darum, den gesamtgesellschaftlichen Innovationsprozess zu stimulieren, zu beschleunigen und qualitativ zu erhöhen. Für diese schöpferische Kultur müssen wir in Deutschland geeignete Voraussetzungen schaffen.
Im November hast du die Smart-City-Community in Deutschland zusammengeführt. Was waren deine zentralen Erkenntnisse und wie geht es mit der Community nun weiter?
Die Blisscity ist die erste Smart City Convention in Deutschland. Die zweitätige Kick-off-Veranstaltung im Rahmen der Hypermotion war sehr erfolgreich und ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wir versuchen, mit unseren Aktivitäten alle urbanen Akteursgruppen zusammenzuführen und zu einem Dialog zu bewegen. Das tun wir durchaus mit Blick auf die deutsche Industrie, deutsche Gründer und zukünftige Geschäftsmodelle, aber eben unter Berücksichtigung der vielfältigen Bedarfe der Stadtbewohner und unserer natürlichen Umwelt. In 2018 werden wir die Community durch gezielte Aktivitäten zusammenhalten, festigen und ausbauen. Weiterführende Informationen gibt es auf unserem YouTube-Channel oder auf SmartCityNews.global.
Beim Thema Energiewende in der Stadt denkt natürlich jeder sofort an die Erzeugung aus Photovoltaik und Wind. Aus diesem Themengebiet diskutierte Kai Mainzer bei den Urban Energy Talks.
Stiftung Energie & Klimaschutz: Kai, bei den UET2017 hast du berichtet, dass damit Kommunen das Potenzial für Solaranlagen oder Energieeffizienz besser erkennen können, entsprechende Software-Tools benötigt werden. Gibt es hier über Fortschritte zu berichten?
Hierzu habe ich ein entsprechendes Tool entwickelt: „Renewable Energies and Energy Efficiency Analysis and System OptimizatioN Model – RE3ASON“. In der Zwischenzeit konnten wir es bereits bei der Entwicklung des Energiekonzepts für Ebenhausen, eine kleine Gemeinde in Baden-Württemberg, einsetzen.
Welche neuen Trends gibt es in der Forschung rund um innovative Ansätze zur Entwicklung von städtischen Energiekonzepten und woran arbeitest du aktuell?
Seit den UET ist eine Veröffentlichung zu meiner Methodik für die Potenzialermittlung von Photovoltaik in Städten erschienen. Aktuell arbeite ich primär an der Finalisierung meiner Doktorarbeit. Aber ich habe einige Überlegungen für die Zukunft.
Auf Basis meiner Wärmebedarfskartierungen in der Stadt möchte ich mich mit der automatisierten Planung des Fernwärme-Netzausbaus auseinandersetzen. Als potenzielle Wärmequelle für die Fernwärmenetze wäre dann noch das Potenzial der Biomasse interessant. Und ggfs. werde ich die Solar-Potenzialermittlung noch verbessern, indem ich neuronale Netzwerke einsetze, um den Schattenwurf von Gebäuden zu analysieren.
Eine völlig andere Disziplin, an die man beim Thema Energiewende im ersten Moment nicht sofort denkt, vertritt Simon Becker. Gründer von CABIN SPACEY – ein Start-up aus Berlin, das eine konkrete Möglichkeit zum „neuen“ Wohnen anbietet.
Stiftung Energie & Klimaschutz: Simon, bei den UET wurde – teilweise auch sehr emotional – über neue Wohnformen gesprochen. Wo steht das Start-up aktuell? Wann können die ersten Cabins gebucht werden?
Im Moment stecken wir mitten im Bau unseres Prototyps und werden diesen auf ein Dach in Berlin stellen. Sobald das passiert ist, feiern wir diesen großen Schritt erstmal ordentlich und geben die Cabin raus an die Öffentlichkeit! Daher planen wir unsere Topping Out Party und geben Bescheid, sobald der Termin steht. Im gleichen Schritt wird die Plattform vorgestellt und die ersten Cabins sowie andere Minimalhäuser zum Bewohnen darauf freigeschaltet. CABIN SPACEY beginnt mit Berlin und Deutschland, aber gedacht wird weltweilt. Bald soll es möglich sein, auch mal während einer Konferenz in Lissabon oder des Projekts in San Francisco in einer Cabin zu wohnen. Wir bleiben gespannt wie es konkret weitergeht und was uns noch so einfällt. Wir hoffen ihr auch.
Man liest immer häufiger von ähnlichen Lösungen. Kann man sagen, euer Konzept hat sich durchgesetzt?
CABIN SPACEY‘s Ziel ist es ein Angebot für eine Nachfrage zu generieren. Laut einer Studie wünschen sich 90% der Millenials mehr Flexibilität im Job sowie privat. Wir werden einfach zugänglichen und flexiblen Erlebniswohnraum erschaffen an außergewöhnlichen Orten für genau jene Menschen. Dafür benutzen wir ein Angebot das bisher ungenutzt bleibt – leere Dachflächen. Die Cabins sind außerdem ökologisch nachhaltig und erzeugen ein angenehmes Wohnklima. Darüber hinaus erweitern wir das Konzept um neue Technologien, so dass wir digitalen Nomaden neben Wohnraum auch einen Arbeitsplatz anbieten können. Wir sind davon überzeugt, dass diese Option trotz ihrer Wichtigkeit noch nicht ausreichend verfügbar ist.
Wenn wir schon mal beim Wohnen sind: Wie steht es mit der Stadtplanung? Hierzu gab Stephan Anders von der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) einen Überblick.
Stiftung Energie & Klimaschutz: Stephan, in der Diskussion wurde deutlich, dass Stadtplanung und Energiewende Hand in Hand gehen. Hast du inzwischen eine Musterstadt oder Musterquartier starten können?
Eine Stadt wird nicht von heute auf morgen gebaut. Dazu bedarf es, unserer Meinung nach, einem intensiven Beteiligungsprozess der diejenigen einbindet die später dort leben möchten bzw. davon betroffen sind. Aber ja – wir haben seither verschiedene Projektentwickler und Kommunen unterstützt ihre Projekte in Richtung Nachhaltigkeit auszurichten. So wurde jüngst das Quartier „Urbane Mitte“ direkt am Park Gleisdreieck in Berlin von uns ausgezeichnet. Auch sind wir derzeit in China sehr aktiv, wo unser Wissen zum nachhaltigen Bauen vermehrt nachgefragt wird.
Welche neuen Impulse konnte dir die Diskussion mit Architekten, Planern, Ingenieuren und Querdenkern bei den UET2017 für den Berufsalltag bieten?
Um wirklich nachhaltige und integral gedachte Projekte umzusetzen, müssen wir die Silos zwischen den Disziplinen aufbrechen. Warum sollte beispielsweise eine Überflutungsfläche nur dem Hochwasserschutz dienen und nicht auch als attraktiver Landschaftspark und Fläche zum Anbau von Energiepflanzen verwendet werden? Die Diskussion beim UET hilft dabei, den integralen Ansatz zu fördern und neue Sichtweisen einzunehmen.
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