Fukushima und Stuttgart – prägende Ereignisse für die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Suche nach einem Endlager

Ina Stelljes, Jörg Ohlsen und Jörg Ottmann

BASE, Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung

Die Autor*innen dieses Beitrags Ina Stelljes, Jörg Ohlsen, Jörg Ottmann sind Mitwirkende des BASE, das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Das BASE hat im März 2021 einen Fachbericht veröffentlicht, anlässlich des 10. Jahrestag des katastrophalen Unfalls von Fukushima. Der komplette Fachbericht ist auf der Website des BASE verfügbar. Einen Auszug zum Thema Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Endlagersuche stellt das BASE mit diesem Gastbeitrag zur Verfügung.

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24. März 2021

Das Unglück von Fukushima jährt sich nun zum zehnten Mal. Aus diesem Anlass haben wir als Blog-Redaktion Expertinnen und Experten als Gastautor*innen eingeladen, ihre Themen rund um den Ausstieg aus der Kernenergie vorzustellen: Wie können Fachkräfte qualifiziert werden? Wie erfolgt die Nachwuchssicherung in Fragen des Rückbaus? Welche Herausforderungen gilt es beim Thema Rückbau zu lösen und welche Fortschritte und Erfolge wurden erzielt? Antworten auf diese und weitere Fragen finden sich in diesem und weiteren Gastbeiträgen unter dem Hashtag #Kernenergie. In unserem heutigen Beitrag publizieren Ina Stelljes, Jörg Ohlsen und Jörg Ottmann vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.

2011 – das Jahr, in dem sich zwei für die Endlagersuche und Öffentlichkeitsbeteiligung wichtige Ereignisse überschneiden. Nur wenige Monate nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschließt der Deutsche Bundestag den zweiten Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie. Mit dem Ausstieg löst sich ein zentraler gesellschaftlicher Konfliktknoten:

Wurde unter Atomkraftgegnern das Erkundungsbergwerk Gorleben und damit die Endlagerung als Garant für die Zukunft einer umstrittenen Atomtechnologie verstanden, steht mit dem Ausstieg endlich die bis dahin ungelöste Sicherheitsfrage nach dem Verbleib der entstandenen hochgefährlichen Hinterlassenschaften im Mittelpunkt. Es geht nicht mehr um das Für und Wider der Atomenergie, sondern um die dauerhafte Sicherheit für heute und die nachfolgenden Generationen. Dieser Meilenstein veränderte das gesellschaftliche Klima und löste eine Bereitschaft aus, das Thema Endlagerung neu anzugehen und zu reflektieren, auch vor dem Hintergrund der Fehler der Vergangenheit.

Zweites Ereignis, gleiches Jahr

Mit dem Referendum zum umstrittenen Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kündigte die Bundesregierung im November 2011 einen Gesetzesentwurf an. Sie setze sich dafür ein, heißt es in einer offiziellen Erklärung, frühzeitige Bürgerbeteiligung und die Abläufe in der Demokratie angemessen zu verzahnen. Das könne nur gehen, wenn es gelingt, die Bürgerbeteiligung am Anfang eines Projektes auszubauen.

Zwei Jahre später trat das „Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren“ (PlVereinhG) in Kraft, nur wenige Wochen vor Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes. Es verpflichtet die zuständigen Behörden, bereits vor Eröffnung von Planfeststellungsverfahren beim Vorhabenträger auf eine Öffentlichkeitsbeteiligung hinzuwirken. Diese Grundsätze finden sich, wie später erläutert wird, heute im Standortauswahlgesetz wieder.

Beide Ereignisse sind prägend für die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Endlagersuche. Mit Fukushima und dem Atomausstieg gab es erstmals eine gesellschaftspolitische Öffnung gegenüber der Lösung der Endlagerungsfrage. Gleichzeitig traf das Thema auf eine öffentliche Debatte zum Umgang mit infrastrukturellen Großprojekten insgesamt, für das „Stuttgart 21“ zum Symbol wurde.

Sicherheit – ein Werteziel von Gesellschaften 

Bild: BASE

Öffentlichkeitsbeteiligung gilt heute als eine der zentralen Säulen bei der Umsetzung komplexer Infrastrukturprojekte – insbesondere bei Projekten wie der Endlagersuche, bei denen komplexe Sicherheitsfragen und gesellschaftlich kontrovers diskutierte und konfliktbeladene Technologien im Mittelpunkt stehen.

Sicherheit im Bereich Endlagerung und Radioaktivität ist nicht nur ein Zustand, der durch verschiedene, von

Expert*innen und Fachleuten ergriffene Maßnahmen erreicht wird und damit einfach „da“ ist. Sicherheit ist vor allem auch ein Ziel, über das sich Gesellschaften stetig verständigen. Das Ergebnis dieser Verständigungsprozesse fließt unter anderem in Gesetze und Verordnungen ein, die die gewählten Volksvertreter*innen beschließen.

Dass die darauffolgende Umsetzung der festgelegten Ziele und Maßnahmen zu einer Wahrnehmung von Sicherheit in der Gesellschaft führt, ist jedoch keinesfalls gesichert.

Aus diesem Zwiespalt nähren sich immer wieder gesellschaftliche Konflikte. Umso stärker auch dadurch, als sich Sicherheit zu einem „zentralen Wertebegriff demokratischer Gesellschaften entwickelt“ hat (Endreß und Petersen, 2012). Insbesondere in der Geschichte der Atomenergienutzung in Deutschland und damit zusammenhängend auch der Endlagerung hat sie zu langanhaltenden Verwerfungen geführt. Die Gefahren von Radioaktivität sind nicht greifbar und erfordern das Vertrauen in das Handeln der Fachleute. Das stellt den Dialog zusätzlich vor besondere Herausforderungen. Der Sicherheitsdiskurs nach Fukushima hat diesen in der Geschichte dauerhaften Konflikt um die unterschiedliche Bewertung der Risiken der Technologie wieder in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.

Die Beteiligung der Öffentlichkeit nimmt vor diesem Hintergrund eine zunehmend wichtige Rolle ein. Sie bewegt sich dabei – bezogen auf das Thema Endlagerung – in einem Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen, Vertrauen und Verantwortung.

Hinweis der Blog-Redaktion: Der vollständigen Fachbeitrag des Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) findet sich hier als PDF zum Download.

Dokumente und Downloads

10 Jahre nach Fukushima – Öffentlichkeitsbeteiligung

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