War watt? Die Energiewende und die Großprojekte

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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18. September 2014
Energiewende aktuell

Deutschland hat viele wirtschaftliche Stärken. Die termingerechte und kostentreue Fertigstellung von Großprojekten gehört nicht dazu. Die Hamburger Elbphilharmonie und der Hauptstadtflughafen BER sind international zu Synonymen geworden für die deutsche Unfähigkeit, Milliardenprojekte innerhalb von Fristen und Kostenplänen an den Bauherren zu übergeben. Auch bei der Energiewende beziehungsweise im Energiemarkt gibt es Anzeichen, dass große Vorhaben bei uns stets mit großen Probleme einher gehen.

Beispiel Steinkohle-Kraftwerk
Heute meldet das Handelsblatt, RWE werde das Steinkohle-Kraftwerk in Hamm nicht wie vorgesehen 2015 in den Normalbetrieb nehmen können.
Wegen technischer Probleme in einem der beiden 800-MW-Blöcke verzögere sich die Fertigstellung auf „unbestimmte Zeit.“ Die Inbetriebnahme des Kraftwerkes war ursprünglich vor dem Beschluss zur Energiewende bereits im Jahr 2008 vorgesehen. Neben RWE gehören 23 Stadtwerke zu den Investoren, die gemeinsam durch die Verzögerungen und Baukostenexplosion mehr als eine Milliarde Euro verloren haben.
Nuklear1Klein
Beispiel Off-Shore-Wind
Stillstand herrscht auch bei BARD 1, dem mit einer
Gesamtnennleistung von 400 MW größtem Meereswindpark Deutschlands Im März trat ein Schwelbrand auf, danach kam es zu Überspannungen im Netz und bis heute hält die Fehlersuche an. Bis Ende August sollten die Fehler lokalisiert und behoben sein, bis jetzt bewegt sich aber nichts.

Beispiel Atomkraftwerke
Zahlreich sind die Pannen und Fehlplanungen beim Bau und Betrieb von Atomkraftwerken. Den Platz als Spitzenreiter in Sachen Fehlplanung kann der Schnelle Brüter von Kalkar mit Baukosten von 3,6 Mrd. Euro und Null-Stunden Betriebszeit beanspruchen. Ähnlich verkalkuliert hat man sich beim Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR-300) in Hamm. Die Bauzeit betrug zwölf statt wie geplant fünf Jahre, im Betrieb war er ein Jahr. Die Kosten von ca. drei Mrd. Euro Kosten trug zu 90% der Staat. Obwohl der Reaktor bereits 1988 runter gefahren wurde, ist die Geschichte bis heute nicht zu Ende. Über die Aufteilung der Abrisskosten zwischen Bund, Land und Betreibern wird seit 2009 verhandelt; eine Einigung ist bis heute nicht erzielt worden. Der für die öffentliche Hand sehr teuere Abriss wird frühestens 2030 (!!) erfolgen, die Steuerzahler werden noch bis 2080 (!!) für den THTR finanziell bluten müssen.

Beispiel Endlager
Etwas preiswerter, aber voraussichtlich ähnlich unsinnig wie in Kalkar und beim THTR wird es beim Salzstock Gorleben ausgehen. Bisher liefen für das geplante Endlager Gesamtkosten in Höhe von 1,6 Milliarden Euro auf. Für die neuerliche Suche nach einem Endlager sind über zwei Milliarden Euro veranschlagt. Einschließlich der Kosten für die Abwicklung der DDR-Atomanlagen wird allein der Bund in den nächsten 20 Jahren für Stilllegung, Rückbau und Endlagerung wohl über fünf Milliarden Euro ausgeben müssen. Ein Großteil dieser Summe dürfte in die Rubrik „vermeidbar“ fallen.

Beispiel Desertec?
Um ein anderes Großprojekt der Energiewende mit deutscher Beteiligung ist es still geworden. Die Desertec Stiftung startete die Industrie-Initiative (Dii GmbH) gemeinsam mit der Creme de la Creme der deutschen Wirtschaft. Mittlerweile haben sich die Stiftung und der industrielle Ableger zerstritten. Einige Gründungsmitglieder der Dii (Siemens, Bosch Rexroth und HSH Nordbank) sind inzwischen ausgeschieden, E.ON und Bilfinger werden sich bis Ende des Jahres 2014 aus dem Projekt zurückziehen.

Und nun verlässt mit dem Niederländer Paul von Son Ende 2014 auch der Gründungsgeschäftsführer das in München ansässige Unternehmen. Droht mit Desertec ein weiteres Großprojekt im Energiebereich an den hoch fliegenden Plänen zu scheitern?
EnBW Solarpark Leibertingen
Mitnichten. Mit dem größten Rückversicherer der Welt, Munich Re, der Deutschen Bank und RWE zeigen deutsche Großkonzerne weiterhin Flagge bei dem Projekt, das nach eigener Aussagen „einen Markt für Strom aus Solar- und Windenergie der Wüstenregionen für den lokalen Bedarf im Nahen Osten, in Nordafrika und langfristig für den Export nach Europa auf den Weg“ entwickeln und dafür die gewaltige Summe von geschätzt 400 Milliarden Euro investieren will. Für die ausgeschiedenen deutschen Konzerne hat sich Ersatz gefunden. So sind der US-amerikanische Hersteller von Dünnschicht-Solarmodulen First Solar und der chinesische Energiekonzern State Grid in das Projekt eingestiegen, in dem sich aktuell Unternehmen aus 17 verschiedenen Ländern engagieren.

Auch wenn durch die Streitigkeiten und Probleme der erste Lack ab ist von der großartigen Idee Gerhard Knies, dem geistigen Vater von Desertec,
so bleibt der Plan, Wüsten für die Gewinnung Erneuerbarer Energien zu nutzen, in vielerlei Hinsicht – für die globale Energiewende und die Wertschöpfung in der Region – reizvoll.

Der Erfolg der Desertec-Initiative in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens ist fundamental mit einer langen Periode des Friedens und der politischen Stabilität verbunden. Von daher kann man diesem Großprojekt unter deutscher Beteiligung nur alles erdenklich Gute wünschen. 

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