War watt? Energiepolitik muss verständlich und nachvollziehbar sein

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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27. Mai 2016
War watt? ist die energiepolitische Kolumne von Hubertus Grass. Hier geht es um die Energiewende. Wie bekommen wir die gut hin?

Das politische Europa franst am rechten Rand aus. Die Wahl am letzten Sonntag in Österreich zeigte: Die Zustimmung zur Politik jener Parteien, die seit Jahrzehnten in Europa den Ton angeben, erodiert. Ein Grund für den massiven Vertrauensverlust sehen politische Beobachter darin, dass die etablierten Politiker den Bürgerinnen und Bürger ihre Entscheidungen nicht mehr erklären. Das ist auch in der Energiepolitik so. Wie groß die Distanz zwischen Regierung und Regierten in der Energiepolitik sein kann, zeigen folgende Beispiele.

Beispiel 1: Steuergerechtigkeit und Energiewende

Für Unmut sorgt derzeit ein vom Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) vorgelegter Plan zur Stromsteuer für Öko-Stromanlagen. Wer sich selbst mit Strom versorgt, soll künftig 2,05 Cent je verbrauchter Kilowattstunde zahlen, wenn mehr als 20 Megawattstunden im Jahr verbraucht werden. Das entspricht in etwa dem Verbrauch von sechs Familien. Zahlen müsste auch, wer seinen Strom aus einem BHKW bezieht. Im Netz tobt die Kritik an diesem Plan, der sich jeder steuerrechtlichen Logik entzieht. „Das ist so, wie wenn jemand auf dem Balkon Tomaten anpflanzt und für den Verzehr dann nachher Umsatzsteuer zahlen soll“, erklärte der baden-württembergische Umwelt- und Energieminister Franz Untersteller. Sollte sich das Bundesfinanzministerium durchsetzen, wären nicht nur Mieter und Energiewende auf den Seiten der Verlierer. Verloren hätte eine weiteres Mal auch die Glaubwürdigkeit der Politik.

Bei der Steuergerechtigkeit besteht dringender Handlungsbedarf. Die Bürgerinnen und Bürger können nicht nachvollziehen, dass sie Monat für Monat von ihrem Finanzamt zur Kasse gebeten  werden, während andere, denen es viel besser geht, großzügig ihre „Gestaltungsspielräume“ nutzen. Warum soll man als Bürger steuerehrlich sein, wenn Großverdiener in Massen ihr Geld auf Schweizer Konten oder in Briefkastenfirmen in Panama verstecken? Seit Jahren ist bekannt, dass Großunternehmen wie Ikea, Microsoft, Google, Apple und andere die europäischen Staaten gegeneinander ausspielen, um ihre Steuerschuld gegen Null zu drücken. Warum wird dagegen nichts getan, fragen viele mit nachvollziehbarem Zorn. Die Leute erwarten zurecht, dass die Politik gegen diese Praktiken tätig wird. Steuergerechtigkeit ist ein hohes Gut. Doch alle Erwartungen wurden bislang enttäuscht. Statt die Gewinne der Großkonzerne angemessen zu besteuern, sollen nun Mieter, Gewerbetreibende und andere, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, eine zusätzliche Belastung tragen. Wer mag das nachvollziehen?

Beispiel 2: Energiepolitik, die zur Energieverschwendung anhält

Um weiterhin in den Genuss der Befreiung von der EEG-umlage zu kommen, müssen sich die Hammerwerke Friedingen auf der Schwäbischen Alb anstrengen, gegen jede Logik zu agieren und möglichst viel Strom zu verbrauchen. Schuld daran ist der Mechanismus der Befreiung von der EEG-Umlage, der für stromintensive Betriebe gilt. Stromintensiv ist, wer mindestens einen Stromkostenanteil von 14 Prozent der Bruttowertschöpfung hat. Wer wie die Hammerwerke knapp über der Grenze liegt, verschwendet lieber Strom, um weiter in den Genuss der Befreiung zu kommen. „Die harten Grenzen führen dazu: entweder wir kriegen die 14 Prozent hin, dann sparen wir rund 2 Millionen EEG-Umlage. Oder wir kriegen sie nicht hin und dann zahlen wir 2 Millionen EEG-Umlage mehr“, erklärt der Geschäftsführer des Unternehmens.

https://www.youtube.com/watch?v=gqUcG1FcmP4

Beispiel 3: Abriss des Dorfes geht konform mit dem Denkmalschutz, eine Solaranlage nicht

Die Kirchgemeinde wollte ein Zeichen setzen und gegen den Untergang ihrer Gemeinde protestieren, denn das Dorf Atterwasch soll verschwinden und der Braunkohle geopfert werden. Das Zeichen war eine Fotovoltaik-Anlage, die die Gemeinde auf dem Pfarrhaus installieren ließ. Das geht aber nicht, befanden die zuständigen Denkmalschützer vom Landkreis. Gegen den Untergang der gesamten Ortschaft hatte das Landratsamt nichts einzuwenden; gegen die Solaranlage auf dem Pfarrhaus umso mehr. Die Behörde ordnete den Rückbau spätestens bis zum 31. Mai an und drohte mit einem Zwangsgeld in Höhe von 3.000 Euro. Das war der Gemeinde zu viel. Die Solaranlage wurde abmontiert.

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Drei Beispiele, die zeigen, wie sich der Staat und seine Institutionen von den Bürgern entfernen. Statt Bürgernähe werden auch in der Energiewende häufig unverständliche und bürokratische Vorschriften erlassen: Der einschlägige Kommentar zum Energierecht von Danner/Theobald Energiepolitik sollte verständlich und nachvollziehbar sein. Das Energierecht ist zu dick.umfasst mittlerweile über 13.000 Seiten und bringt zehn Kilogramm auf die Waage. Klarheit schafft das nicht.
Jene politischen Bewegungen, die in Europa derzeit große Erfolge feiern, zeichnen sich dadurch aus, dass sie einfache, simple Lösungen anbieten. Sie erfüllen damit ein durchaus menschliches Bedürfnis nach Reduktion der Komplexität. Nicht alles, was einfach ist, ist deshalb schon richtig. Aber Gesetze und Vorschriften, deren Sinn sich nicht erschließt und die auch den Bürgerinnen und Bürger nicht mit verständlichen Worten erklärt werden können, lassen nur die Politikverdrossenheit weiter wachsen.
Keep it simple! Energiepolitik sollte die Energiewende befördern und nicht – wie heute allzu oft – die Politikverdrossenheit.

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