Blaupause für die Energiewende

Gastautor Portrait

Thomas Lehmann

DESIGNETZ Technischer Projektleiter, Westnetz GmbH

Der Diplom-Ingenieur Thomas Lehmann ist bei der Westnetz GmbH tätig als „DESIGNETZ Technischer Projektleiter“. Er ist seit über 10 Jahren in operativen Fachfunktionen im Betrieb von Verteilnetzen als Schaltingenieur und Betriebsplaner aktiv. Ferner war Lehmann zwei Jahre im Bereich Strategische Asset- und Unternehmensentwicklung von Verteilnetzbetreibern und Energieunternehmen tätig und hatte über sieben Jahre operative Leitungsfunktionen in der Netzführung von Verteilnetzen inne.

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28. Februar 2018

Die Energiewende in Deutschland hat bereits einige Veränderungen für das Versorgungssystem gebracht. Die Zahl der Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie ist bereits auf mehr als 1,6 Mio. Einheiten gestiegen – Tendenz weiter steigend. Sie speisen ihren Strom zu mehr als 95 Prozent in die Verteilnetze ein. So konnte der Anteil der erneuerbaren Energien sowohl an der gesamten Stromerzeugung als auch beim Energieverbrauch in den letzten Jahren deutlich gesteigert werden. In 2017 haben die Erneuerbaren bereits rund 36 Prozent des Stromverbrauchs gedeckt. Dennoch hat die Energiewende noch nicht die Fortschritte gebracht, die für einen nachhaltigen Erfolg notwendig sind. Die gesetzten Klimaziele für das Jahr 2020 sind wohl nicht mehr zu erreichen.

Ein wesentlicher Grund für die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegt in der fehlenden Verknüpfung der zahlreichen heute schon existierenden Einzellösungen. Hierdurch fehlt es dem Gesamtsystem an der notwendigen Effizienz und Durchschlagskraft.

Das Zusammenwirken von Netz und Markt organisieren

Denn für eine erfolgreiche Energiewende sind weder Netzausbau noch Speicher, weder Backup-Kraftwerke noch der flexible Verbraucher alleinige Lösungen. Vielmehr muss ein System geschaffen werden, in dem die effizienteste Kombination aus allen Technologien und Lösungen umgesetzt wird. Dazu zählt auch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, bei denen das Zusammenwirken von Netz und Markt eine entscheidende Rolle spielt. Vor dem Hintergrund der absehbar tiefgreifenden Veränderungen muss auch eine veränderte Bewertung der regulatorischen Rahmenbedingungen vorgenommen werden.

Um unterschiedliche Lösungsansätze zu einem Gesamtsystem zu verknüpfen, hat innogy zu Beginn des Jahres 2017 gemeinsam mit 46 Partnern das Forschungs- und Demonstrationsprojekt DESIGNETZ gestartet. Neben innogy als Konsortialführer stammen die Partner bei diesem wegweisenden Projekt aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunen. Damit wird ein breites Spektrum an Knowhow und Kernkompetenzen zusammengeführt. Unterstützt wird das Projekt zudem durch die Landespolitik der drei einbezogenen Bundesländer. Das Projekt hat eine Laufzeit bis Ende des Jahres 2020.

Drei Bundesländer mit unterschiedlichen Strukturmerkmalen eingebunden

Designetz adressiert zentrale Voraussetzungen für das Funktionieren der Energiewende: Die intelligente Vernetzung von vielen dezentralen Energieerzeugern und -verbrauchern vom ländlichen bis hin zum urbanen Raum und hochindustrialisierten Ballungszentren. Ziel ist die Integration der fluktuierenden Einspeisung aus erneuerbaren Energien in das Gesamtsystem unter Einsatz intelligenter Netze, innovativer Speicher und sogenannten steuerbare Lasten (Verbrauch), ohne Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit aus den Augen zu verlieren. Designetz wird zudem in gleich drei Bundesländern umgesetzt, nämlich in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Sie bieten nicht nur die unterschiedlichen Gegebenheiten und Strukturen von Regionen mit hohen Überschüssen an erneuerbarer Energieerzeugung bis hin zu ausgewiesenen Lastzentren. Hier lebt mit über 22 Millionen Einwohnern auch mehr als ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands.

Das Projektvolumen von Designetz beläuft sich insgesamt auf rund 66 Millionen Euro, davon sind ca. 30 Millionen Euro Fördermittel des Bundes im Rahmen des übergeordneten Programms SINTEG. Ziel des BMWi-Förderprogramms „Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“ (SINTEG) ist es, in großflächigen Modellregionen skalierfähige Lösungen für eine klimafreundliche, sichere und effiziente Energieversorgung bei hohen Anteilen schwankender Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie zu entwickeln und zu demonstrieren. Das Förderprogramm SINTEG ist Teil des Maßnahmenpakets „Innovative Digitalisierung der Deutschen Wirtschaft“ und damit ein wichtiger Baustein zur Umsetzung der Digitalen Agenda der Bundesregierung.

https://www.youtube.com/watch?v=vMacZlXgm1Y

Eine dezentrale, netz- und marktseitig integrierte Energiewelt

Mit Designetz wird eine Blaupause für die intelligente Integration von Einzellösungen sowie zur Nutzung von Flexibilitäten auf Erzeuger- und Verbraucherseite definiert, die der Schlüssel für eine effiziente Energiewende sind. Nur durch innovative technische Lösungen wird die Komplexität des dezentralen Energieversorgungsystems dauerhaft beherrschbar sein. In rund 30 verschiedenen Demonstrationsprojekten untersuchen die Designetz-Partner an unterschiedlichen Standorten in den drei Bundesländern das Zusammenwirken zwischen den Verteilnetzen, Prosumern, Verbrauchern und Märkten. Ziel ist es, Einspeisung und Verbrauch zu optimieren und ein stabiles und volkswirtschaftlich optimales Energiesystem für deutlich veränderte Rahmenbedingungen zu entwickeln. Es besteht dabei die Notwendigkeit, aus diesen Einzellösungen eine systemische, dezentrale sowie netz- und marktseitig integrierte Energiewelt zu schaffen.

Bei Designetz wird dafür unter anderem ein regionaler Ansatz in der Praxis erprobt. Um unterschiedlichen Regionen sowie ihren Bürgern gerecht zu werden, gilt es die lokalen Lösungen intelligent zu vernetzen und so mit den regionalen und überregionalen Ansprüchen an die Energieversorgung zu verknüpfen. Damit wird Energie vor Ort verbraucht, solange dies wirtschaftlich und technisch sinnvoll ist. Aber Energie wird transportiert, wenn andernorts Bedarf besteht und dieser nicht durch lokale Erzeugung gedeckt werden kann. Designetz verbindet somit die ländliche Erzeugung mit dem städtischen Verbrauch.

Innovationen müssen durch den regulatorischen Rahmen unterstützt werden

Für den Erfolg von innovativen Lösungen im Verteilnetz spielt auch der regulatorische Rahmen eine wichtige Rolle. Dieser hält bisher nicht Schritt mit den technischen Fortschritten. So erhält ein Netzbetreiber eine Verzinsung auf seine Investition, wenn er heute ein Kabel in den Boden verlegt. Wird hingegen die Investition in ein Kabel durch innovative operative Maßnahmen vermieden, so erhält der Netzbetreiber nur einen Kostenersatz und keine Verzinsung; daneben droht ihm das erhöhte Risiko innovativer Maßnahmen. Das heißt zum Beispiel, wenn moderne Informationstechnologie eingesetzt wird, die günstiger ist als das Verlegen von Kabeln, drohen dem Netzbetreiber negative Effekte auf die Rendite.

Zu diesen, die Regulierung betreffenden Fragen führt die Branche seit einiger Zeit Gespräche mit der Bundesnetzagentur und dem Bundeswirtschaftsministerium, damit der Einsatz neuer Technologien angemessen anerkannt wird. Denn dieser Faktor ist für Innovationen im Netz ein ganz wichtiger Punkt. So kann über innovative Betriebskostenanreize nachgedacht werden. Diese Lösungsvorschläge müssen zwischen allen Beteiligten intensiv diskutiert werden, um zu einer sachgerechten Lösung zu kommen. Die Aktualität dieses Themas wird auch daran deutlich, dass die Europäische Kommission angemessene Anreize für innovative Lösungen wie beispielsweise Flexibilitätsnutzung gesetzlich verankern will.

Der Fokus auf den Strommarkt reicht allein nicht aus

Die Energiewende kann nur dann gelingen, wenn sie von der gesamten Gesellschaft und damit auch von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert wird. Deshalb wird bei Designetz aus der Vielzahl unterschiedlicher Lösungen in 20 neuen sogenannten „Demonstratoren“ sowie 10 bestehenden sogenannten Hebelprojekten entlang einer „Route der Energie“ erlebbar gemacht. Lokale Veranstaltungen, Tage der offenen Tür und eine eigens entwickelte App runden das Kommunikationsangebot für die breite Öffentlichkeit zum Stand der jeweiligen Projekte ab. Die erste Haltestelle der Route der Energie wurde im November letzten Jahres an der Power-to-Gas–Anlage in Ibbenbüren (NRW) eröffnet.

Für den Erfolg der Energiewende reicht es allerdings nicht aus, lediglich das Stromversorgungssystem umzugestalten. Ebenso wichtig ist der Einsatz regenerativer Energiequellen im Wärmemarkt (Stichwort: Wärmewende) und im Verkehrssektor (Stichwort: Elektromobilität). Nur wenn alle Sektoren der Volkswirtschaft in die Energiewende integriert werden (Stichwort: Sektorenkopplung), können die gesteckten Ziele erreicht werden.

Weitere Informationen zum Projekt: www.designetz.de

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