100 Tage GroKo: Eine Koalition auf Kosten des Klimas

Gastautor Portrait

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin

Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist seit April 2009 Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance (HSoG). Sie ist eine mehrfach ausgezeichnete Spitzenforscherin und gefragte Expertin für Politik und Medien. Zuletzt erhielt sie den Deutschen Solarpreis sowie den Adam-Smith-Preis für Marktwirtschaftliche Umweltpolitik. Ihr neustes Buch „Das fossile Imperium schlägt zurück – Warum wir die Energiewende verteidigen müssen“ erschien im April 2017.

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09. Juli 2018
Blick auf das Bundeskanzleramt mit Chillida-Skulptur "Berlin" im Vordergrund

Die Hinhaltetaktik hat nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Konsequenzen.

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Die Bilanz der ersten 100 Tage der neuen Regierung in Punkto Energiewende und Klimaschutz ist mau. Der Anteil des umweltschädlichsten Energieträgers in Deutschland, Braunkohle, ist so hoch wie nie. Die erneuerbaren Energien werden ausgebremst. Es gibt keine nachhaltige Verkehrspolitik, die auf Verkehrsvermeidung, Verlagerung und Elektrifizierung sowie Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz setzt – auch nicht nach dem Dieselskandal. Die selbst gesteckten Klimaschutzziele werden verfehlt. Dabei müsste es umgekehrt sein: Kohle und Atom deckeln, Erneuerbare Energien forcieren. Dabei wäre es dringend notwendig, den Kohleausstieg einzuleiten, mehr Förderung für Gebäudedämmung bereitzustellen, eine nachhaltige Verkehrswende einzuführen durch weniger Bevorzugung von Diesel mit mehr Elektromobilität. Nun ist die Konsequenz, dass der Kohle- Öl- und Dieselanteil viel zu hoch sind und die Emissionen steigen statt zu sinken. Kluge Energiewende geht anders.

Quasi als erste „Amtshandlung“ wurde das Emissionsziel 2020 nahezu aufgegeben. Die Klimaziele wären durchaus noch zu erreichen gewesen, wenn man die alten und ineffizienten Kohlekraftwerke sofort vom Netz nehmen würde, die Weichen für den Kohleausstieg stellt und eine Verkehrswende einleitet. Man hat schon viel zu viel Zeit verloren und unliebsame Entscheidungen verschoben. Immerhin: eine Kohlekommission wurden nach monatelangen Streitereien nun endlich eingesetzt, sie soll Empfehlungen für einen Kohleausstieg und einen klugen Strukturwandel erarbeiten. Und ein Klimaschutzgesetz wird erarbeitet.

Energiewende wird umso teurer, je länger man wartet

Die Hinhaltetaktik hat nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Konsequenzen. Denn je länger man wartet, desto teurer wird die Energiewende: Wenn notwendige Investitionen in erneuerbare Energien, in Elektromobilität und Klimaschutztechnologien verschoben werden, gefährdet dies Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Der Strukturwandel muss klug und konsistent begleiten werden, um den Beschäftigten verlässliche Perspektiven zu erarbeiten. Ein Hinhalten bedeutet Unsicherheit und führt irgendwann zu einem abrupten und schlecht vorbereitetem Wechsel, der teuer, ineffizient ist und die Arbeitsplätze gefährdet.

Schon heute zahlt der Stromkunde für die vermurkste Energiewende und das Versäumnis, den Kohleausstieg rechtzeitig und konsequent eingeleitet zu haben. Der Strom ist in erster Linie teuer, weil wegen der politischen Zögerlichkeit weiterhin zwei Systeme parallel existieren: Der hohe Kohleanteil führt zu massiven Stromangebotsüberschüssen, lässt die Strombörsenpreise fallen und erhöht so künstlich die EEG-Umlage. Zudem steigen die Netzkosten aufgrund von Netzengpässen und hohen Renditen für die Netzbetreiber. Außerdem zahlt der Stromkunde noch „Abwrackprämien“ für alte Kohlekraftwerke, die sowieso früher oder später vom Netz gehen werden. Die Deckelung des Ausbaus der erneuerbaren Energien ist zum jetzigen Zeitpunkt unsinnig, da die erneuerbaren Energien immer billiger werden und die Kosten für Stromverbraucher immer geringer werden.

Die staatlich garantierten Traumrenditen für Netzbetreiber führen zu hohen Netzentgelten und Kosten für Verbraucher.

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Wenn man schon unbedingt markt- statt planwirtschaftliche Lösungen einbringen will, sollte man bei den Netzentgelten anfangen. Die staatlich garantierten Traumrenditen für Netzbetreiber führen zu hohen Netzentgelten und Kosten für Verbraucher. Man könnte systemdienliche Ausschreibungen auch für Netze einführen, ähnlich wie es jüngst die Monopolkommission vorgeschlagen hat. Müssten sich auch die Netzbetreiber einem Wettbewerb um günstigste Lösungen stellen, würden die Kosten sicherlich sinken können, und wir könnten einen optimierten und auf Systemdienlichkeit ausgerichteten Netzbedarf steuern und umsetzen.

Die Energiesteuern müssen reformiert werden. Strom ist zu stark, fossile Energien allen voran Diesel, viel zu niedrig besteuert. Eine konsequent auf Klimaschutz ausgerichtete Steuerreform sollte vor allem die Nutzung von Heizöl, Diesel und Benzin deutlich stärker besteuern. Die Steuereinnahmen sollten für die energetische Gebäudesanierung und den Umbau des Verkehrssystems genutzt werden, sodass die umweltbewussten Heizungs- und Autokäufer finanziell bevorteilt werden.

Statt die erneuerbaren Energien weiter klein zu halten, sollten Anreize für den Zubau lastnaher und dezentraler Produktion samt optimiertem Lastmanagement und dezentraler Smart Grids und Speicher geschaffen werden. Zudem muss der Kohleausstieg heute eingeleitet und bis 2030 abgeschlossen sein. Energiesparmaßnahmen im Gebäudebereich sollten forciert und die nachhaltige Verkehrswende inklusive Abschaffung der Dieselsteuererleichterung und Elektromobilitätsquote eingeführt werden. Nur dann hätte unser Klima und Deutschland als Wirtschaftsstandort eine nachhaltige Chance. Die alte und neue GroKo hat versäumt all dies durchzuführen. Es steht zu befürchten, dass auch die neue GroKo die notwendigen Maßnahmen auf den Sankt Nimmerleins Tag verschieben wird.

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  1. Matthias Grobleben

    vor 6 Jahren

    Was ich vermisse ist ein Konzept wie eine Energiewende aussehen soll. Windräder werden dort aufgebaut wo die Rendite maximal ist, Atomkraftwerke werden abgeschaltet weil in Japan ein solches Kraftwerk explodiert ist, Kohlekraftwerke laufen weiter und Energieerzeuger die PV und Wind nutzen werden abgeregelt. CO2 wird zu Niedrigstpreisen vermarktet.
    Das Problem liegt darin, dass ein Konzept zur Energiewende nicht in 4 Jahren erstellt und umgesetzt werden kann, d.h. für Politiker ist das Thema uninteressant, da niemand sagen kann ob die Verantwortung in der nächsten Legislaturperiode noch die Gleiche ist, sprich, Politiker können keine Lorbeeren ernten!

  2. Windmüller

    vor 6 Jahren

    Schlimmer noch ist die Unentschlossenheit der Regierung. So wie die Regierung sich aufgestellt hat, wird keiner mehr in fossile Energien investieren, keiner mehr in Ökoenergien investieren, und beim Netzausbau hinkt man auch hinterher. Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien ist es nötig, verstärkt auf Gasturbinen zu setzen, um das volatile Lastverhalten erneuerbarer Energien auszugleichen. Auch hier passiert nichts.

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