Die Stromversorgung in Deutschland soll überwiegend auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Die wichtigsten Energiequellen Wind und Sonne schwanken dabei jedoch in Abhängigkeit vom Wetter. Diese Schwankungen müssen von Flexibilitätstechnologien wie flexible Kraftwerke, Speicher oder Demand-Side-Management ausgeglichen werden. Aber welche Kombinationen verbinden Stabilität mit Nachhaltigkeit, Kosteneffizienz und gesellschaftlicher Akzeptanz? Dieser Frage sind drei Wissenschaftsakademien gemeinsam nachgegangen und haben unter dem Titel „Flexibilitätskonzepte für die Stromversorgung 2050 – Technologien – Szenarien – Systemzusammenhänge“ eine gemeinsame Studie herausgegeben.
An dem Projekt der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften haben mehr als mehr als 100 Experten aus allen Bereichen von Wissenschaft und Wirtschaft mitgewirkt.
Nachfolgend ist die Kurzzusammenfassung wiedergegeben. Die gesamte Analyse können Sie hier oder in unserer Energiebibliothek herunterladen.
Das Akademienprojekt hat mithilfe eines eigens entwickelten Rechenmodells rund 130 Systemkonstellationen verglichen und kommt zu dem folgenden Fazit:
- Fast keine Technologie ist alternativlos, fast jede lässt sich zu überschaubaren Mehrkosten ersetzen – sofern die Weichen rechtzeitig gestellt und Fehlinvestitionen vermieden werden.
- Brennstoffflexible Gaskraftwerke sind jedoch das stabilisierende Rückgrat jedes Energiesystems, um die Versorgung auch in mehrwöchigen wind- und sonnenarmen Phasen sicherzustellen.
- Mit einer flexiblen Verbrauchs- und Speichersteuerung in Haushalten und Industrie (Demand-Side-Management) lassen sich kurzfristige Stromschwankungen am kostengünstigsten ausgleichen.
- Langzeitspeicher lohnen sich erst ab einer CO2-Einsparung über 80 Prozent – bis dahin ist es kostengünstiger, mit überschüssigem Strom zunächst den Wärmesektor zu versorgen und verbleibende Erzeugungsspitzen abzuregeln.
Welchen Einfluss haben die CO2-Minderungsziele?
Windenergie und Photovoltaik sind die wichtigsten Erzeugungstechnologien für die Stromversorgung 2050. Geht man davon aus, dass der Preis für CO2-Emissionszertifikate bis zum Jahr 2050 deutlich steigen wird, ist die Stromerzeugung mit hohem Wind- und Photovoltaikanteil in der Regel günstiger als mit einem von fossilen Energien dominierten Kraftwerkspark heutiger Prägung.
Die schwankende Einspeisung aus Wind- und Photovoltaik erfordert den Einsatz von Flexibilitätstechnologien. Gasturbinen- sowie Gas-und-Dampfturbinen-Kraftwerke sind künftig das Rückgrat einer gesicherten und zuverlässigen Stromversorgung, zu der es wenige Alternativen gibt. Abhängig davon, wie viel Kohlendioxid tatsächlich eingespart werden muss und wie hoch der Anteil erneuerbarer Energien ist, werden diese Kraftwerke mit Erdgas, mit Biogas oder als Teil von Speichersystemen mit Wasserstoff oder synthetischem Methan betrieben. Sind die Anlagen mit variabler Gasfeuerung ausgelegt, ermöglichen sie eine sukzessive Umstellung auf erneuerbare Brennstoffe.
Wie könnte ein Stromsystem mit 100 Prozent Erneuerbaren aussehen?
Bei einem hohen Wind- und Photovoltaikanteil von 80 bis 95 Prozent ist eine Option, den verbleibenden Strombedarf durch Bioenergie abzudecken. Hierzu wäre allerdings bis zu doppelt so viel Biogas erforderlich wie heute. Wie viel Biomasse tatsächlich für den Stromsektor zur Verfügung steht, kann nur im Rahmen einer nationalen Biomassestrategie entschieden werden. Sie muss sowohl Nutzungskonkurrenzen als auch ökologische und soziale Folgen des Anbaus berücksichtigen. Alternativ könnten deutlich mehr Wind- und Photovoltaikanlagen zusammen mit saisonalen Gasspeichern installiert werden als rechnerisch zur Deckung des Strombedarfs erforderlich sind (Überinstallation). In diesem Fall würde für den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage weniger als die Hälfte dessen benötigt, was heute an Biogas eingesetzt wird. In besonders wind- und sonnenreichen Zeiten würden die zusätzlichen Wind- und Photovoltaikanlagen abgeregelt.
Bei einem niedrigen Anteil an Wind und Photovoltaik wären solarthermische Kraftwerke mit integrierten Wärmespeichern (Concentrated Solar Power) als Ergänzung zu Windkraft und Photovoltaik vergleichsweise kostengünstig. Von Südeuropa oder Nordafrika aus könnten sie Deutschland über transeuropäische Stromnetze versorgen. Die Voraussetzung: Politisch-rechtliche Bedingungen sowohl in den Erzeugerländern als auch in den „Transitstaaten“ ermöglichen einen sicheren Stromtransport. Falls noch geringe Restemissionen erlaubt sind, kann der zusätzliche Strombedarf am kostengünstigsten durch Erdgaskraftwerke gedeckt werden. Ohne Erdgas und Solarthermie könnte die geothermische Stromerzeugung die Lücke schließen, allerdings verbunden mit relativ hohen Kosten.
Zentrale oder dezentrale Erzeugung?
Insgesamt sind Systeme mit starkem Übertragungsnetzausbau sowie dem kombinierten Einsatz von dezentralen und zentralen Kraftwerkstechnologien günstiger als rein dezentrale Systeme. Lässt man die Verteilnetze außen vor, sind die Stromgestehungskosten eines dezentralen Systems rund zehn Prozent höher (nur Anlagen mit einer Leistung unter 100 Megawatt, 90 Prozent Wind und Photovoltaikanteil). Je niedriger der Wind- und Photovoltaikanteil, desto höher sind die Mehrkosten. Deshalb sollte ein hoher Grad an Dezentralität mit einem starken Ausbau von Wind- und Photovoltaikanlagen in allen Teilen Deutschlands, insbesondere nahe der Verbrauchszentren einhergehen.
Umfragen zeigen, dass kleine, dezentrale Anlagen in der Bevölkerung mehr Zustimmung finden als große, zentrale Anlagen. Darüber hinaus stößt der Netzausbau teilweise auf vehementen Widerstand. Bei der Entscheidung für eine zentrale oder dezentrale Architektur der Stromversorgung müssen daher auch die gesellschaftlichen Präferenzen berücksichtigt werden.
Welche Rolle können Speicher in Zukunft spielen?
Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der zahlreichen Speichertechnologien ist die Dauer, für die Energie aufgenommen oder abgegeben werden kann. Als Kurzzeitspeicher zur Überbrückung einiger Stunden können Pump- und Druckluftspeicher sowie eigens für diesen Zweck installierte Batterien dienen. Wesentlich kostengünstiger wäre jedoch das Demand-Side-Management, das heißt die gezielte Steuerung der Stromnachfrage von Haushalten oder Industrieunternehmen. Denn 2050 wird es sehr wahrscheinlich so viele Photovoltaik- und Elektrofahrzeug-Batterien, elektrische Heiz- und Warmwassersysteme mit thermischen Speichern sowie steuerbare Haushaltsgeräte geben, dass sie den gesamten Kurzzeitspeicherbedarf abdecken können. Die Herausforderung: Flächendeckend wird intelligente Steuerungstechnik benötigt, mit der sich Geräte in Haushalten und Unternehmen „fernsteuern“ lassen. Die Verbraucher wiederum müssten bereit sein, die Steuerungseingriffe zu akzeptieren. Mehrwöchige wind- und sonnenarme Phasen („Dunkelflauten“) lassen sich technisch sowohl mithilfe von Langzeitspeichern als auch flexiblen Erzeugern (zum Beispiel Gaskraftwerken) überbrücken. Für die Langzeitspeicherung muss Strom in Wasserstoff oder in einem weiteren Schritt in Methan umgewandelt werden (Power-to-Gas), das später in Gaskraftwerken rückverstromt wird.
Langzeitspeicher kommen vor allem dann zum Einsatz, wenn die Klimaschutzziele sehr ambitioniert und die Möglichkeiten zur flexiblen Stromerzeugung begrenzt sind (zum Beispiel, wenn wenig Biomasse zur Energiegewinnung verfügbar ist). Bis zu einer Einsparung von 80 Prozent CO2 lohnen sich Langzeitspeicher dagegen kaum und es ist kostengünstiger, den Überschussstrom dem Wärmemarkt zur Verfügung zu stellen und bis zu zehn Prozent abzuregeln. Bei hohen Anteilen fluktuierender erneuerbarer Energien können Langzeitspeicher allerdings auch gezielt installiert werden, um die Stromversorgung unabhängiger vom Erdgasimport zu machen.
Wie können Stromüberschüsse verwendet werden?
Power-to-Heat ist eine kostengünstige Möglichkeit, überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien sinnvoll zu verwenden, da die Investitionskosten gering sind. In den Warmwassertanks klassischer Heizsysteme werden zusätzlich zu den Erdgas- oder Erdölbrennern Tauchsieder installiert. Sie erhitzen das Wasser, wenn überschüssiger Wind- und Photovoltaikstrom zur Verfügung steht, so dass sich der Gas- beziehungsweise Ölverbrauch reduzieren lässt. Der Einsatz von Power-to-Gas als reine Flexibilitätstechnologie lohnt sich wohl erst, wenn eine erhebliche Überinstallation von Wind- und Photovoltaik-Anlagen erfolgt, weil auch andere Sektoren dekarbonisiert werden müssen. Der Grund: Die Investitionskosten der Elektrolyseure und Methanisierungsanlagen sind so hoch, dass sich der Betrieb nur bei einer hohen Auslastung lohnt.
Geringere Abhängigkeit von Energieimporten – was sind die Folgen?
Erdgaskraftwerke sind flexibel regelbar, kostengünstig und verursachen im Vergleich zu Kohlekraftwerken geringere CO2-Emissionen. Dies führt in einigen Szenarien dazu, dass der Erdgasverbrauch 2050 etwa doppelt so hoch wie heute ist. Die damit verbundene Abhängigkeit von Erdgas-Importen birgt jedoch Risiken für die Versorgungssicherheit. Reduzieren lässt sich der Erdgaseinsatz durch einen hohen Anteil an Wind- und Photovoltaikstrom, die gezielte Langzeitspeicherung von Überschüssen und einen hohen Einsatz von Biogas.
Auch Braunkohle mit Carbon Capture and Storage (CCS) wäre eine Option, sowohl den Erdgas- als auch den Biogasbedarf zu verringern. Derzeit ist jedoch nicht absehbar, dass der Einsatz der CCS-Technologie von der Gesellschaft mitgetragen würde.
Eine weitere Alternative ist die geothermische Stromerzeugung. Allerdings müssten die Kosten der Technologie um 75 Prozent sinken, um damit wirtschaftlich vertretbare Stromgestehungskosten zu erzielen – ein äußerst ambitioniertes Ziel, das erhebliche Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen erfordern würde. Wie auch Braunkohlekraftwerke erfordern geothermische Kraftwerke zudem immer eine hohe Auslastung, um wirtschaftlich zu sein. Daher kommen beide Technologien nur bei einem eher geringen Wind- und Photovoltaikanteil in Frage.
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