Für junge Erwachsene mag der Autoverzicht auf dem Land unattraktiv sein, für Familien ist er nahezu unmöglich.
Als Stadtmensch, der sich ohne eigenes Auto ganz selbstverständlich mit verschiedenen Verkehrsmitteln durch den Alltag bewegt, habe ich bei Familienbesuchen auf dem Land zuletzt immer häufiger das seltsame Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Es ist beinahe so, als stelle bereits unsere bloße Ankunft mit einem Mietwagen, ganz zu schweigen von einem Elektroauto, eine Bedrohung dar. Als schwänge ich mich auf zum Moralapostel, der weltfremde Ideale predigt.
Mir ist natürlich klar, woher das Gefühl der Bedrohung rührt. Das Auto hat auf dem Land einen ungleich höheren Stellenwert als in der Stadt. Hier ist der Führerschein zentraler Initiationsritus des Erwachsenwerdens, und Mobilität ohnehin ein ganz anderes Thema, da man eben nicht hinter jeder Ecke, fußläufig, einen Supermarkt, eine Kneipe oder einen Bäcker findet. Für junge Erwachsene mag der Autoverzicht auf dem Land unattraktiv sein, für Familien ist er nahezu unmöglich.
Meine Tante hält ihn gar für unverantwortlich. Über die Hecke hinweg beäugt sie kritisch das Fahrzeug, mit dem wir zu Besuch sind. „Ist das jetzt so ein Mietauto? Und wie macht ihr das mit dem Kindersitz?“ Ich erkläre ihr, dass bei uns um die Ecke mehrere Mietwagen parken, die man je nach Bedarf, ich vermeide das Wort Wegezweck, einfach mieten kann. „Den Kindersitz nehmen wir dann immer aus der Wohnung mit.“ „Ist das nicht sehr anstrengend?“, fragt sie. Die Zeit, die man mit der Parkplatzsuche für das eigene Auto spart, ist eigentlich ganz gut investiert in den „Kraftakt“, alle zwei Wochen kurz den Kindersitz zu schleppen – aber das interessiert sie schon nicht mehr. Interessant ist was anderes: „Und was kostet das jetzt für den Tag?“ Meine Antwort, wie zu erwarten, ringt ihr ein nachsichtiges Lächeln ab. Ich erspare mir das eigentlich hier nötige Kurzreferat über Lebenszykluskosten und den Wertverlust eines privaten Pkw, von weniger monetären Vorzügen wie vermiedenen Werkstattbesuchen und Autowäschen ganz zu schweigen.
Mobilität ist eben ein komplexes sozio-ökonomisches System, das sich zudem in einer Phase technologischer Umbrüche befindet
Ohnehin stelle ich immer öfter fest, dass ich des Erklärens müde bin. Die Gräben scheinen gezogen. Die Online-Medien mit ihren Clickbait-Überschriften machen eine ausgewogene Informationslage zudem fast unmöglich. Wie eine korrekte Berichterstattung in Zeiten von Headlines und Schlagworten untergeht, zeigt ein Beispiel. Eine Studie, die explizit dem Free-Floating Carsharing negative Verkehrs- und Umwelteffekte zuschreibt, wurde im September 2018 mit folgenden Titeln vorgestellt: „Warum Carsharing der Umwelt nicht hilft“ (wiwo.de), „Carsharing ist nicht gut für die Umwelt“ (faz.net) oder sogar „Studie kommt zu vernichtendem Urteil: Carsharing ist nicht gut für die Umwelt“ (focus.de) – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Der von autoaffinen Verharrungskräften beseelte Leser reibt sich natürlich die Hände und liest voller Genuss die wissenschaftlich fundierte Bestätigung seiner, letztlich sind es Hoffnungen. Positive Verkehrs- und Umwelteffekte des stationsbasierten Carsharings werden durch solche Titel einfach mitgeopfert. Die sind jedoch in vielen Studien belegt und hier sind die Ergebnisse wissenschaftlich unumstritten, übrigens im Gegensatz zum Thema Free-Floating. Ohnehin ergäbe sich erst dann ein realistisches Bild, wenn auch die Wechselwirkungen zwischen beiden Formen des Carsharings betrachtet würden. Mobilität ist eben ein komplexes sozio-ökonomisches System, das sich zudem in einer Phase technologischer Umbrüche befindet.
Petrol Heads gibt es natürlich sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Trotzdem tappe ich ab und an in die Falle und fühle mich wie der Aufgeklärte, der am Wochenende ins Mittelalter reist. Man vergisst eben manchmal die Perspektive des Anderen. Denn wenn wir selbst auf dem Land leben würden, wir hätten wohl auch ein Auto und dann wäre es plötzlich mit einem emotionalen Wert belegt. Das Auto, mit dem man in den Urlaub fährt, dessen Motor das Kind in den Schlaf brummt und das einen verlässlich durch den Winter bringt. Also versuche ich meinen Unmut zu kanalisieren auf die wahren Schuldigen: Falschparkende Stadtbewohner mit SUV.
Ich meine schon, dass sich die Argumentationen verhärten. Dieselgate und seine bisher eigentlich recht moderaten Folgen für die deutsche Automobilindustrie werden neuerdings zu einer ominösen Verschwörung gegen ebenjene erklärt. Und die studierten Leute rennen jubilierend in die Ökodiktatur! Wenn das Wort sich einmal abgenutzt hat, steht schon die „Ökoreligion“ bereit; vom Wissen zum Glauben – und damit zum Vermuten. Aber 100 Pulmologen, denen freilich niemand außer mir im Geiste 100 Panamera unterjubelt, haben keine Termine mehr frei, weil sie jetzt Ökobilanzen rechnen.
Prompt bin auch ich polemisch. Womöglich liegt hier ein Teil des Problems: Wir sind uns unserer Positionen aus der täglichen Er-Fahrung derart sicher, dass es scheinbar nicht ohne Polemik geht. Und dann stachelt sich das eben hoch. Sicherlich werden wir auch wieder zu einem faktenbasierten öffentlichen Diskurs finden, denn den brauchen wir unbedingt. Bei meiner Arbeit in Kommunen erlebe ich häufig, dass er eigentlich durchaus möglich ist. Ich stoße hier meist auf Neugierde und Interesse zu allen Themen der „neuen Mobilität“, was mir zumindest meine berufliche Motivation erhält. Woran wir aber allesamt arbeiten müssen ist die Bereitschaft, bei uns selbst anzufangen.
Die Stiftung Energie & Klimaschutz lädt ein: Urban Mobility Talks am 11.4. in Stuttgart
Wer mit Manfred Schmid und weiteren Vertreterinnen und Vertretern der neuen Mobilität live diskutieren möchte hat dazu Gelegenheit bei den Urban Mobility Talks am 11. April in Stuttgart. Die Veranstaltung wird organisiert von der Stiftung Energie & Klimaschutz in Kooperation mit der Baden-Württemberg Stiftung. Hier geht es zu weiteren Infos und zur kostenfreien Anmeldung. #UMT2019
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