Die Energiewende steht laut repräsentativer Umfragen nach wie vor hoch im Kurs: Über 90 Prozent der Deutschen finden den Ausbau der Erneuerbaren wichtig bis außerordentlich wichtig, wie eine aktuelle Studie aus dem Herbst 2016 ergab. Kritischer jedoch ist die Auseinandersetzung mit Detailfragen, zum EEG beispielsweise, zum Netzausbau, zur Windkraft. Und noch kritischer wird es, wenn Infrastruktur-Maßnahmen, die mit der Energiewende einhergehen, in unmittelbarer Nähe zur eigenen Haustüre greifen.
Erst am Anfang der gesellschaftlichen Debatten
Dieses Phänomen der divergierenden Haltung wird uns die nächsten Jahre begleiten, Staatssekretär Baumann vom Stuttgarter Umweltministerium hat unlängst auf einem Debattenabend der Stiftung Energie & Klimaschutz geäußert, dass wir erst am Anfang der gesellschaftlichen Debatten um die tiefgreifenden Veränderungsprozesse in der Energielandschaft stehen.
Intensive Debatten sind somit vorprogrammiert, und das ist wichtig und gut so. Denn die Energiewende ist ein Generationenprojekt, welches mitgetragen werden muss von der breiten Masse und nicht allein gesetzlich durchgesetzt werden kann. Wenn wir von „dem Prosumenten“ sprechen, der künftig das dezentrale Energiesystem mitbestimmt, bedeutet das, dass beispielsweise der PV-Zubau massiv zunehmen muss, was wiederum Handlungsbereitschaft vieler Einzelner erfordert – sowohl Häuslebesitzer als auch Mieter, die Gefallen finden an den Mieterstrommodellen.
Energiewende als Sache von öffentlichem Interesse
Strom kommt nicht mehr nur einfach aus der Steckdose, wie das früher einmal der Fall war. Strom und auch Wärme werden zum Diskussionsthema und zum Kulturgut: In dem Moment, in dem große Teile der Bevölkerung mitwirken, mitbestimmen und von dezentralen Infrastrukturmaßnahmen betroffen sind, handelt es sich um eine Sache von öffentlichen Interesse.
Aber was genau heißt „öffentliches Interesse“ und Kulturgut-Diskussion im Jahr 2016? Wären wir noch auf dem medialen Stand von 1996, wäre die Energiewende Thema der Tagesschau oder des Leitartikels in den großen Tageszeitungen. 20 Jahre später allerdings ist das Agenda-Setting nicht einigen wenigen Medienmachern vorbehalten, sondern kann ebenso dezentral stattfinden, wie die dezentralen Erzeugungsstrukturen sich nach und nach etablieren. Dezentral in Hinblick auf Kanäle: Online und offline – zum Publizieren braucht es schon lange keinen großen Verlag mehr im Hintergrund. Blogs und Books on Demand machen jeden Interessierten mit Meinung zum Autor. Was zugleich eine zunehmende Komplexität bedeutet: Wann ist eine Meinung fachlich fundiert? Und wie ist ein Blogbeitrag im Vergleich zu einem Zeitungsartikel zu bewerten? Welche journalistischen Qualitätskriterien gelten heute noch?
Die Crowd im Dialog, der Einzelne als Korrekturinstanz
Mit wachsenden Möglichkeiten der Autorenschaft wächst zugleich die Gefahr, fachliche Fauxpas zu entlarven, was gleichermaßen für den Tageszeitungs-Autor gilt wie auch für den Blogger oder Autor im Eigenverlag. Denn die Crowd, die Online-Leserschaft, kann innerhalb von Minuten reagieren: Wo früher noch Leserbriefe mehrere Tage bis zu ihrer Veröffentlichung brauchten, kann heute ein Artikel mit fachlichen Fehlern innerhalb von Minuten kommentiert und durch die User korrigiert werden. Somit hat jeder, auch wer nicht selbst als Autor tätig ist, die Chance zum Energiewende-Experten zu werden und sich in einem Spezialgebiet mit Fachkenntnis zu etablieren.
Das gilt übrigens nicht nur für den digitalen Dialog, sondern auch für die Live-Kommunikation: Neben den klassischen Fachkonferenzen, bei denen wenige ausgewählte Redner oder Podiumsdiskutanten zu Wort kommen, bieten sich inzwischen zahlreiche Gelegenheiten, selbst das Programm bei Live-Debatten mitzubestimmen. Im Oktober fand das Barcamp Renewables in Kassel statt, bei dem über 150 Teilnehmer unter Anleitung der Moderation ihre Sessions, sogenannte Kurzworkshops, selbst vorgeschlagen haben und an zwei Tagen Diskussionen auf Augenhöhe stattfanden. Die Sessionsgeber waren dabei in der Verantwortung, ihr Thema, ihre These oder Frage zu moderieren, die Teilnehmer konnten sich mit Beiträgen einbringen und nach den Prinzipien des Crowdsourcing Wissen zusammentragen und Ideen sowie Gedanken auszutauschen. Ein ähnliches Format hat der Blog Dialog. Energie. Zukunft zusammen mit der Stiftung Energie & Klimaschutz im September unter dem Titel „Urban Mobility Talks“ veranstaltet. Die Intention: Ein Ausflug aus der digitalen Diskussion in die Live-Diskussion. Und eine weitere Energie(wende)-Debatte wurde erst kürzlich an der Hochschule in Pforzheim intiiert: Die Auftaktvorlesung des „Studium generale“ widmete sich der Stromgesellschaft und den Forderungen nach einer Energiewende und Rohstoffwende.
„Energiewende-Beschleuniger“ – neuer Blog-Schwerpunkt
Ab Anfang November starten wir unseren nächsten Schwerpunkt im Blog unter der Überschrift „Energiewende-Beschleuniger“. Wir freuen uns, wenn unsere Leser sich sowohl an der Diskussion zu den Gastbeiträgen beteiligen, aber auch gern Vorschläge für Gastbeiträge einbringen, denn: Jeder von uns kann den Energiewende-Dialog mitgestalten, ob als Autor, Userkommentator oder auch Mitgestalter einer öffentlichen Diskussion.
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