Der Weltklimavertrag von Paris – eine Bewertung

Gastautor Portrait

Hans-Josef Fell

Präsident Energy Watch Group

Hans-Josef Fell war Lehrer für Physik und Sport, als er 1998 über die Bayerische Landesliste von Bündnis 90/Die Grünen erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt wurde. Er hat sich schön früh umweltpolitisch engagiert und erhielt bereits 1994 den Deutschen Solarpreise des Eurosolar e.V.. Er und der SPD-Abgeordnete Hermann Scheer gelten als die Väter des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG). Seit März 2014 ist er– neben zahlreichen weiteren Ehrenämtern – Präsident der Energy Watch Group. 2018 wurde Hans-Josef Fell mit dem "Lui Che Woo-Preis" in der Kategorie "Nachhaltigkeit" für sein Engagement für die Entwicklung erneuerbarer Energien ausgezeichnet.

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15. Dezember 2015

Ohne Zweifel, der Weltklimavertrag ist ein historischer Durchbruch. Der bedeutendste Wert des Abkommens ist, dass die globale Staatengemeinschaft nun offiziell anerkennt, dass die Erderwärmung ein riesiges Problem ist und dass sich 196 Staaten dazu bekennen, das Klima schützen zu wollen. Das war bis letzte Woche bei weitem nicht so.

Entscheidend für den Durchbruch war, dass es gelungen ist, die Erneuerbaren Energien zu einer gewinnbringenden Wirtschaftsbranche zu machen. Dies hat die Führenden der Welt dazu

Weltklimavertrag
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bewegt, Klimaschutz zu akzeptieren. Die alte Formel, dass Klimaschutz eine ökonomische Belastung ist, hat endlich ausgedient und gilt nicht einmal mehr in der Energiewirtschaft. Selbst hartgesottene Klimasünder wie RWE, E.ON und große Teile der Energiewirtschaft in den USA oder China haben erkannt, dass Klimaschutz mit Windrädern oder Solarstrom keine Belastung für ihre Unternehmen mehr ist, sondern das neue Geschäftsmodell zum Überleben der Konzerne. Die Kostensenkung der Erneuerbaren Energien im letzten Jahrzehnt hat die Basis geschaffen, dass dieses Weltklimaschutzabkommen möglich wurde. Im tieferen Kern hat das deutsche EEG erst den Weg bereitet für das Pariser Klimaschutzabkommen. Denn das EEG gab den wesentlichen Anstoß für die globale industrielle Massenfertigung der Erneuerbaren Energien, womit die Kostensenkung erst ermöglicht wurde.

Nur: der Klimaschutzvertrag selbst ignoriert noch immer diese phänomenale Entwicklung. Die Umstellung auf 100% Erneuerbare Energien als wichtigste Klimaschutzmaßnahme wird dort nicht benannt. Der Begriff Erneuerbare Energien kommt überhaupt nur ein einziges Mal im ganzen ca. 6.000 Wörter umfassenden Klimavertrag vor.

Zudem: Die Ziele und Maßnahmen im Pariser Abkommen sind völlig unzulänglich. Zwar soll die Erderwärmung auf unter 2° C, besser 1,5° C begrenzt werden. Aber im Klartext bedeutet dies doch einen weiteren Anstieg des heute schon unerträglichen Hitzefiebers der Erde. Die erheblichen Unsicherheiten der Tipping Points – bisher wissenschaftlich in ihren konkreten Auswirkungen noch gar nicht vollständig bekannt, aber schon besorgniserregend wirksam – lassen erhebliche Zweifel aufkommen, dass mit dem noch erlaubten zu emittierenden Kohlenstoffbudget 2° C oder gar 1,5° tatsächlich nicht überschritten werden. Und was soll nur das abstruse Ziel, dass erst ab Mitte des Jahrhunderts Kohlenstoffsenken so groß sein sollen, dass sie die Emissionen neutralisieren? Dies kann nur bedeuten, dass die fossile Energiewirtschaft sogar noch über die nächste Jahrhundertwende hinaus existent sein soll. Von einem Ende der fossilen Weltwirtschaft kann also keine Rede sein, wenn man die Worte, Ziele und Maßnahmen des Pariser Vertrages zu Grunde legt.

Besorgniserregend sind auch die täglichen Handlungen der allermeisten Regierungen, die dem Pariser Abkommen jetzt zustimmten. Fast alle unterstützen massiv, ähnlich wie die deutsche Regierung, noch lange Jahre die fossile Wirtschaft und versuchen die Konkurrenz der Erneuerbaren Energien auszubremsen. Sie versuchen mit schlechten Gesetzgebungen wie Minister Gabriels jüngstem Vorschlag zur EEG-Novelle 2016 den Siegeszug der Erneuerbaren Energien zugunsten von Kohle und Erdgas aufzuhalten. Sie erhöhen weltweit, wie auch in Deutschland, sogar noch die Subventionen für die fossile Wirtschaft. Die Dekarbonisierung soll ja nach den Vorstellungen von Kanzlerin Merkel erst 2100 stattfinden. Dann hätte die Erde längst eine Erwärmung von mehr als 3° erreicht, trotz anders lautender Ziele wie jetzt in Paris beschlossen.

Entwicklungen werden Weltklimavertrag überholen

Aber dennoch: Der Klimaschutz wird anders und viel schneller kommen, als die Staatenlenker, die sich immer noch nicht von der fossil/atomaren Welt lösen können, glauben. Er wird weltweit verwirklicht, weil erfolgreich andere Kräfte als die Regierungen 100% Erneuerbare Energien in den Mittelpunkt stellen. Die erst vor etwa zwei Jahren gegründete weltweite Kampagne 100% Erneuerbare Energien (Global100%RE), getragen vom World Future Council, war in Paris auf den Side Events zusammen mit anderen Aktiven so erfolgreich, dass fast überall die Forderung nach 100% Erneuerbaren Energien im Mittelpunkt stand.

Über tausend Bürgermeister aus aller Welt haben in Paris ihre Ziele für 100%-Erneuerbare-Energien-Kommunen bekundet. 53 der größten Weltkonzerne, darunter Coca Cola, Google, BMW oder Ikea, haben Ähnliches bekannt gegeben. Immer mehr Finanzinstitute beschließen den Ausstieg aus fossilen/atomaren Investitionen und Beteiligungen, bis heute schon insgesamt 3,4 Billionen US Dollar Vermögen. Mehr als 50 Regierungen haben die International Solar Alliance (ISA) gegründet mit dem Ziel, bis 2030 ein Terrawatt Solarkraftwerke zu installieren.

Diese Entwicklungen wirken bereits länger. Die Energy Watch Group (EWG) hat nachgewiesen, dass die Vorhersagen der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris bezüglich des Potenzials der Erneuerbaren Energien in den letzten Jahren falsch waren. Die Erneuerbaren Energien sind schon in der Vergangenheit wesentlich schneller gewachsen und werden auch in Zukunft alle Vorhersagen übertreffen. Ebenfalls total überraschend für viele Analysten sind die jüngsten Rückschläge der fossilen Wirtschaft. Der chinesische Kohleverbrauch sinkt bereits. Zwei Drittel der Kohleunternehmen weltweit schreiben Verluste. Der weiter sinkende Ölpreis treibt viele Ölstaaten und deren Staatsunternehmen in den Ruin, weshalb die fossile Wirtschaft bald nicht mehr genug billige Kohle, Erdöl und Erdgas liefern kann. Ihr Heil suchen schon immer mehr Unternehmen der alten Energiewirtschaft in den Erneuerbaren Energien.

Weltklimavertrag, Hans-Josef Fell
H.J. Fell, hier rechts im Bild, ist schon lange klimaneutral unterwegs, hier eine Aufnahme aus dem Jahre 2004.

Der Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft wird nicht erst in 85 Jahren kommen, wie Frau Merkel bei der G7 verankerte, sondern vielleicht schon in etwa 20 Jahren zu einem größeren Teil bewältigt sein, so wie es sich aktuell anhand der weltweiten Signale abzeichnet.
Der Weltklimavertrag wird 2020, wenn er in Kraft treten wird, eher belächelt werden über seine Visionslosigkeit. Mit der bis dahin eingetretenen Dynamik des Ausstieges aus der fossilen Wirtschaft und der Umstellung auf 100% Erneuerbaren Energien werden wir schon viel weiter sein.
Aber ein weiteres muss auch klar werden: Die sich jetzt abzeichnende schnelle Umstellung auf 100% Erneuerbare Energien ist nur eine entscheidende Säule eines wirklich wirksamen Klimaschutzes und reicht nicht aus, die Erde vom Hitzefieber zu befreien. Die Reinigung der Atmosphäre von überschüssigem Kohlenstoff ist ebenso sofort notwendig und nicht erst ab Mitte des Jahrhunderts, wie in Paris beschlossen. Denn nur mit beiden Säulen – Nullemission und Kohlenstoffsenken – lässt sich die Erde wieder abkühlen.
Deshalb braucht es jetzt eine ähnliche weltweite Aktivität für die Begrünung degradierter Flächen wie für 100% Erneuerbare Energien. Denn dann lassen sich große Kohlenstoffmengen der Atmosphäre entziehen.

Die Menschheit braucht also zur Bekämpfung von Fluchtursachen, von Armut und von Kriegen beides: Alle Menschen müssen Zugang zu billigen, sauberen Erneuerbaren Energien bekommen und gleichzeitig den Zugang zu fruchtbaren Böden, die mit der Begrünung degradierter Flächen neu geschaffen werden können. Nur dann kann das Hitzefieber der Erde wieder abgekühlt werden. Und das ist zwingend erforderlich, weil eine Aufheizung um 1,5° C die Menschheit nur in weitere schlimmere Katastrophen führen wird.
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  1. Jürgen Kruse

    vor 8 Jahren

    Guten Tag, leider vernächlässigen Sie die große Rolle der industriellen und chemiegestützten "Landwirtschaft" mit ihrer Massentierhaltung weltweit sowie den völlig überzogenen Fleischkonsum! Allein eine Abkehr vom Fleischkonsum und eine Hinwendung zu einer bodengebundenen, ökologischen und regionalen Landwirtschaft würde einen riesigen Beitrag zur Rettung des Klimas leisten! - Der Klimawandel ist aber nur ein Aspekt der gegenwärtigen ökologischen Vielfachkatastrophe (atomare und chemische Verseuchung, Vermüllung des Planeten, Verlust der Böden usw...) - Auch der Irrglaube an das ewige Wachstum wird nicht gebührend berücksichtigt. Jürgen Kruse - Arbeitskreis Heckenschutz:
    http://www.hecke.wg.vu und: http://www.attac-netzwerk.de/wendland/atomianer

  2. Windmüller

    vor 8 Jahren

    Ich denke, dass ein großer Durchbruch gelungen ist. Es mag eventuell nicht alles zu 100% perfekt sein, aber wenn man sich das Gewürge von Kyoto über Kopenhagen bis Paris anschaut, dann haben wir einen historischen Durchbruch erlebt. Ich habe noch erlebt, dass gewisse politische Kreise gegen Ökoenergien polemisiert haben, nur weil man sie für "links" und "grün" gehalten hat. Das ist Geschichte.

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