Die Energiewende in Deutschland macht Fortschritte – ein Statement dem man an vielen Stellen zustimmen kann, bis vor kurzem jedoch nicht in Sachen Netzausbau. Nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima hat die mutige Entscheidung der Bundesregierung zur Abschaltung der Hälfte der Atomreaktoren in Deutschland verbunden, mit dem Festhalten an der Dekarbonisierung unserer Stromversorgung zu einem Domino-Effekt geführt. Mit der Förderung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energiequellen mit Photovoltaik und Offshore-Windparks wurden die Weichen für die Umstellung der Energieerzeugung gestellt. Insbesondere bei der Stromübertragung werden aber viele zusätzliche Anstrengungen notwendig sein um auch in Zukunft eine zuverlässige Stromversorgung für den Industriestandort Deutschland sicher zu stellen.
Beim Gipfeltreffen der Koalitionsspitzen Anfang Juli wurde ein kaum für möglich gehaltener Kompromiss gefunden. Die Lösung der Formel „2 – X“, die für die Anzahl der Nord-Süd-Stromautobahnen aufgestellt worden war, ergab am Ende „X = 0“. Es bleibt also beim vorab im Netzentwicklungsplan definierten Ausbaubedarf. Allerdings sollen diese Stromautobahnen nun größtenteils unterirdisch verlaufen, um damit die Akzeptanz in der Bevölkerung durch den Wegfall von neuen Strommasten zu erhöhen und gleichzeitig einen kürzeren, geradlinigeren Trassenverlauf zu ermöglichen. Erneut eine mutige Entscheidung der Politik, die nun von allen Beteiligen respektiert und möglichst schnell in ein entsprechendes Gesetz umgesetzt werden sollte. Eine detaillierte Erörterung der technischen und wirtschaftlichen Aspekte dieser vorrangigen Erdverkabelung insbesondere im Gleichstrombereich, wurde kürzlich im Ausschuss für Wirtschaft und Energie des Bundestages diskutiert, hier durfte ich als Sachverständiger einen Beitrag leisten. Diese Entscheidung führt auch dazu, dass die Übertragungsnetzbetreiber für die Revision der Bundesfachplanung nun neue Grundsätze für die Auswahl von möglichen Trassenkorridoren definieren müssen. Dies macht vielleicht keinen kompletten Neustart der Projektplanung notwendig, aber mit Sicherheit ein „Upgrade“ der bestehenden Planungen, sozusagen Stromautobahnen 2.0.
Technologie für Stromautobahnen 2.0 ist kein Stolperstein
Die notwendige Technik für diese Neuplanung steht jedoch bereit. Für die Konverterstationen an den Start- und Endpunkten ändert sich nichts, hier kommt die bewährte selbstgeführte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) zum Einsatz. Der Bedarf an Hochspannungs-Gleichstromkabeln steigt jedoch immens an: Ging man vor dem Energiegipfel von einem Kabelanteil von etwa 10 bis 30 Prozent bei den Stromautobahnen aus – was bereits einem Bedarf von circa 1.000 bis 2.000 Kilometer Kabeln entsprochen hätte – kann man jetzt von der doppelten, manche sprechen gar von der dreifachen, Anzahl ausgehen, also zwischen 2.000 und 6.000 Kilometer, abhängig von den festgelegten relevanten Kriterien.
Wer nun aber den Vergleich zu Autobahnen und Tunneln zieht und dabei erschrickt, der kann beruhigt werden, denn für Freileitungen und Kabel gelten andere Randbedingungen. Während eine Autobahn im unterirdischen Tunnel gleich viel Platz benötigt wie oberirdisch, sind Kabeltrassen wesentlich kompakter als das oberirdische Pendant. Zwar werden Drehstromkabel aufgrund der höheren Temperaturen häufig in Leerrohren verlegt, dies ist aber bei Gleichstomkabeln – wie sie bei den Stromautobahnen zum Einsatz kommen werden – nicht notwendig.
Wenn Masse-imprägnierte Gleichstromkabel auf einer Spannungsebene von 525 Kilovolt zum Einsatz kommen, dann werden für die geplante Übertragung von 2 GW Leistung zwei Kabelsysteme, also mindestens vier Einleiterkabel benötigt. Dies führt zu einer Trassenbreite von etwa 30 Metern in der Bauphase und resultiert im Betrieb in einem rund zehn Meter breiten Streifen, der landwirtschaftlich genutzt werden kann, aber von tiefwurzelndem Bewuchs freigehalten werden muss. Setzt man jedoch kunststoff-isolierte Hochspannungskabel ein, die unter optimalen Bedingungen sogar bis zu 2,6 GW übertragen können, würde sich die Anzahl der Einleiterkabel und damit auch der Grabekosten halbieren, so dass für die beiden Einleiterkabel sogar nur eine Trasse von etwa 5 Metern benötigt würde, während der Bauphase kurzzeitig rund 20 Meter. Die Technologien sind also vorhanden, sodass die detaillierten Planungen für die Stromautobahnen 2.0 nun vorangetrieben werden können.
Ausblick Stromautobahnen 3.0
Doch zurück zum Vergleich mit den „echten“ Autobahnen: Auch bei den Stromautobahnen wären „Ausfahrten“ prinzipiell möglich, mit denen in der Mitte Deutschlands Strom ein- bzw. ausgespeist werden könnte. Bereits 2012 hat ABB die notwendige Technologie, einen Gleichstrom-Leistungsschalter, vorgestellt, der bereits seit Jahrzehnten auf der Wunschliste der Ingenieure stand, dessen Realisierung aber unerreichbar erschien. Derzeit ist der Einsatz dieser Technologie noch nicht geplant, aber diese Ausfahrten wären auch noch in Zukunft nachrüstbar, also vielleicht beim nächsten Upgrade – auf Stromautobahnen 3.0.
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Weiterführende Links von ABB:
Raphael Görner schreibt auch auf ABB Dialog zum Thema kabellose Energiewende
Reif fürs Guinnessbuch: DolWin2-Landkabel verlegt
Infographik zur Energiewende
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