Kostspieliger Attentismus: Der Klimawandel wartet nicht

Gastautor Portrait

Henrik Maatsch

WWF Deutschland

Henrik-W. Maatsch ist seit 2014 Referent für Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland. Er arbeitet schwerpunktmäßig zu Erneuerbaren Energien, Strommarktdesign und Stromnetzinfrastruktur. Zuvor war über 5 Jahre in verschiedenen Funktionen im Energiesektor in Belgien und Deutschland tätig. Er hat einen M.Sc. in Internationaler BWL der Universität Antwerpen sowie einen M.A. Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin und ist seit 2015 Gastdozent der Yale Universität.

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20. März 2017

Mit der einstimmigen Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens hat sich Deutschland verpflichtet, einen Beitrag zur Begrenzung der globalen Erderwärmung auf höchstens 2°C gegenüber vorindustriellem Niveau zu leisten und Anstrengungen für die Einhaltung eines 1,5°C Temperaturlimits zu unternehmen.
Um wenigstens die 2°C Temperaturschranke mit einer Wahrscheinlichkeit von 66% einhalten zu können und die Konzentration des CO2 in der Atmosphäre nicht über den kritischen Mittelwert von 450ppm ansteigen zu lassen, dürfen weltweit nicht mehr als 890 Gigatonnen CO2 emittiert werden. Damit verbleibt Deutschland mit einem Anteil von 1,1% an der Weltbevölkerung (Stand 2015) ein Emissionsbudget von nicht mehr als 10 Gigatonnen CO2, wohlgemerkt ohne die in der Vergangenheit angefallenen Emissionen miteinzuberechnen. Für den Stromsektor, mit 352 Mio. t CO2 für mehr als ein Drittel der jährlichen deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich, verbleibt ein CO2-Budget von lediglich 4 Gigatonnen.

Anzahl klimapolitischer Regulierungen nimmt zu

Der Pariser Klimavertrag ist ein völkerrechtlich bindendes Regelwerk, das von mehr als 190 Staaten mitgetragen wird. Darin wird festgelegt, dass die Umsetzungsstrategien zur Erreichung der Klimaziele auf nationaler Ebene (Nationally Determined Contributions – NDCs) bis 2030 wenigstens zwei Mal grundlegend darauf überprüft werden, ob sie mit dem für das Einhalten der 2°C-Temperaturschranke notwendigen Emissionsreduktionspfad konsistent sind. Gegenwärtig reichen die geplanten, freiwilligen und individuellen Selbstverpflichtungen der Staaten (Intended Nationally Determined Contributions) lediglich zu einer Begrenzung der Erderwärmung auf etwa 3°C. Im Rahmen der anstehenden globalen Inventuren der nationalen Klimaschutzpläne (global stocktakes) ist davon auszugehen, dass diese entsprechend konkretisiert und verschärft sowie das klimapolitische Ambitionsniveau deutlich erhöht werden. Die Anzahl klimapolitischer Regulierungen nimmt seit Jahren stetig zu und dieser Trend wird sich im Rahmen der Umsetzung des Pariser Klimavertrages verstärken. Seit 2015 sind so beispielsweise institutionelle Investoren in Frankreich gesetzlich dazu verpflichtet, wesentliche Kennzahlen ihres „climate risk exposures“ offenzulegen.

Wie der WWF und das FERI Cognitive Finance Institute in einer gemeinsamen Studie zeigen, wird es folglich immer wichtiger zu verstehen, wie sich die physikalischen Emissionsgrenzen unseres Planeten auf emissions-, energieintensive und insbesondere auch auf jene Wirtschaftsbereiche auswirken, die fossile Roh- und Brennstoffe erzeugen und diese verbrauchende Produkte und Güter produzieren.

Bewertung der Transformationsrisiken

Die aufgeheizte Diskussion um den Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung, der im November 2016 lediglich das bereits seit 2010 feststehende Emissionsminderungsziel von 55% (ggü. 1990) für das Jahr 2030 verbindlich auf einzelne Wirtschaftssektoren heruntergebrochen hat, verdeutlicht, dass Politik, Realwirtschaft und Investoren gleichermaßen lernen müssen zu verstehen, wie sich Vermögenswerte und Geschäftsmodelle durch die zu erwarteten Veränderungen entwickeln werden und wie bedeutend die frühzeitige und umfassende Analyse und Bewertung sogenannter Transformationsrisiken für die Vermeidung zukünftiger Stranded Assets ist. (Stranded Assets = Vermögenswerte, die einer Abwertung bis hin zum Totalverlust unterliegen)

Dabei ist das regulatorische Risiko nur die eine Seite der Medaille, denn der rasante weltweite Kostenverfall der regenerativen Erzeugungs- und Speichertechnologien wird die Umstellung auf eine regenerative und klimafreundliche Energieversorgung ebenfalls beschleunigen. Die bevorstehenden Verhandlungen um einen beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland und die Debatte um ein mögliches Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030 sind lediglich Vorboten erster tiefgreifender Umbrüche in einzelnen Branchen wie der Energiewirtschaft und dem Verkehr. Die großen vier Energieversorgungsunternehmen in Deutschland reagieren gegenwärtig mit umfassenden und schmerzlichen Restrukturierungsmaßnahmen, beziehungsweise mit dem Verkauf großer Teile ihrer Unternehmungen auf diese Umbrüche. Die Auswirkungen auf Autohersteller und der Wertzerfall des Wissens um den Bau von Verbrennungsmotoren gegenüber neuen Technologien lassen sich heute bereits an der chinesischen Diskussion um Quoten und Strafzahlungen in Abhängigkeit des Anteils elektrischer Fahrzeuge am Gesamtabsatz beobachten.

Untätigkeit vervielfacht die Kosten des Klimawandels

Der Rückzug aus der sogenannten „Carbon Economy“ hat vielerorts bereits begonnen und ist unumkehrbar. Die Debatte um die Kosten der Energiewende ist von einer gedanklichen Kurzfristigkeit dominiert und verstellt den Blick auf die eigentlich zentrale Frage nach den Unwägbarkeiten und finanziellen Risiken eines fortwährenden Attentismus. Spätestens seit dem 2006 erschienen Stern-Report ist bekannt, dass etwa 1% des jährlichen Bruttosozialproduktes aufgewendet werden müssten, um die gravierendsten Folgen des Klimawandels noch abwenden zu können, die Kosten des Nicht-Handels hingegen beliefen sich auf das 5-20fache.

Das Logo der nächsten Klimakonferenz, die vom 6. bis zum 17. November in Bonn stattfinden wird. Den Vorsitz hat Fidschi.

Die Notwendigkeit einer raschen Anpassung an eine klimaschonende gesamtgesellschaftliche Transformation wird sich auf nahezu alle Wirtschaftsbereiche erstrecken. Es kann ein unmittelbares und erhebliches finanzielles Risiko für private und institutionelle Kapitalanleger bedeuten, sich nicht frühzeitig und wohlbedacht auf diese gravierenden Umbrüche vorzubereiten. Denn es ist schlichtweg fahrlässig, die enormen finanzwirtschaftlichen Risiken einer partiellen oder vollständigen Entwertung von emissionsintensiven Investitionen, Wirtschaftsgütern, Produktionsanlagen und anderen Werten, die durch die immensen Anforderungen an eine klimaverträgliche Transformation drohen, zu ignorieren. Jüngst hat der Versicherungsmarkt Lloyd’s of London auf die potentiell enormen Risiken aus Stranded Assets insbesondere für Versicherungsgesellschaften in acht Szenarien verwiesen – von Energie, Strom, Gebäuden bis hin zu Containerschiffen.

Die Transformation ist planbar

Die gute Nachricht ist, dass der Eintritt eines möglichen Wertverlusts zentral davon abhängt, ob die Veränderungen für die Akteure abrupt und ungeordnet eintreten oder ob diese entsprechend antizipiert werden. Die vor uns liegende große Transformation zu einer nachhaltigen und ökologischen Wirtschaft bedarf daher langfristig verlässlicher politischer und regulatorischer Signale, um allzu große Verwerfungen zu vermeiden. Dazu müssen aber mindestens belastbare und transparente Standards wie z.B. im Bereich des Unternehmens- und Investorenreporting geschaffen und umfassende Szenarioanalysen zur Performance und Risikosituation eben jener Unternehmen und Investoren gegenüber einem 2°C kompatiblen Transformationspfad durchgeführt und verfügbar gemacht werden. Auf einer solchen Basis lassen sich dann konsequente Schritte zur Regulierung, Kapitalbereitstellung oder –entzug ableiten.

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