Brauchen wir einen Kapazitätsmarkt fürs Gelingen der Energiewende?

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Jacek Mazurkiewicz

EnBW

2010 angefangen bei der EnBW als Konzerntrainee. Direkter Sprung in die Bloggerwelt mit regelmäßigen Beiträgen im Traineeblog des Unternehmens. Seit 2012 zuständig für politische Themen – als Referent des Leiters Wirtschaft & Politik, Nachhaltigkeit immer mittendrin im Getümmel der energiepolitischen Meinungsvielfalt. Da in der Freizeit eher sportlich unterwegs, freue ich mich auch hier auf einen fairen Umgang in der Diskussion.

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25. Juli 2014
Jacek - EnBW-Blogger

Die Umsetzung der Energiewende beschäftigt die deutsche Gesellschaft. In gefühlt jedem zweiten Interview mit Vertretern aus Politik und Energiewirtschaft finden sich derzeit die Schlagworte „Kapazitätsmarkt“ oder „Kapazitätsmechanismus“ – größtenteils verknüpft mit den Aussagen „Einführung“ oder „muss eingeführt werden“.

Doch zumeist bleibt es bei Floskeln. Die eigentlich zentrale Diskussion, warum ein Kapazitätsmarkt oder ein Kapazitätsmechanismus als erforderlich betrachtet wird und wie dieser marktlich zu gestalten wäre, findet allenfalls in Fußnoten statt. Dabei ist die Frage nach dem „Warum?“ durchaus nicht banal. Wir wollen es nicht an der Oberfläche belassen und gehen der Frage „Brauchen wir einen Kapazitätsmarkt?“ auf den Grund:

Konventionell Klein[1]Von 2003 bis 2013 ist der Anteil der erneuerbaren Energien an der Brutto-Stromerzeugung von 7,5 Prozent auf beeindruckende 23,8 Prozent angewachsen. Wegen des im EEG verankerten Einspeisevorrangs der erneuerbaren Energien verringern sich so die Einsatzzeiten konventioneller Kraftwerke. Es wird deshalb immer schwerer für konventionelle Kraftwerke eine Deckung der Fixkosten über den Verkauf der erzeugten Energie zu erreichen. Folglich wird es kurz- und mittelfristig zum Abbau unwirtschaftlicher Kapazitäten aus konventioneller Erzeugung kommen. So werden bis 2018 voraussichtlich konventionelle Kraftwerke mit einer Kapazität von ca. 12 GW vom Netz gehen. Dieser Strukturwandel, weg von der konventionellen hin zur erneuerbaren Erzeugung, ist ein Anliegen der Energiewende und grundsätzlich politisch und gesellschaftlich beabsichtigt.

Also alles in Butter, erneuerbar statt konventionell? Nicht ganz, denn Wind- und Solarstromerzeugung sind nicht regelbar. Die Erzeugung ist abhängig von der Wetterlage, unser Verbrauch ist es nicht. Es kann, formal gesprochen, stundenweise eine geringe Einspeisung aus erneuerbaren Energien einer Spitzenlast (d.h. großer Stromnachfrage) gegenüberstehen. Verschärft wird dieses Problem durch fehlende Netzkapazitäten von Nord nach Süd. So drängt zurzeit deutscher Offshore-Windstrom etwa ins polnische Netz und hemmt die dortige Stromerzeugung, anstatt im stromarmen Süden Kapazitätslücken zu schließen. Bis 2024 soll durch den Netzausbau eine bessere Verteilung von Ökostrom im Netz erreicht werden. Zur Überbrückung der Engpässe in diesem Jahrzehnt ist aktuell schon ein netzbedingter (das heißt aus Gründen der Netzstabilität eingeführter) Kapazitätsmechanismus implementiert: Die sog. „Winterreserve“ ist gesetzlich in der Reservekraftwerksverordnung verankert und verpflichtet die Netzbetreiber eine ausreichende Kapazitätsmenge vorzuhalten, um regionale Netzengpässe zu verhindern.

MastkleinMan könnte hier schon einen Strich ziehen und sagen, dass solange die Netzstabilität gesichert ist, der staatliche Auftrag „eine möglichst sichere […] Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität“ (§1 EnWG) zu gewährleisten, erfüllt wird. Warum also die Einführung eines Kapazitätsmarktes? Durch die Verkleinerung des konventionellen Kraftwerksparks könnten am deutschen Markt langfristig Kapazitätslücken in Spitzenlastzeiten entstehen. Diese äußern sich darin, dass das Angebot der deutschen Erzeuger an der Strombörse nicht ausreicht, um die heimische Nachfrage (rein theoretisch) abzudecken. In der Praxis ist das auch nicht schlimm, da ein Angebotsengpass der inländischen Erzeuger in aller Regel durch Stromimporte aus EU-Nachbarstaaten kompensiert werden kann. Von Seiten der Politik wird jedoch aus strategischen Gründen die Autarkie der deutschen Stromversorgung gefordert. Deshalb darf es zu keiner Zeit zu Kapazitätslücken in der deutschen Erzeugung kommen.

Eine politische Forderung zu stellen, reicht aber nicht aus. Damit der gewünschte „Kapazitätspuffer“ entsteht, sind finanzielle Anreize zum Erhalt oder Bau konventioneller Kraftwerke nötig. Als Lösung bietet sich eine marktbedingte, d.h. auf die Verhinderung von Kapazitätsengpässen abzielende, Einführung eines Kapazitätsmechanismus an. Bei der Ausgestaltung gilt das Prinzip Gründlichkeit vor Schnelligkeit: Ein Kapazitätsmechanismus sollte erst implementiert werden, wenn ein Modell anwendungsreif ist. Einigkeit besteht aktuell darin, dass eine marktliche Gestaltung des Kapazitätsmechanismus erfolgen sollte, um die Belastung für den Stromkunden zu minimieren.

Der Teufel liegt bekanntlich im Detail. So ist es auch im Fall der Kapazitätsmärkte. Der zugrundeliegende Zweck, zusätzliche Kapazität zur Verhinderung von Kapazitätslücken anzureizen, kann mit unterschiedlichen Mitteln erreicht werden: Will man alle potentiellen Anbieter von Kapazität in den neuen Markt einbeziehen oder nur einige? Kurzum: Sollen bestimmte Erzeugungsformen gefördert werden, oder will man eine billige Lösung? Inwieweit müssen Standortkriterien gewichtet werden – ist die Netzstabilität nach 2020 ein Problem?  Wer sind die Akteure auf dem Markt – Kunde und Stromanbieter oder Stromanbieter und Staat? Also: Muss der Staat Versorgungsicherheit gewährleisten oder reicht ein Vertrag zwischen Kunde und Stromversorger? …

Sicher ist: Die Schaffung finanzieller Anreize für die Bereitstellung von Kapazität würde der Entstehung von Kapazitätslücken vorbeugen. Dadurch kann in Zukunft die Versorgungssicherheit – auch unter Beibehaltung der Forderung nach nationaler Autarkie – garantiert werden.

Die Bundesregierung will deshalb noch im Herbst, im Rahmen ihrer 10-Punkte-Energie-Agenda, in einem „Grünbuch“ Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen für Kapazitätsmärkte gegenüberstellen. Nach einer öffentlichen Debatte soll dann im Sommer nächsten Jahres mithilfe eines „Weißbuchs“ die Weichenstellung für die Ausgestaltung des bevorzugten Kapazitätsmarktdesigns erfolgen. Die aktuelle energiepolitische Debatte hat sich bei der Ausgestaltung auf vier konkrete Modelle zugespitzt, die wir Ihnen im nachfolgenden Part kurz vorstellen und für alle Leser des Energiewende-Blogs in den kommenden Tagen und Wochen genauer unter die Lupe nehmen werden:

  • Die strategische Reserve, bei der unrentabel gewordene, alte Kraftwerke als „Back-Up“ vorgehalten werden.
  • Der umfassende Kapazitätsmarkt, in dem alle Marktteilnehmer gesicherte Kapazitäten bieten können.
  • Der fokussierte Kapazitätsmarkt, durch den neben dem Bestand auch Kraftwerksneubauten angereizt werden sollen.
  • Und der dezentrale Leistungsmarkt, dem die Idee zugrunde liegt, „Versorgungssicherheit“ zu einem eigenständigen Produkt zu machen.

Ausblick: In Kürze werden wir hier im Energiewende-Blog Infografiken zu den vier Modellen einstellen und diese detaillierter vorstellen. Wir freuen uns auf die gemeinsame Diskussion mit Ihnen.

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