Es war irgendwie eine Mischung aus Zukunft und Vergangenheit in der Energiewirtschaft bei der 25. Handelsblatt Jahrestagung Energiewirtschaft. Teilweise hatte man Ende Januar als Besucher das Gefühl, die Veränderungen durch Energiewende und Digitalisierung beträfen nur andere Unternehmen. Auf der anderen Seite war aber auch sehr viel von Innovationen und Veränderungen die Rede. Startups waren in der Ausstellung vertreten und durften auch auf der großen Bühne pitchen. Für viele in der Branche ist die Energiewende mittlerweile nicht mehr wegzudenken und die Digitalisierung ist zur Hauptaufgabe geworden.
Politische Unsicherheit in Zeiten großer Veränderungen
Dass die Energiewende aber nicht wirklich selbstverständlich ist, konnte man auf der Tagung an zwei Punkten erkennen. Zum einen war der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien nach wie vor kein großes Thema und zum anderen war die Unsicherheit zu spüren über die künftige Richtung der Energiepolitik. Von den großen politischen Parteien ist eher der Wunsch nach einem Rückschritt zu hören als ein deutliches Bekenntnis zur Energiewende. Wer weiß, vielleicht kommt die neue Bundesregierung doch wieder auf die Idee, die Kernkraftwerke weiter laufen zu lassen. Das war sogar eine Aussage von E.ON CEO Johannes Teyssen in seiner Eröffnungsrede. Daran kann man gut erkennen, wie verunsichert die Branche ist durch politisches Hin und Her, bzw. durch das aktuelle politische Vakuum.
Zurück in die atomare Zeit wollte Herr Teyssen mit E.ON auch gar nicht. Er fühlte sich in seiner Rede sichtlich wohl als Vorkämpfer für eine CO2-Steuer und für die Elektromobilität. Besondere Freude bereitete ihm zu verkünden, dass E.ON das am schnellsten wachsende Solar-Unternehmen sei, wohl wissend dass der Ausgangspunkt ein sehr niedriges Niveau war. Genauso verteidigte er die Elektromobilität vor den Kritikern. So sollte man sich nicht mehr auf die Diskussionen um die Reichweite einlassen. Es gelte vielmehr die Stärken der Elektrofahrzeuge zu betonen, was jedes Kind beim Quartett spielen lernt. Nur wer die besseren Werte aufweisen kann, der gewinnt auch. Daher sollte man lieber zeigen, dass man mit Elektroautos für nur 40 Euro 1000 km fahren kann, so Johannes Teyssen.
Diese Eröffnungsrede machte die Zerrissenheit in der Branche deutlich. So war für den CEO von RWE die Forderung nach einer CO2-Steuer eine Provokation. Er hält den Emissionshandel für ausreichend und wirksam genug. Immerhin kommt noch mehr als 60 Prozent des Stroms in Deutschland aus konventionellen Anlagen, die mit Kohle und Gas betrieben werden. Und der Kohleausstieg komme auch so, er sei fest einprogrammiert – so zitiert ihn das Handelsblatt.
Wie hoch ist der Druck zur Veränderung?
Der Druck zur Veränderung durch die Digitalisierung und die Energiewende ist noch nicht überall auf dem Markt angekommen. Diese Aussage von Uli Huener, verantwortlich für die Innovationen bei EnBW, bestätigen meine Außenansicht auf die Branche. Es verändert sich manches, ich nehme immer mehr Veränderungen wahr. Aber vieles bleibt in der Branche auch noch beim alten Zustand. Noch laufen die Geschäfte für viele Unternehmen gut genug. Aber wie lange geht das noch weiter so?
Exponentielle statt lineare Entwicklung
Wer sich ändern möchte, tut sich heute meistens sehr schwer. Kleine Schritte gehen alle voran, aber die Veränderungen heute sind deutlich größer. Das zeigte Frederik G. Pferdt sehr anschaulich mit dem Vergleich zwischen einer linearen und einer exponentiellen Entwicklung. Er ist Chief Innovation Evangelist bei Google und Professor an der Stanford University und weiß genau, wie die Entwicklung läuft und was heute Innovation bedeutet. So sagte er „Wer 30 lineare Schritte macht, kommt vielleicht bis zum Ende des Raumes. Aber wer 30 exponentielle Schritte macht, bewegt sich 26 mal um die Erde“.
Mit solchen exponentiellen Schritten bewegen wir uns heute in der Technologie. Das Smartphone gibt es erst zehn Jahre, das bedeutet wir konnten uns vor zehn Jahren noch nicht vorstellen dass es ein solch wichtiges Gerät geben würde. Aus diesem Grunde brauchen wir eine neue Kultur der Kreativität, die offen ist für große Veränderungen. Um eine solche Kultur in Unternehmen zu schaffen, müssen wir lernen von der häufigen Antwort auf neue Ideen „Ja, aber das geht nicht, weil …“ auf ein „Ja, und dann auch noch das und das machen“ zu wechseln.
Investor Frank Thelen zeigt die Bedeutung der disruptiven Veränderungen
Wer das noch nicht verstanden hat, was die aktuellen Veränderungen für die Branche bedeutet, dem hat am zweiten Konferenztag Gründer Investor Frank Thelen deutlich ins Gewissen geredet. Er ist bekannt aus der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ und ist dort der Experte für digitale Gründungen. Aber er konnte gut die großen disruptiven Umbrüche in der Energiewirtschaft aufzählen. Denn auch als Außenstehender sieht er, wie der Preisverfall bei der Solarenergie, bei Speichern und der Peer-to-Peer Handel, die Elektromobilität und die Digitalisierung die Energiewirtschaft verändern.
Am Beispiel der Elektromobilität zeigt er auch, dass die Entwicklung nicht aufhört. Vielleicht reisen wir in wenigen Jahren schon mit kleinen Elektro-Flugzeugen, Prototypen gibt es bereits. Dieses Beispiel untermauert seine These, dass sich die Branche in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren komplett verändern wird. Daraus folgt auch sein Appell an das Plenum der Tagung: „“Ihr müsst offen dafür sein, dass Dinge komplett neu geschrieben werden und ihr müsst in die Führung gehen. Ihr dürft nicht den Status quo verwalten. Sonst werdet ihr einfach alle sterben.“
Entscheidend ist, sich auf den Kunden einzustellen
Das klingt alles sehr hart für die Branche in diesem Textbeitrag. Ich muss auch zugeben, hier geht es nur um den Teil der Konferenz mit den großen Veränderungen. Es gab viele Vorträge und Diskussionen zu den unterschiedlichsten Themen. Entscheidend wird auch sein, wie sehr sich die Unternehmen in der Energiewirtschaft künftig auf die Bedürfnisse der Kunden einstellen können. Darauf kommt es letztlich an, zu wissen was die Kunden möchten. Das scheint auch schon eine große Veränderung zu sein, den Kunden hinter dem Zählpunkt zu entdecken.
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