Gekoppelte Gas- und Stromnetze für die Energiewende

Gastautor Portrait

Frank Merten

Wuppertal Institut

Bereits seit 1996 arbeitet Frank Merten am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie. Er leitet in der Forschungsgruppe 1 das Projekt „ Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen“. Arbeitsschwerpunkte des Diplom-Physikers sind die Systemintegration von Erneuerbaren Energien (Strom), die Systemtransformation zu einer EE-Stromversorgung sowie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).

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13. Juli 2015
Wuppertal Institut

Die Energiewende braucht neue Stromnetze und neue Energiespeicher sowie sektorenübergreifende Lösungen

Die Energiewende ist bisher vor allem eine Stromwende. Mehr als 27 % des deutschen Stromverbrauchs stammten Ende 2014 aus erneuerbaren Energien (EE), bei Wärme und Verkehr sind es dagegen nur ca. 10 % bzw. 5 %. Bis zum Jahr 2050 ist der Stromanteil auf mehr als 80 % zu steigern, um die nationalen Klimaschutzziele erfüllen zu können. Dafür ist ein erheblicher Aufbau von Überkapazitäten in Wind- und PV-Kraftwerken nötig. Die räumliche und zeitliche Struktur der Stromerzeugung verändert sich damit fundamental. Für den besseren räumlichen Ausgleich zwischen Windstromerzeugung im Norden und Lastsenken im Westen und Süden Deutschlands ist daher eine Verstärkung der Stromtransportnetze inkl. Ausbau dringend erforderlich. Für den zeitlichen Ausgleich von Perioden, in denen das EE-Stromangebot künftig die gesamte Nachfrage übersteigt und denen mit zu wenig EE-Strom, werden neue Energiespeicher benötigt. Diese müssen große Mengen an „überschüssigem“ EE-Strom aufnehmen, auch über Wochen und Monate hinweg speichern und bei Bedarf wieder in Strom umwandeln können. Die Umwandlung von EE-Strom in Wasserstoff mittels Elektrolyse (Power-to-Gas, P2G) in Kombination mit dem bestehenden Gasnetz ist dafür eine sehr vielversprechende Lösung. Für die Dekarbonisierung der anderen Sektoren (Industrie und Verkehr), werden zusätzlich sektorenübergreifende Lösungen z.B. auf der Basis von Power-to-Chemicals (P2C) und Power-to-Fuels (P2F) benötigt.

Zwischen Gas- und Stromnetz bestehen mehrfache Synergieffekte für die Strom- und Energiewende

Die Umwandlung von EE- Strom mittels Elektrolyse in Wasserstoff (P2G, EE-H2) eröffnet zusammen mit dem bestehenden Gasnetz vielfältige neue Perspektiven für die Speicherung und den Transport von EE-Strom sowie auch für eine Dekarbonisierung der anderen Sektoren (siehe Abbildung). Für die Stromwende sind zunächst die großen Gasspeicherkapazitäten (insgesamt etwa 14,5 Mrd. m3 Erdgas, inkl. aktuellem Aus-/Neubau) im Norden in der Nähe der großen Windkraftpotenziale besonders wichtig. Diese ermöglichen eine saisonale Speicherung von großen Energiemengen an EE-H2 bzw. EE-Strom. Bereits unter den heutigen Rahmenbedingungen (H2-Gasanteil max. 5 vol-%) könnte der innerhalb eines Jahres insgesamt abgeregelte Windstrom rein leistungsmäßig an wenigen Tagen dort aufgenommen und verfügbar gehalten werden. Hierbei sind die noch größeren Aufnahmekapazitäten des Gasnetzes selber noch nicht berücksichtigt. Diese anteilig erneuerbare Gasmenge steht dann über das Gasnetz nicht nur für eine Rückverstromung in Gaskraftwerken, sondern auch für eine weitere Umwandlung zu Chemikalien (P2C) und Kraftstoffen (P2F) zur Verfügung. Die weiteren Dekarbonisierungs-Optionen wie z. B. Methanisierung und Methanolsynthese des EE-H2 sowie die damit verbundenen Herausforderungen (z. B. Kosten, Energieverluste, CO2-Verfügbarkeit) seien hier der „Vollständigkeit“ halber nur genannt.

Power to Gas, Energiewende, Speicher
Vielfältige Perspektiven für Power-to-Gas (p2G) im Kontext von Engpässen im Stromnetz (DVGW/WI 2014)

Die o. g. saisonale bzw. vielfältige Speicher- und Nutzenfunktion von P2G und dem Gasnetz steht aktuell im Fokus der Diskussionen und Strategien. Sie adressieren dabei häufig den langfristigen Zeitraum, weil der zusätzliche (saisonale) Speicherbedarf voraussichtlich erst mit sehr hohen EE-Anteilen (ab ca. 80 %) nötig wird. Allerdings benötigt der Aufbau an diesbezüglich ausreichend P2G-Kapazitäten im GW-Bereich auch einen erheblichen zeitlichen Vorlauf, so dass der Handlungsbedarf bereits ohnehin mittelfristig entsteht.

Dabei wird ein weiterer wesentlicher Synergieeffekt zwischen Gas- und Stromnetz und Zusatznutzen für die Stromwende bisher vernachlässigt: Die bestehenden großen Gastransportkapazitäten zwischen Norden und Süden. Diese können für einen virtuellen Stromtransport vom Norden nach Süden via Power-to-Gas und Gasnetz genutzt werden. Besonders im Nordwesten sind große Aufnahme-, Transport- und Speicherkapazitäten für Erdgas vorhanden, die auch für die Einspeisung von EE-Wasserstoff oder EE-Methan genutzt werden können. Im Westen (und Osten) gibt es eine sehr gut ausgebaute Nord-Süd-Verbindung, die für den Abtransport der eingespeisten EE-Gase dienen kann und im Südwesten große Entnahmekapazitäten, die dann zeitgleich zu einer Abnahme von Überschussstrom im Norden die Stromerzeugung in dieser Bedarfsregion ermöglichen.

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Eigene Analysen auf Basis der zweiten dena Netzstudie zeigen, dass die dort für den Nordwesten im Jahr 2020 ermittelten nicht übertragbaren elektrischen Leistungen alternativ mittels virtuellem Stromtransport via P2G in den Südwesten übertragen werden könnten (DVGW/WI 2014). Diese Alternative ist zwar allein auf den „Stromtransport“ bezogen energetisch und ökonomisch erheblich ungünstiger als der konventionelle Stromtransport via neuen Drehstromleitungen, wobei sich dieser Nachteil gegenüber neuen HGÜ-Leitungen stark reduziert. Im Unterschied dazu wird jedoch mit P2G hauptsächlich bzw. zusätzlich Speicherkapazität aufgebaut und das dann quasi kostenlos. Der doppelte Nutzen von P2G und dem Gasnetz ist daher bei ökonomischen Bewertungen mit zu berücksichtigen. Hinzu kommt die Tatsache, dass der dringend nötige Netzausbau aus nicht-technischen Gründen verzögert wird und jedes Jahr erhebliche Folgekosten im 3-stelligen Mio.-Bereich u. a. für Abregelung und Re-Dispatch auslöst. Auch diesbezüglich könnte der virtuelle Stromtransport via P2G für eine Entlastung sorgen. Nicht zuletzt könnte er auch Überdimensionierungen beim Stromnetzausbau vermeiden helfen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Entwicklungen im Strom- und Gasbereich sowie für den Netz- und Speicherausbau stärker als bisher miteinander verzahnt werden.

Insgesamt zeigt sich damit, dass sowohl die Strom- als auch die Energiewende in mehrfacher Hinsicht von einer stärkeren Kopplung von Strom- und Gassektor profitieren kann.

Literatur- und Quellenangaben:

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