Vor wenigen Jahren habe ich – wie wohl viele Beobachter im In- und Ausland auch – die Energiewende für ein ziemlich deutsches Phänomen gehalten. Nun gut, Deutschland hatte beschlossen, aus der Kernenergie auszusteigen und die Erneuerbaren auszubauen. So habe ich auch für mich den Begriff „Energiewende“ definiert. Damals mag das noch eine tragbare Sicht gewesen sein, aus heutiger Perspektive lag ich ziemlich falsch, denn wir müssen die Energiewende weiter denken.
Die Energiewende begann ja tatsächlich mit diesen beiden politischen Entscheidungen, also dem Erneuerbaren-Ausbau und dem Kernenergieausstieg in Deutschland. EnBW ist hier intensiv beteiligt und baut ihr Portfolio für die Energiewende um. Allein die EnBW Offshore-Windparks werden 2020 – rein rechnerisch, versteht sich – etwa eine Million Haushalte versorgen können. Der EnBW Wind-Onshore-Ausbau wird 2020 eine Kapazität erreicht haben, die der eines Kernkraftwerks entspricht (1.000 Megawatt). Daneben wird massiv in die erforderliche Netzinfrastruktur investiert. Insgesamt wird der Umbau bis 2020 (nach Abzug von Desinvestitionen) die EnBW etwa 9 Milliarden EUR gekostet haben.
Mittlerweile müssen wir aber – gerade aus unternehmerischer Sicht – den Blick in mehrere Richtungen weiten, wenn wir das Phänomen „Energiewende“ noch verstehen und seine Kosten und Nutzen richtig bewerten wollen. Diese sind: Die Selbst-Transformation der Energiewende und die globale Perspektive der Energiewende. Aus unternehmerischer Sicht ist beides eine sehr gute Sache.
Mehr als Erneuerbare Erzeugung: Energiewende weiter denken

Mit Selbst-Transformation kann man das Phänomen bezeichnen, dass der Energiesektor mittlerweile durch einen dauerhaften Strukturwandel geht, der deutlich über den Kernenergieausstieg und den Erneuerbaren-Ausbau hinausführt. Dieser Strukturwandel mit seinen neuen Kundenlösungen, seiner intelligenten Infrastruktur, seiner immer flexibleren, dezentralen Erzeugung und Vermarktung und all ihren IT-technischen Voraussetzungen ist – neben dem Erneuerbaren-Ausbau – die eigentliche „Energiewende“ geworden. Sie wurde durch den massiven Ausbau der Erneuerbaren ausgelöst, aber nicht allein dadurch. Hinzu kamen die Entscheidung für einen funktionsfähigen Markt, der – wie wir gerade in der Energie-Startup-Szene beobachten können – erhebliche Kreativität freisetzt. Diese richtet sich zum einen auf Problemlösungen in einem durch Erneuerbare dominierten System; zum anderen aber auf die Befriedigung von Kundenbedürfnissen, die es früher nicht gab oder die nicht bedient werden konnten, weil die technischen Lösungen fehlten.
Strukturwandel als Qualifikationsmaßnahme
An sich ist das für ein deutsches Unternehmen eine große Chance, denn der erwähnte Strukturwandel des Energiesektors verlief bislang in Deutschland stärker als in den meisten anderen Ländern. Die beteiligten Unternehmen sind daher in ihren Erfahrungen den Akteuren anderer Länder voraus. Man könnte sagen, dass der rapide Strukturwandel in unserem Sektor wie eine Qualifikationsmaßnahme wirkt. Nie wurden – so würde ich behaupten – in unserem Sektor in so kurzer Zeit so umfassende Kompetenzen aufgebaut. Diese beziehen sich nicht allein auf die effiziente Errichtung von Erneuerbaren-Kapazitäten, sondern auch auf Bereiche wie IT und die damit einhergehende Digitalisierung, ohne die ein individualisierter Endkundenmarkt in einem durch volatile Erneuerbare geprägten System nicht denkbar wäre. Die Qualifikation bezieht sich daneben auch auf den Aufbau von moderner Infrastruktur wie Gleichstromleitungen oder smarten Verteilnetzen. Das Problem ist nur: derzeit droht die Energiewende zu stagnieren. Grund ist ein Gemenge aus Komplexität (das neue EEG hat mit Erläuterungen etwa 200 Seiten), Regelungsdefiziten (die gesetzlichen Grundlagen der Digitalisierung der Energiewende stehen in Wirklichkeit noch aus), Kosten-, Verteilungs- und Akzeptanzfragen. Gleichzeitig hat man gelegentlich den Eindruck, dass das Ambitionsniveau sinkt. Die geplanten Ausschreibungsmengen für Onshore-Windenergie wird man nur schwerlich als ehrgeizig bezeichnen können.
Den Anschluss nicht verlieren

Damit komme ich zu der globalen Dimension der Energiewende. Viele Länder machen mittlerweile ihre eigenen Energiewenden und könnten dabei deutsche Unterstützung gut brauchen. Ein wesentlicher Grund für diese globale Dimension ist gleichzeitig einer der Hauptbeiträge Deutschlands zum Klimaschutz: Die Kostensenkungen bei Erneuerbaren. Die Internationale Energie Agentur erwartet, dass 60% der neuen Stromerzeugungskapazitäten global bis 2040 Erneuerbare sein werden; Indien hat soeben sein Ausbauziel für PV auf 40 GW bis 2020 verdoppelt. Deutsche Unternehmen mit ihren heimischen Erfahrungen sollten an sich in einer idealen Ausgangsposition sein, diese Chancen aus der globalen Energiewende nun zu nutzen, indem sie ihre Erfahrungen exportieren – in Bereichen wie dem Aufbau der Erneuerbaren, der dazu erforderlichen Infrastruktur, und der Digitalisierung. Wichtig wird nun nur sein, dass Deutschland selbst nicht den Anschluss verliert. Dann hat die Welt zwar weiterhin den Nutzen, denn umgesetzt werden die Pläne auf jeden Fall – nur Deutschland hat keinen entsprechenden Anteil daran.
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