Die Energiewende ist in Baden-Württemberg in vollem Gange und mitunter geht es dabei „heiß her“. Wenn Energieprojekte geplant werden, ist Fingerspitzengefühl notwendig, auch und vor allem in der Kommunikation. Denn auf der einen Seite tragen die BürgerInnen die Energiewende im Allgemeinen mit – so lautet das Ergebnis zahlreicher Umfragen, die generell nach Akzeptanz fragen. Wenn Verantwortliche aus Politik, Kommunen und Wirtschaft jedoch vor Ort ein konkretes Projekt vorstellen, wird das Meinungsbild vielfältiger und oft auch widersprüchlicher. Als unmittelbar Betroffene nehmen die Menschen mitunter eine andere Perspektive ein als die Fachexperten, die das Projekt umsetzen sollen. Dieser Widerspruch kann Projekte behindern oder sogar gänzlich lähmen. Häufig werden dann Forderungen nach „mehr Kommunikation“, „besserer Information“ oder „Beteiligung“ laut. Doch was wünschen sich die BürgerInnen in Baden-Württemberg tatsächlich?
Akzeptanz als zentrale Voraussetzung
Die vorliegende Studie analysiert, welche Erwartungen BürgerInnen in Baden-Württemberg an Kommunikation und Beteiligung bei Energieprojekten haben, inwiefern sie sich aktiv einbringen wollen und wie Entscheidungsträger dazu stehen. Im Mittelpunkt steht die Sicht der Menschen, deren Akzeptanz als zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Projekte gilt.
Es zeigt sich, dass die BürgerInnen in Baden-Württemberg klare und detaillierte Erwartungen an Kommunikation und Beteiligung rund um Energieprojekte haben. Diese beziehen sich auf der einen Seite auf die Inhalte, die kommuniziert werden sollen. Dabei interessiert die Befragten vor allem das Thema Erneuerbare Energien. Auf der anderen Seite ist das „Wie“ der Kommunikation zentral. Die BürgerInnen erwarten transparente, neutrale, ansprechende und verständliche Kommunikation. Neben diesem übergreifenden Wunsch, der sich über alle Befragten hinweg zeigt, unterscheiden sich die Erwartungen der BürgerInnen deutlich. Vier Typen werden dabei sichtbar.
Vier Typen der Erwartungshaltung:
- „Der anspruchsvolle Informationstyp“: Er erwartet anspruchsvolle Informationen, die ihm zugetragen werden sollen. Online-Quellen lehnt er dabei ab. Inhaltlich interessiert er sich vor allem für Aspekte, die seinen Wohnort betreffen, sowie für Nutzen, Folgen und die Begründung eines Projektes. Zum Austausch und zu eigener Aktivität ist er nur begrenzt bereit.
- „Der aktive Dialogtyp“: Dieser Typ legt ebenfalls großen Wert darauf, mit Anspruch informiert zu werden. Vor allem aber will er sich selbst aktiv einbringen, sich beteiligen und sucht den Austausch mit Verantwortlichen und Entscheidungsträgern sowie anderen BürgerInnen. Sein hohes Informations- und Austauschbedürfnis will er über zahlreiche Kanäle, die auch persönliche Gespräche umfassen, befriedigen. Ihm ist wichtig, dass er informiert wird, sich informieren und einbringen kann – und vor allem dass er gehört wird.
- „Der nutzenorientierte Gesprächstyp“: Er ist Austausch und Beteiligung nicht abgeneigt, erwartet aber, dass das Gegenüber aktiv wird und auf ihn zugeht. Dabei legt er besonderen Wert auf persönliche Kommunikation, die bevorzugt vor Ort stattfinden soll. Von seinen Gesprächspartnern – möglichst keine Politiker – wünscht er sich individuellen Rat und Hilfe für eigene Entscheidungen. Darüber hinaus interessiert er sich besonders für den Nutzen und die Folgen eines Projekts.
- „Der verschlossene Heimatverbundene“: Während dem „nutzenorientierten Gesprächstyp“ der Bezug zum Wohnort weniger wichtig ist, legt dieser Typ besonderen Wert darauf. Er will wissen, wie Projekte und Entwicklungen mit seiner Heimat zusammenhängen. Er legt dabei Wert auf Details, scheut jedoch den Austausch mit Verantwortlichen sowie anderen BürgerInnen. Dies gilt auch, wenn es darum geht, sich aktiv zu beteiligen. Er will informiert sein, ohne aber direkt involviert zu werden.
Differenzierte Kommunikation erforderlich
In Baden-Württemberg, seinen Regierungsbezirken und IHK-Regionen sind diese Erwartungstypen unterschiedlich verteilt (vgl. Abb. 1). Im Bundesland insgesamt dominieren Typ 1 und 4, die jeweils knapp 30 Prozent der BürgerInnen umfassen. Typ 3 und 2 sind mit jeweils rund einem Fünftel in der Bevölkerung vertreten (22 bzw. 20 %). Im Regierungsbezirk Stuttgart zeigt sich beispielsweise mit 30 Prozent ein hoher Anteil des Typs 4. In den Bezirken Karlsruhe, Tübingen und Freiburg ist Typ 1 am stärksten. Hinsichtlich der Wohnortgröße kommen BürgerInnen des Typs 2 im Vergleich zu den anderen Typen eher aus kleineren Gemeinden und Städten, während dies für Typ 3 und 4 in Bezug auf Großstädte gilt (vgl. Abb. 2).
Angesichts dieser Unterschiede wird deutlich, dass eine einheitliche Kommunikation bei Energieprojekten ins Leere zu laufen droht. So vielstimmig die Diskussionen vor Ort oft sind, so unterschiedlich sind auch die Erwartungen und Ansichten der Bürger. Diese Unterschiede ernst zu nehmen, sie in diese Diskussion zu integrieren und konkret aufzugreifen, ist ein Ansatzpunkt, um die Distanz zwischen Bürgern und Projektverantwortlichen anzugehen. Denn wenn Verständigung und Kompromisse möglich werden sollen, genügt es nicht, nur die Denkweise der Entscheidungsträger in den Mittelpunkt zu stellen.
Hintergrund zur Studie
Die Studie „Infrastrukturprojekte im öffentlichen Diskurs“ untersucht mittels Leitfadeninterviews, Q-Sort-Befragung und repräsentativer Bevölkerungsumfrage, welche Erwartungen BürgerInnen in Baden-Württemberg an Akteure und deren Kommunikation in der Energiedebatte haben. Ihre Ergebnisse erlauben Rückschlüsse für Baden-Württemberg, seine vier Regierungsbezirke sowie zwölf IHK-Regionen. Sie sind im Buch „Energieprojekte im öffentlichen Diskurs. Erwartungen und Themeninteressen der Bevölkerung“ (Claudia Mast/Helena Stehle, 2016, Springer VS) veröffentlicht.
Die Studie ist Teil des Programms Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft der Baden-Württemberg Stiftung.
Auszug Studienergebnisse:
In Baden-Württemberg, seinen Regierungsbezirken und IHK-Regionen sind diese Erwartungstypen unterschiedlich verteilt (vgl. Abb. 1). Im Bundesland insgesamt dominieren Typ 1 und 4, die jeweils knapp 30 Prozent der BürgerInnen umfassen. Typ 3 und 2 sind mit jeweils rund einem Fünftel in der Bevölkerung vertreten (22 bzw. 20 %). Im Regierungsbezirk Stuttgart zeigt sich beispielsweise mit 30 Prozent ein hoher Anteil des Typs 4. In den Bezirken Karlsruhe, Tübingen und Freiburg ist Typ 1 am stärksten. Hinsichtlich der Wohnortgröße ist Typ 2 stärker in kleineren Gemeinden und Städten vertreten, während dies für Typ 3 und 4 in Bezug auf Großstädte gilt (vgl. Abb. 2).
Abb. 1: Erwartungstypen in Baden-Württemberg und seinen Regierungsbezirken
Abb. 2: Erwartungstypen und ihre Wohnorte
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