Dezentralisierung – der einzig gangbare Weg

Gastautor Portrait

Martin Rühl

Mitglied des Vorstandes Bündnis Bürgerenergie

Martin Rühl ist seit April 2017 im Vorstand des Bündnisses für Bürgerenergie. Bereits seit 1998 arbeitet er bei den Stadtwerken Wolfhagen, die ihn 2001 zum Geschäftsführer beriefen. Zuvor, von 1987 bis 1998, war er in der ENCO- Energieconsulting Kassel für die Energieberatung in energieintensiven Industriezweigen tätig. Ebenfalls als Geschäftsführer leitet der Diplomingenieur seit 2013 eine Stadtwerke-Kooperation von sechs nordhessischen Stadtwerken mit dem Namen Stadtwerke Union Nordhessen, die sich u. a. mit der Entwicklung von Konzepten befasst, wie eine Vollversorgung durch Erneuerbare in Nordhessen zu gestalten ist.

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20. September 2017
Beitrag Dezentralisierung Martin Rühl

Auf den ersten Blick hat Dr. Thomas Unnerstall in seinem Beitrag in diesem Blog sicher recht, wenn er auf die aktuellen Vergütungsunterschiede nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) zwischen der Stromerzeugung aus Photovoltaik-Freiflächenanlagen (ca. 6-7 ct/kWh) mit der dezentralen Stromerzeugung auf privaten Dachflächen (ca. 12 ct/kWh) hinweist. Wenig einleuchtend ist jedoch, dass er dies auf die ökonomischen Skaleneffekte ähnlich wie bei konventionellen Kraftwerken zurückführt. Es ist einleuchtend, dass mit größerer Kesselgröße und Turbinenabmessung sowohl die spezifischen Investitionskosten als auch die Betriebsaufwendungen mit zunehmender Leistungsgröße bei klassischen Kraftwerken sinken, dieser Kostenzusammenhang lässt sich jedoch nicht auf die Photovoltaik (PV) übertragen.

Kernelemente der PV-Anlage sind Wechselrichter und PV-Module, runtergebrochen auf die einzelne Einheit werden sich die Kosten der Freiflächenanlage von der Dachanlage nur durch Einkaufs- und Bestellvorteile unterscheiden. Hauptunterschied ist, dass die Dachanlage mit einem größeren Aufwand auf einem Hausdach montiert werden muss, während die Freiflächenanlage mit vergleichsweise günstigen Metallkonstruktionen errichtet werden kann. Der Preisunterschied hat also nichts mit technischen Skaleneffekten zu tun, sondern vorrangig mit den erschwerten Bedingungen für die Dachmontage.

Erfolgreiche Energiewende braucht mehr als Kosteneffizienz

Ich stimme Herrn Unterstall zu, dass die Kosteneffizienz von Bedeutung ist. Eine tragfähige Energiewende braucht aber nicht nur die Kosteneffizienz, sondern muss auch die Fragen der Umweltfreundlichkeit und Bürgerakzeptanz beantworten. Daher hier im Folgenden die wesentlichsten Vorteile der Dezentralisierung :

1. Platzbedarf/Bevölkerungsdichte

Deutschland ist ein dicht besiedeltes Land. Der Flächenverbrauch und die Flächenversiegelung nehmen weiterhin zu und konkurrieren um Flächen für Wohnbebauung, Gewerbe, Industrie, Straßen und eben auch zunehmend für die erneuerbare Energieerzeugung. Die Nutzung von Dachflächen, also Flächen die heute bereits versiegelt sind, für die energetische Nutzung zur PV-Stromerzeugung bietet sich an, weil damit weniger Freifläche für die energetische Nutzung bereitgestellt werden muss. Daher ist einem verstärkten PV-Ausbau auf vorhandenen Dachflächen der Vorzug zu geben.

2. Verbrauchsnahe Stromerzeugung reduziert den Stromtransport

Unerwähnt lässt Herr Unterstall in seinem Beitrag auch, dass der Ort der Stromherstellung in einer Gesamtbetrachtung nicht unbedeutend ist. Während Großkraftwerke darauf angewiesen sind den Strom meist über mehrere hundert Kilometer zum Verbraucher zu transportieren, entsteht der Strom auf den Hausdachanlagen meist in den Siedlungen und somit in den Verbrauchsschwerpunkten. In der Regel wird der so erzeugte Strom direkt zeitgleich zur Bedarfsdeckung im eigenen Haus verbraucht oder spätestens beim nächsten Nachbarn benötigt. Der so erzeugte Strom benötigt keine langen Transportwege und großen Übertragungsnetze. In Verbindung mit einer intelligenten Vernetzung von lokalen Speichern,

Maßnahmen zur Nachfragesteuerung und auch einer Integration des Wärme- und Mobilitätssektors, führt dies nicht nur zu einem sinkenden Strombedarf einer solchen Zelle, sondern mittelfristig zu einer sinkenden Leistungsvorhaltung. Diese Leistung muss dann weder das Verteilnetz noch das Transportnetz vorhalten. So stehen den oben genannten nachvollziehbaren Mehraufwendungen für eine dezentrale Dachmontage mittelfristige nicht unerhebliche Einsparungen auf der Netzseite gegenüber. Hinzu kommt, dass eine dezentrale, verbrauchsnahe und kleinteilige Erzeugung weitere Vorteile bei der Systemzuverlässigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Angriffe von außen mit sich bringt.

3. Bürgerakzeptanz ist unverzichtbar

Ohne das breite Engagement der vielen PV-Anlagenbetreiber hätte es die Energiewende in ihrer jetzigen Form nicht gegeben. Erst diese breite Bewegung hat dazu geführt, dass die Möglichkeiten und Chancen der Energiewende und deren örtliche Gestaltbarkeit von den Menschen wahrgenommen wurden und Eingang in die gesellschaftliche Debatte gefunden haben. Dabei hat die Menschen überzeugt selbst agieren zu können, einen wichtigen Beitrag zu ökologischen Fragen zu leisten und einen Kontrapunkt zu den verkrusteten zentralistischen fossilen und atomaren Energieversorgungssystemen der Vergangenheit setzen zu können. Diese Pioniere als Abzocker einzuordnen, die auf Kosten sozial schwacher Menschen ihren Vorteil suchen, entspricht nicht der Wahrheit. Vielmehr sollte der Gesetzgeber durch ein echtes Mieterstromgesetz damit beginnen auch vielen Mietern in Mehrfamilienhäusern einen Zugang zu günstigem PV-Strom zu verschaffen und den Mieter durch eine volle Freistellung von der EEG-Umlage mit Eigenheimbesitzern gleichstellen. So könnten mehr Hausdächer günstigen PV-Strom erzeugen und möglichst viele Menschen an diesen Vorteilen partizipieren. Wären, wie von Herrn Unterstall vorgeschlagen, von Anfang an allein Anlagen von mehr als 100 kW in den Genuss einer Förderung nach EEG gekommen, so hätte dies bestenfalls zu einer weiteren Konzentration der Kraftwerke in den Händen weniger Monopolisten geführt. Eine breite bürgerschaftliche Partizipation hätte es dann nicht gegeben.

4. Volkswirtschaftliches Optimum

Wie das Energieversorgungssystem in Deutschland am sinnvollsten transformiert werden kann, wie also zukünftig der gesamte Strom erneuerbar, versorgungssicher und möglichst preiswert bereitgestellt werden kann, wird sich technologisch in einigen Punkten sicher noch entscheiden. Unzweifelhaft ist, dass durch einen konsequenten Ausbau in vielen Regionen mit einer guten Dezentralisierung über DachsolarDurchmischung von Wind- und Solarkraftwerken ein großer Teil des regionalen Bedarfes befriedigt werden kann. Mit geschickter Integration flexibler Kraftwärmekopplung, regionalen und lokalen Speichern, einer beginnenden Nachfragesteuerung, werden viele Regionen zukünftig in der Lage sein auch große Teile der Leistung im Bedarfsfall direkt in der Zelle bereitzustellen. Der Ausbau von PV-Anlagen auf den Dächern unserer Städte ist ein wichtiger Baustein dieses zukünftigen Erzeugungsmixes.

Wo sich ein wirtschaftliches Optimum ausbildet wird die technische Entwicklung zeigen. In jedem Fall muss verhindert werden, dass teure Transport- und Übertragungsnetzkapazitäten mit weiteren erheblichen Eingriffen in den Naturhaushalt entwickelt werden, die mit fortschreitender Dezentralisierung und Eigensicherheit der einzelnen Zellen immer weniger Beschäftigung haben, aber den Strompreis in der Netzkomponente langfristig belasten werden. (Siehe auch die Aussagen der Studie des VDE zu einem zellularen Versorgungssystem.)

5. Der dezentrale Transformationsprozess verändert die alte Welt

Aus Sicht eines Stadtwerkes oder regionalen Versorgers wäre die Welt natürlich viel einfacher, wenn die Energiewende vorrangig nicht auf den Hausdächern stattfinden würde, sondern wenigstens weiterhin sich neue Betätigungsfelder bei größeren Wind- und PV-Freiflächenanlagen erschließen würden. Schließlich verändert sich mit den Eigenversorgungsanlagen auf den Dächern das gesamte System. Die Netze haben mittelfristig eine andere Funktion, die Vertriebsmengen sinken und auch die langfristigen Rahmenbedingungen für Kraft-Wärmekopplungsanlagen müssen sich irgendwann dem Prüfstein der Dekarbonisierung stellen.

Für Stadtwerke sind dies echte Herausforderungen und ein anspruchsvoller Transformationsprozess. Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich eine Stadtwerkekooperation führe, die selbst auf dem Weg ist eine neuen Rolle zu finden. Alte Einnahmequellen werden versiegen, neue Betätigungsfelder werden sich vielleicht aber auch in der dezentralen Energiewende auf den Hausdächern und in Quartierskonzepten erschließen. In Bezug auf die drängenden Probleme der bereits eindringlich sichtbaren Klimafolgen könnten sich Stadtwerke zukünftig stärker als Partner der Bürger und Unterstützer dieser Energiewende von unten sehen.

Gemeinsam an der Dezentralisierung arbeiten

Damit der lokale Transformationsprozess gut gelingen kann, gibt es viele technisch anspruchsvolle Aufgaben, die neu entstehen und von Stadtwerken proaktiv entwickelt werden könnten. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die notwendigen Schritte eines forcierten Umbaus unseres Versorgungssystems voranzutreiben. In Anbetracht der unumkehrbaren Auswirkungen unseres Handelns werden zukünftige Generationen wenig Verständnis für unser Festhalten an alten Positionen haben.

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  1. Norbert Kuntz

    vor 7 Jahren

    Sehr ausgewogener Beitrag. Neben eigenen PV-Anlagen betreue ich ehrenamtlich eine Bürgersolaranlage auf einem Schuldach und gab Hilfestellung bei Gemeinschaftsanlagen von Hauseigentümergemeinschaften. Die bürokratischen Hemmnisse sind inzwischen zu hoch (besonders beim Eigenverbrauch) und sollten dringend entrümpelt werden.

    Bürgersolaranlagen nutzen brachliegende Dachflächen der Umgebung, fördern das Umweltbewusstsein und stärken das Gemeinschaftsgefühl. Merkmale einer seriösen Bürgersolaranlage:
    - Keine Fremdfinanzierungsanteile
    - keine Renditeversprechen
    - keine aktive Werbung
    - keine ortsfremden "Investoren"
    - volle Transparenz und Mitbestimmung von der Auftragsvergabe bis zum Betrieb
    - ehrenamtliche Betreuung mit Leuten vor Ort.

  2. hfrik

    vor 7 Jahren

    Ob man eine heutige Trasse mit 2 Systemen mit 6x( 4x185/32 Al/St) Leiterseilen und 2x1,4 GW Transportkapazität untehält, oder ob man die ausgebaute Trasse mit 12 x (4x850/150AlSt) und 6x5GW HVDC-Übertragungskapazität unterhält, kostet nahezu das gleiche. Die erstere trasse überträgt aber unter Einhaltung der n-1-Regel 1,4 GW, die letztere 25GW. Letztere ist genau gleich hoch wie erstere, und nur ca. 10m breiter, was den meisten Leuten erst auffällt wenn man es ihnen sagt. und hat weniger Verluste - man kann so bequem vom Starkwindgebiet in die Flaute transportieren, oder den Sonnenschein morgens und abends ein paar Stunden verlängern.
    Es wäre so einfach wenn nicht viele immeroch die Höchstspannungsleitung als Stellvertreter der Atomkraft in der eigenen Nachbarschaft sehen würden. Die Höchstspannungsleitung ist der KErn der Energiewende.
    Oder um zu den Anfängen zurückzugehen - die erste Hochspannungsleitung in D wurde geabaut um "die Schankenden Kräfte der Wasserkraft in den Bergen und die schwankenden Kräfte des Windes an der Küste gegeneinander auszugleichen". So schlau war man schon vor 150 Jahren. Es wird Zeit sich wieder daran zu erinnern.

  3. hfrik

    vor 7 Jahren

    An dem Artikel ist das weitverbreitet Msisverständnis bezüglich der Übertragungsnetze zu bemängeln.
    Wenn man nicht den überwiegenden Teil der Versorgung aus Biomasse bestreitet, was mit der gegebenen Biomasse im grossen Maßstab nicht funktioniert, dann gehört zur dezentralen Erzeugung der überregionale Verbrauch. Und eben nicht der regionale Verbrauch.
    Es liegt in der Natur von Wind/Sonne lokal zu schwanken.
    Was bedeutet dass eine Region, die sich im Mittel mit EE selbst versorgt, wird über Tage/Wochen grössere Teile ihres Bedarfs aus sonnigen/windigen Regionen beziehen. und zu anderen Zeiten einen erhebliche Überschuss aufweisen, der dann nach aussen abgegeben wird.
    Dies bedeutet, dass mindestens zeitweise das Übertragnungsnetz den Strom transportieren muss, aber eben nicht mehr wie heute 100 km oder ein bischen mehr vom Grosskraftwerk zum Verbraucher, immer in einer Richtung, sondern in wechselnden Richtungen mal 500, mal 3000km, wie es das Wetter gerade will.
    Sprich das pendant zur dezentralen Energiewende ist das leistungsstarke und grosse Übertragungsnetz, in dem man sich zurücklehnen kann und zusehen kann wie der Strom immer von da wo Überfluss ist dahin fliesst wo er gerade gebraucht wird, und wie von Zauberhand (aber tatsächlich basierend auf harten physikalischen/mathematischen Fakten) trotz aller Veränderlichkeit des Wetters der Strom nie ausgeht.
    Das vermeidet die stark Verlustbehafteten und irrsinnig teuren Speicher, ebenso wie die Teller-Tank-Problematik oder einen für die Landschaft sehr belastenden Ausbau der Biomassenutzung.
    Dafür reicht es, aus dem Kalten Krieg hintelassenen Löcher im Netz sowie wenige Ergänzungen mit neuen Trassen zu stopfen, sowie ansonsten bestehende Trassen zu verstärken, was optisch kaum auffällt.
    Netzausbau ist billig. Speicherausbau und der krampfhafte Versuch alles lokal im Klein-Klein auszugleichen ist irrsinnig teuer, und eine Fehlentwicklung die in der zukunft hohe finanzelle Belastungen verursachen würden.

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