Blockchain in der Energiewirtschaft – das hat uns gerade noch gefehlt?!

Gastautor Portrait

Dr. Thomas Brenner

Dr. Langniß - Energie & Analyse

Dr. Thomas Brenner ist Senior Consultant beim Beratungsunternehmen Dr. Langniß - Energie & Analyse sowie seit 2016 CTO des Start-Ups OLI Systems, das Hard- und Softwarelösungen auf Blockchainbasis für Kunden aus dem Energiesektor entwickelt. Nach dem Studium an der ETH Zürich, der Promotion in Physik an der University of Cambridge, sowie weiteren Stationen am Max-Planck-Institut in Erlangen und der Universität Potsdam beschäftigt er sich mit Smart Grids-Projekten in Deutschland und Europa.

weiterlesen
06. Dezember 2017

Es vergeht momentan kaum ein Tag ohne Neuigkeiten zum Thema Blockchain – neben der Finanzwirtschaft ist die Aufregung insbesondere im Energiebereich groß. Seit dem ersten publikumswirksamen Einsatz von Blockchain durch LO3 Energy in Brooklyn im Jahr 2016 ist das Interesse sprunghaft gestiegen und zahlreiche Energieversorger, Stadtwerke und Netzbetreiber sind auf „Blockchain“ aufmerksam geworden. Verspricht sie doch auf den ersten Blick Lösungen zur umfassenden Digitalisierung von Prozessen und Geschäftsmodellen und gleichzeitig signalisiert der Einstieg in die Blockchain Technologie gegenüber Kunden und Investoren Innovationsbereitschaft und Zukunftsorientierung. Zwei Start-Ups, Grid+ aus den USA und Power Ledger aus Australien haben in diesem Herbst erst ca. 40 Mio. US$ respektive 34 Mio. US$ an Kapital eingeworben, die Hoffnungen sind also riesig.

Passen Blockchaintechnologie und Energiewelt zusammen – und wenn ja, wie?

Angesichts dieser Tatsache stellt sich mir die Frage, welche der oft in Studien, etwa der des BDEW oder den Whitepapers der neu entstehenden Start-Ups erwähnten Einsatzgebiete tatsächlich von Blockchain Technologie profitieren können und wie eine solche Umsetzung konkret aussehen kann. Oder, zugespitzt formuliert – sollen die Kunden etwas davon bemerken und wenn ja, wann und wo?

Brave New Blockchain World

An Visionen mangelt es der Blockchain-Community im Energiebereich nicht. Oft steht der vollautomatisierte Peer-to-Peer (P2P) Direkthandel von Energie(-Dienstleistungen) auf einer sogenannten öffentlichen Blockchain im Fokus. Bildlich gesprochen heißt das: Paul bezieht seinen Strom vom Dach, aus Sabines Batteriespeicher – falls sie gerade Überschüsse produziert – und falls nicht, von Bauer Hansens Windpark. Das alles, ohne einen Finger zu rühren, blitzschnell, günstig, für alle transparent, ohne „klassischen“ Stromlieferanten und ohne Einbußen bei der Versorgungssicherheit.

Das Potenzial dazu hat die Technologie, ohne Frage, doch wie viel davon lässt sich konkret bereits heute oder in naher Zukunft realisieren?

Die harte Landung – Regulatorik in Deutschland und weltweit

Wie auch bei einem anderen aktuellen Megathema, dem „Autonomen Fahren“, steht dabei die bestehende Regulatorik im Weg. Die Rolle des Energieversorgers und Energiedienstleisters ist mit zahlreichen Pflichten und Kosten verbunden. Die Besitzer einer kleinen Photovoltaikanlage wissen, wovon ich spreche. Dabei verhält sich die Rolle des Photovoltaikanlagenbesitzers zur geplanten Rolle des Blockchain-Energielieferanten etwa so wie das Aufbacken einer Tiefkühlpizza zum Betrieb einer Pizzeria. Registrierungs- und, Berichtspflichten, Schadensersatzregelungen bei Nichtlieferung, Energiemindestmengen beim Handel oder die sogenannte Präqualifikation werden notwendig, sobald mit Dritten gehandelt wird. Realistisch gesehen ist aus meiner Sicht also die schöne, neue P2P-Blockchainwelt aktuell so nicht umsetzbar.

Warum Energiewende und Blockchain – dennoch ein gutes Team bilden

Nichtsdestotrotz lohnt ein zweiter Blick, denn aus meiner Sicht passen eine dezentral organisierte Energiewelt auf der einen, und die Blockchain als verteilte IT-Infrastruktur sehr gut zueinander. Neben den Vorteilen bei der Fälschungssicherheit – der Aufwand, die Daten in einer Blockchain nachträglich zu ändern ist sehr groß – bieten auch „permissioned blockchains“, Blockchains mit „Zugangskontrolle“, einen großen Transparenz- und Effizienzgewinn. Ein einfaches Beispiel hierzu: Paul liefert seinen Überschussstrom an die Smarthausen Strom GmbH – diese löst die Zahlung mittels eines „Smart Contracts“, einer Verhaltensvorschrift auf der Blockchain, bei Lieferung automatisch aus, ohne Zwischenhändler und ohne gegenseitiges Vertrauen der beiden Parteien.

Auf der Spur des dezentral erzeugten Stromes

Der anlagenscharfe, kilowattstundengenaue Herkunftsnachweis von Strom aus kleinen Erzeugungsanlagen ist ein vielversprechendes Einsatzgebiet: Stromlieferanten und Erzeuger wissen dadurch minutengenau über den Zustand und die Einspeiseleistung ihrer Anlagen Bescheid – in der Blockchain werden die Daten fälschungssicher dokumentiert. Anstelle eines Pauschalnachweises auf der Jahresrechnung können der Energiebezug und die damit verbundenen CO2-Emissionen regional und zeitlich hochaufgelöst, sicher und einfach jederzeit nachvollzogen werden.

Blockchain in der Energiewirtschaft – das hat uns gerade noch gefehlt?!

Jede Kilowattstunde wird nach Herkunftsort, Erzeugungszeitpunkt und Anlagentyp „etikettiert“ und in der Blockchain hinterlegt.

Bilanzkreismanagement – nicht publikumswirksam, aber für Blockchain interessant

Potenzial sehe ich ebenso bei den Prozessen im Bilanzkreismanagement. Abweichungen von den gemeldeten Fahrplänen kommen den Bilanzkreisverantwortlichen (BKV) und damit letztlich den Endkunden teuer zu stehen – die Kosten dafür betrugen in Deutschland im Jahr 2014 über eine Milliarde Euro. Werden Lasten und Erzeuger via Blockchain großflächig erfasst, kann der BKV den Prognosefehler senken, Abweichungen kann er leichter durch kurzfristiges Nachkaufen an der Strombörse korrigieren und schließlich ist auch das automatisierte Ansteuern einzelner Anlagen über Smart Contracts zur Korrektur von Abweichungen möglich. Dies setzen wir derzeit auch bei der OLI Systems um.

Ein faires Regelwerk schaffen

Die oben beschriebenen Anwendungen, aber auch der Einsatz von Blockchain Technologie zum Betrieb von Quartiersnetzen im nichtregulierten Bereich oder zur Abrechnung von Ladevorgängen an Ladesäulen sind im aktuellen regulatorischen Rahmen umsetzbar. Um jedoch einer Welt näherzukommen, die auch den „normalen“ Stromkunden und Prosumenten mehr Teilhabe am Energiemarkt via Blockchain ermöglicht, wie es die Visionen versprechen, sind Fortschritte bei der Regulierung unabdingbar. Ohne etwa die rechtsverbindliche Anerkennung von Smart Contracts in einer Blockchain, in der die Marktteilnehmer eindeutig identifizierbar sind, geht es meines Erachtens nicht.

Der Blick nach vorne – 06.12.2018

Lassen Sie uns zum Schluss in der Zeit um ein Jahr nach vorne springen und einen kurzen Ausblick wagen, wie die ersten Blockchain-Anwendungen im Jahr 2018 die Energiebranche beeinflusst haben: Die Steuerung von Anlagen sowie deren Abrechnung wurde in ersten Pilotprojekten in Kooperation zwischen Energieversorgern und Start-Ups erfolgreich demonstriert. Stromkunden können aus den ersten anlagenscharfen Tarifen der innovativen Lieferanten wählen – dabei handelt es sich nicht um einen Marketinggag, sondern die App zeigt dem Kunden jederzeit, woher der Strom gerade kommt. Und die neue Bundesregierung hat erkannt, dass der Einsatz von Blockchain im Energiesektor nicht nur das viel strapazierte Schlagwort „Digitalisierung“ mit Leben füllen, sondern dank regulatorischer Anpassungen einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Energiewende und zur Dekarbonisierung unserer Energieversorgung leisten kann.

Diskutieren Sie mit

Ich akzeptiere die Kommentarrichtlinien sowie die Datenschutzbestimmungen* *Pflichtfelder

Artikel bewerten und teilen

Blockchain in der Energiewirtschaft – das hat uns gerade noch gefehlt?!
4.6
7