Kohle in der Lausitz und China-Tech in Thüringen – sieht so die Wirtschaftspolitik der Zukunft aus?

Gastautor Portrait

Dr. Ingrid Nestle MdB

Sprecherin für Energiewirtschaft der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Dr. Ingrid Nestle, geboren 1977, studierte Umwelt- und Energiemanagement in Flensburg. Sie saß von 2009-2012 als erstmals als energiewirtschaftliche Sprecherin für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag und legte vorzeitig ihr Mandat nieder. Von 2012-2017 wurde sie zur Staatssekretärin für Energiewende und technischen Umweltschutz im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in Schleswig-Holstein. Seit 2017 sitz sie wieder für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als energiewirtschaftliche Sprecherin und Sprecherin im Bundestag. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie und sitzt im Beirat der Bundesnetzagentur.

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19. Juli 2018
Braunkohleabbau mit Kraftwerken im Hintergrund zum Thema Wirtschaftspolitik der Zukunft
Foto: pixabay

Im dritten Anlauf war es endlich soweit. Nachdem Streitigkeiten über die Besetzung der Kommission ihren Start zweimal verzögerten, gaben Union und SPD am 06.06.18 grünes Licht. Grünes Licht für eine Kommission, die momentan als einziges klimapolitisches Thema Aufmerksamkeit in einer deutschen Medienlandschaft erfährt, welche ansonsten nahezu alle Blicke auf einen von AfD und CSU vergifteten Flüchtlingsdiskurs richtet.

Schon der Name der Kommission „Strukturwandel, Wachstum und Beschäftigung“ wirft eine wichtige Frage auf: Wie kann eine Kommission, deren Endergebnis in erheblichen Maße über den Erfolg deutscher Klimaschutzpolitik entscheiden wird, weder das Wort „Kohle“ noch das Wort „Klima“ im Namen tragen? Die Antwort lieferte Wirtschaftsminister Peter Altmaier am Tag der Einsetzung: Es gehe zwar um Klimaschutz, aber „sehr prominent“ auch um Arbeitsplätze.

Die Bekämpfung der Klimakrise darf nicht in den Subkontext rutschen

Der Versuch, den Kohleausstieg mit Verweis auf Arbeitsplätze und Strukturwandel zu verzögern, ist ein weiteres Einknicken vor der Kohlelobby

Dr. Ingrid Nestle MdB

Eines vorweg: Der Kampf um Arbeitsplätze ist ehrenwert. Hinter jedem Arbeitsplatz steht ein persönliches Schicksal. Aber reicht wirklich eine Fokussierung auf die Beschäftigungsverhältnisse? Und wie kann es sein, dass die Bekämpfung der größten Gegenwartskrise, der Klimakrise, in den Subkontext rutscht?

In einem Interview mit der SZ machte Klimaforscher Hans Joachim Schnellnhuber den Ernst der Lage kürzlich nochmal deutlich: Im Vergleich zur Perm-Trias-Grenze, in deren Zeitraum das größte Massenaussterben der Erdgeschichte stattfand, erwärmt sich die Erde heute hundertmal so schnell. Schnellnhuber hält diese Entwicklung für einen „kollektiven Suizidversuch“.

Im Jahr 2017 arbeiteten laut Angaben des „Bundesverbandes Braunkohle“ 20.891 Menschen in deutschen Braunkohletagebauen und den dazugehörigen Kraftwerken. Zum Vergleich: Rund 330.000 Menschen verdienen in Deutschland ihr tägliches Brot mit der Produktion, Installation oder dem Betrieb Erneuerbarer Energien (Stand 2015). Doch durch die Beschränkungen beim Ausbau der Erneuerbaren gerät die Branche zunehmend unter Druck. Ein Festhalten an der Kohle würde die EE-Industrie weiter in Bedrängnis bringen.

Seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der Arbeitsplätze rund um die Braunkohle um ca. 95.000 gesunken. Wo blieb die Empörung der Politik? Wo blieb sie, als über 100.000 Arbeitsplätze in der Solarbranche verloren gingen? Würde es der Politik wirklich um die Arbeitsplätze gehen, gäbe es Möglichkeiten, die betroffenen Personen fair zu entschädigen und umzuschulen. Dafür könnte man Teile der Subventionen aufwenden, die mit dem Auslaufen der Steinkohle zur Verfügung stehen. Bei einer jährlichen Förderung von 1,09 Milliarden Euro durch Bund und Länder wäre der finanzielle Spielraum gegeben.

Der Versuch, den Kohleausstieg mit Verweis auf Arbeitsplätze und Strukturwandel zu verzögern, ist ein weiteres Einknicken vor der Kohlelobby. Außerdem ist er das Eingeständnis von politischen Versäumnissen im ländlichen Raum. Denn natürlich müssen vor allem die Lausitz und das mitteldeutsche Braunkohlerevier besondere Aufmerksamkeit erfahren. Der Handlungsbedarf ist wie in vielen anderen strukturschwachen Regionen Deutschlands riesig. Diese Herausforderungen müssen aber unabhängig von der Frage angegangen werden, wann Deutschland aus der Kohle aussteigt.

Versäumnisse der regionalen Strukturpolitik

Die Energiewende geht nicht ohne den Kohleausstieg, aber auch nicht nur mit dem Kohleausstieg

Dr. Ingrid Nestle MdB

Es geht um Fragen der Infrastruktur und um Fragen der Ansiedlung innovativer Wirtschaftszweige. Hier verschläft die Bundesregierung wichtige Entwicklungen und setzt falsche Prioritäten. In Thüringen wird bald der chinesische Batteriehersteller CATL eine Zellfertigung für Elektrofahrzeuge errichten. Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, einen deutschen Investor für eine Zukunftstechnologie zu finden, die das Potenzial hat, ein Jobmotor für künftige Generationen zu sein. Stattdessen klammert man sich mit dem Braunkohletagebau an eine klimaschädliche und immer unwirtschaftlicher werdende Branche. Kohle in der Lausitz und China-Tech in Thüringen – sieht so die Wirtschaftspolitik der Zukunft aus?

Eine zukunftsgerichtete Strukturpolitik nimmt auch die Fragen nach ausreichend Kitaplätzen, einer guten medizinischen Versorgung sowie schnellem Internet in den Blick. Im Kern verfolgt sie das Ziel, die Lebensbedingungen der Menschen so zu gestalten, dass sie in ihrer Heimat glücklich werden und bleiben wollen. Doch weil Antworten auf diese großen Herausforderungen fehlen, wird der Scheinwerfer immer wieder auf Scheindebatten gelenkt.

Noch vor dem zweiten Treffen der Kommission war in den Medien zu lesen, dass das Abschalten von sieben Gigawatt Kohle in den Verhandlungen keine realistische Option sei. So werden die Klimaziele nicht zu halten sein. Die durch das Verfehlen des 2020-Ziels bereits angeknackste klimapolitische Glaubwürdigkeit wäre endgültig zerstört. Wichtig ist nicht das genaue Ausstiegsdatum. Wichtig ist, dass schnell substantiell Kapazitäten stillgelegt werden.

Es gibt auch Grund zur Hoffnung

Die Energiewende geht nicht ohne den Kohleausstieg, aber auch nicht nur mit dem Kohleausstieg. Der Transformationsprozess in eine grüne Zukunft muss jetzt mit aller Entschlossenheit und den nötigen energie- und verkehrspolitischen Weichenstellungen eingeleitet werden. Dazu zählen unter anderem eine sektorübergreifende CO2-Bepreisung, ambitionierte CO2-Grenzwerte für Fahrzeuge, höhere Effizienzstandards im Gebäudesektor, enorme Anstrengungen beim Ausbau der Stromnetze und eine bessere Auslastung der Bestandsnetze. Nur so kann es gelingen, Deutschland fit für eine fossilfreie Zukunft zu machen.

Bei aller Kritik gibt es aber auch Grund zur Hoffnung. Niemand kann sich ein Scheitern der Kommission wünschen. Sie bildet den Lackmustest für das Aushandeln zukünftiger gesellschaftlicher Veränderungen. Ein Scheitern wäre ein fatales Signal für alle zukünftigen Transformationsprozesse. Ein Erfolg wiederum ein Zeichen, dass auch in einer sich zunehmend polarisierenden Gesellschaft gute Kompromisse möglich sind.

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  1. Staffan Reveman

    vor 6 Jahren

    Wenn wir uns von Kohle und Kernenergie trennen wollen, insgesamt fast 50% der Erzeugungskapazität und gleichzeitig wesentlich mehr Strom für die E-Mobilität benötigen, haben wir ein Problem. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken extrem energieintensive Industrien wie Batteriezellenfertigung ins EU-Ausland zu verlegen wo extrem viel Wasserkraft vorhanden ist.

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