Vermeiden statt kompensieren: Was eine Veranstaltung wirklich klimafair macht

Gastautor Portrait

Dr. Olga Panic-Savanovic

Referentin bei der Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg

Olga Panic-Savanovic ist Referentin bei der Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg. Sie entwickelt und leitet Programme und Projekte im Bereich Klimafinanzierung und unternehmerischer Klimaschutz. Zuvor war sie in der Wirtschaft als Projektmanagerin im Bereich Umweltdienstleistungen tätig. Sie promovierte im Umweltingenieurwesen.

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29. Oktober 2025

Ein Gespräch mit Dr. Olga Panic-Savanovic über wirksamen Klimaschutz bei Veranstaltungen, die Grenzen der „Klimaneutralität“ und die positiven Effekte, die weit über das Event hinausgehen. Dieses Redaktionsinterview mit unserem Gast führte Melanie Peschel.

Zum Hintergrund: Die Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg, eine Tochter der Baden-Württemberg Stiftung, hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Land, Unternehmen und die Bevölkerung auf dem Weg in eine klimafaire Zukunft zu begleiten. Ein Instrument dafür ist das Label „Klimafaire Veranstaltung“. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff „klimafair“, und wie unterscheidet er sich vom allgegenwärtigen „klimaneutral“? Im Gespräch erläutert Dr. Olga Panic-Savanovic, Referentin bei der Klimaschutzstiftung, die Philosophie des Labels, die praktischen Herausforderungen für Organisatoren und die weitreichenden Wirkungen, die eine konsequente Planung nach sich zieht.

Was eine Veranstaltung wirklich klimafair macht

Redaktion: Frau Dr. Panic-Savanovic, die Klimaschutzstiftung hat sich bewusst für den Begriff „klimafair“ entschieden, obwohl „klimaneutral“ in der öffentlichen Wahrnehmung viel verbreiteter ist. Welche Überlegung steckt dahinter?

Dr. Olga Panic-Savanovic:

Wir haben uns bewusst gegen den Neutralitätsbegriff entschieden, denn der Anspruch der Klimaneutralität ist oft nur schwer zu erfüllen. Unser Ziel war es, ein Label anzubieten, das primär zur Vermeidung und Reduktion von Emissionen motiviert. Das Thema Kompensation, auf das der Begriff der Neutralität abzielt, stand für uns nicht im Vordergrund. Zudem funktioniert das Prinzip der Klimaneutralität im freiwilligen Kohlenstoffmarkt kaum noch, da nicht ausreichend Zertifikate zur Verfügung stehen, die eine echte Kompensation ermöglichen. Der Trend geht vielmehr in Richtung „Contribution Claiming“: Man erwirbt Zertifikate, um Klimaverantwortung zu übernehmen, zahlt damit aber nicht auf ein Kompensations- oder Neutralitätsziel ein. Unsere Entscheidung für „klimafair“ fiel zu einem Zeitpunkt, als bereits absehbar war, dass das Versprechen der Klimaneutralität schwierig zu halten sein wird.

Uns ging es vor allen Dingen darum, das Thema Vermeidung und Reduktion in den Vordergrund zu stellen.

Dr. Olga Panic-Savanovic

Redaktion: Das Label bzw. vielmehr der Erhalt des Labels basiert auf einer detaillierten Checkliste. Wie können sich Veranstalter diesen Prozess vorstellen?

Dr. Olga Panic-Savanovic:

Die Checkliste dient als Unterstützung, um eine Veranstaltung möglichst emissionsarm zu planen. Sie deckt alle typischen Bereiche ab: Mobilität, Catering, Unterkunft, Einkauf, Abfall und Energie. Für jeden Bereich sind konkrete Maßnahmen definiert, deren Umsetzung die Emissionen vermeiden oder reduzieren hilft. Unsere Vorgabe ist, dass mindestens 80 Prozent dieser Maßnahmen erfüllt werden müssen. Im Gegensatz zu anderen Labels handelt es sich hierbei nicht um eine reine Selbstauskunft. Die ausgefüllte Checkliste wird an uns geschickt, und wir überprüfen die Angaben auf Plausibilität und Stimmigkeit. Wenn uns Widersprüche auffallen, haken wir nach. Dieser Dialog wird von den Organisationen durchweg als wertvolle Lernkurve wahrgenommen. Er gibt ihnen die Möglichkeit, die eigenen Prozesse zu spiegeln und sicherzustellen, dass die ergriffenen Maßnahmen Hand und Fuß haben.

Redaktion: Dieser Prozess scheint nicht nur den Veranstalter selbst, sondern auch dessen Partner und Dienstleister zu involvieren. Sie schaffen damit eine Art „Bewusstseinslieferkette“. War dieser Effekt von Anfang an beabsichtigt?

Dr. Olga Panic-Savanovic:

Unser primäres Ziel war es, über die vielen Besuchenden von Veranstaltungen große Multiplikatoreffekte für das Thema Klimaschutz zu erzielen. Es war auch absehbar, dass die interne Auseinandersetzung mit den Maßnahmen Veränderungsprozesse in den Organisationen anstoßen würde. Was uns im Vorfeld jedoch nicht in diesem Ausmaß klar war, war die tatsächliche Auswirkung auf die Dienstleister. Wir haben immer wieder gehört, dass Caterer plötzlich ihr Menü angepasst und mehr regionale oder vegetarische Angebote aufgenommen haben. Es hat sich also nicht nur in den internen Beschaffungsprozessen etwas verändert, sondern auch bei den Partnern.

Redaktion: Und das Ergebnis ist messbar?

Dr. Olga Panic-Savanovic:

Ja, die bessere Planung im Vorfeld durch die Checkliste führt dazu, dass tatsächlich deutlich weniger Emissionen erzielt werden. Veranstaltungen können so bis zu 30 Prozentweniger Emissionen aufweisen, das hat die Praxis der vergangenen Jahre gezeigt.

Redaktion: Was geschieht mit den Emissionen, die sich trotz aller Bemühungen nicht vermeiden lassen?

Dr. Olga Panic-Savanovic:

Für die verbleibenden Restemissionen übernehmen wir Verantwortung, indem wir Klimaschutzprojekte finanzieren. Seit 2025 verwenden wir hierfür ausschließlich Zertifikate aus einem Projekt in Burundi, was unter „Contribution Claiming“ fällt. Diese Klimafinanzierung für Projekte im Globalen Süden verbinden wir stets mit einem regionalen Beitrag, der Klimaschutzprojekte hier in Baden-Württemberg unterstützt. Die Wirkung entfaltet sich also an mehreren Stellen: am Veranstaltungsort durch Reduktion, in Burundi durch Klimaschutzprojekte sowie in Baden-Württemberg durch die Übernahme von Verantwortung für die Restemissionen.

Redaktion: In Baden-Württemberg gibt es mit Green Event BW ein weiteres Label, welches vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg vergeben wird. Wo liegen die wesentlichen Unterschiede zu Ihrem Angebot?

Dr. Olga Panic-Savanovic:

Wir standen dazu im Vorfeld eng mit dem baden-württembergischen Umweltministerium im Austausch. Der wesentliche Unterschied ist, dass wir uns mit unserem Label klar auf die Themen Emissionen und Klimaschutz fokussieren: Wie kann ich Emissionen vermeiden und reduzieren? Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass wir für jede Veranstaltung die Emissionen bilanzieren. Jede Organisation erhält am Ende einen Event-Footprint und weiß genau, wie viel CO2 ausgestoßen wurde. Das hilft enorm dabei, die größten Stellhebel zu verstehen und zukünftige Maßnahmen zur Reduktion abzuleiten. Und schließlich haben wir die Komponente der Klimafinanzierung für die Restemissionen, was bei Green Event BW nicht der Fall ist.

Redaktion: Wo sehen Veranstalter die größten Herausforderungen, wenn sie ein Event erstmals klimafair ausrichten wollen?

Dr. Olga Panic-Savanovic:

Eine der größten Herausforderungen und gleichzeitig der größte Emissionstreiber ist das Thema Mobilität, also die An- und Abreise der Gäste. Hier die Daten gut aufzunehmen, stellt viele Organisatoren beim ersten Mal vor eine Herausforderung. Es ist entscheidend, die Anreise der Gäste konsequent abzufragen, etwa über ein Dropdown-Menü im Anmeldeformular. Der Aufwand ist gering, der Nutzen aber enorm. Eine unsaubere Datenerhebung ist das Einfallstor für Greenwashing – nicht erst beim Zertifikat, sondern schon bei der Datengrundlage.

Und dazukommt: Unser Prozess hilft den Veranstaltern auch dabei, den Blick genau auf solche großen Hebel zu lenken. Anstatt sich in Details mit geringerem Einfluss zu verlieren, können sie ihre Anstrengungen dort konzentrieren, wo sie die größte Wirkung für den Klimaschutz erzielen.

Wenn die Datenerhebung nicht vernünftig gemacht ist, ist das schon der erste Schritt, wo es in Richtung Greenwashing geht.

Dr. Olga Panic-Savanovic

Redaktion: Trotz des anfänglichen Aufwands bleiben viele Organisationen dabei und wiederholen den Prozess mit der Checkliste auch bei ihrer nächsten Veranstaltung mit dem Ergebnis, wieder eine klimafaire Veranstaltung durchführen zu können. Ein Erfolgsmodell?

Dr. Olga Panic-Savanovic:

Ja, wir haben sehr viele wiederkehrende Organisationen, die immer wieder ihre nächste Veranstaltung mit uns klimafair ausgestalten. Schon beim zweiten Mal sind die Prozesse etabliert, und der Aufwand für die Datenerhebung ist bereits sehr viel geringer. Das zeigt, dass der Lerneffekt groß ist.

Redaktion: Was ist aus Ihrer Sicht der wichtigste Erfolg des Labels „Klimafaire Veranstaltung“?

Dr. Olga Panic-Savanovic:

Dass wir es wirklich geschafft haben, für das Thema zu sensibilisieren und Multiplikatoreffekte zu erzielen. Die Wirkung entsteht nach außen, bei allen Stakeholdern, die an der Veranstaltung beteiligt sind. Gleichzeitig werden in den Organisationen Kompetenzen zur Klimabilanzierung aufgebaut. Das Label ist ein sehr niederschwelliger Einstieg für eine Organisation, sich dem komplexen Thema Klimabilanz zu nähern – von der Berechnung über die Reduktion bis hin zur Übernahme von Verantwortung.

Redaktion: Können wir uns ein Best Practice Beispiel ansehen?

Dr. Olga Panic-Savanovic:

Im Zuge einer Veranstaltungsplanung wurden – zur Reduktion von Mobilitätsemissionen – sogar Sonderzüge organisiert!

Ich erinnere mich daran, was die verantwortliche CSR- und Nachhaltigkeitsmanagerin erzählte:

Sie bestätigte, dass einer der größten Hebel bei der CO2-Vermeidung ist die Mobilität der Teilnehmenden ist. So plante man im konkreten Fall, Sonderzüge und Buslinien aus dem gesamten Bundesgebiet mit Schwerpunkt Baden-Württemberg und bezog den ÖPNV in die Veranstaltungsplanung stark mit ein. So konnten die individuellen Anreisen der über 8.000 Teilnehmenden auf ca. 20 Prozent reduziert werden.

Die Kommunikation und der Austausch mit allen an der Veranstaltung Beteiligten bringt den Effekt, dass die Event-Branche sich gemeinsam transformiert und Lösungen findet, die dann zum Standard werden. Besonders die transparente Kommunikation mit den Teilnehmenden machte es möglich, dass die Optionen so gut angenommen und positiv bewertet wurden.

Redaktion: Frau Dr. Panic-Savanovic, vielen Dank für das aufschlussreiche Interview. Auch wir als Stiftung Energie- und Klimaschutz nutzen seit vielen Jahren die Möglichkeit, unsere Veranstaltungen mit Ihrem Label “Klimafaire Veranstaltung” bewusster zu planen und klimaschonend zu organisieren und durchzuführen. Mehr dazu findet sich auf dieser Webseite hier.

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