Verbraucher in den Mittelpunkt der Energiewende stellen!

Gastautor Portrait

Dr. Thomas Engelke

Leiter Team Energie und Bauen beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)

Dr. Thomas Engelke leitet seit 2016 das Team Energie und Bauen im Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.. Zuvor war er seit 2004 im Hanse-Office, der Gemeinsamen Vertretung Hamburgs und Schleswig-Holsteins bei der EU in Brüssel mit Schwerpunkt Energiepolitik tätig. Der studierte Biologe leitete zwischen 1993 und 2004 den Bereich Biotechnologie in der Landesregierung Schleswig-Holstein mit einer einjährigen Unterbrechung als Nationaler Experte bei der Europäischen Kommission.

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16. Mai 2018

Die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland stehen unverändert zur Energiewende. Vier von fünf Befragten sprechen sich in Umfragen regelmäßig für die Ziele der Energiewende aus: Ausstieg aus der Kernkraft, Ausbau der erneuerbaren Energien bei gleichzeitig weitgehendem Ausstieg aus den fossilen Energien.

Die Verbraucher sind Verbündete der Energiewende, erhalten aber dafür keine Wertschätzung. Im Koalitionsvertrag kommen sie praktisch nicht vor, und die Bundeskanzlerin widmete ihnen in ihrer Regierungserklärung im Zusammenhang mit der Energiewende kein einziges Wort. Im Gegenteil: Die aktive Teilhabe der Bürger an der Energiewende sinkt, und der Finanzierungsanteil der Verbraucher an der Energiewende steigt. Das könnte sich als Fehler herausstellen. Ohne Unterstützung der Verbraucher ist die Energiewende nicht umsetzbar.

Bedingungen für die aktive Beteiligung der Verbraucher an der Energiewende verbessern

Laut einer Studie von trend research befanden sich im Jahr 2016 noch 42 Prozent der installierten Leistung von WindOnshore-, Photovoltaik- und Biomasseanlagen in  Eigentum von Privatpersonen und Landwirten: Tendenz fallend. Die Rahmenbedingungen entwickeln sich in die falsche Richtung oder werden verzögert und verwässert.

Beispiel Bürgerenergieparks: Mit der letzten Reform des EEG in 2016 wurden die Ausschreibungen eingeführt, die zu niedrigeren Preisen führen sollen und bereits Wirkung zeigen. Gleichzeitig haben echte Bürgerenergiegesellschaften kaum mehr eine Chance auf Förderung.

Beispiel Mieterstrom: Das Mieterstromgesetz sollte endlich auch Anreize für Mieter und Wohnungseigentümer zur Nutzung von erneuerbaren Energien bringen. Das hätte ein Meilenstein der deutschen Energiepolitik werden können! Leider wurde der gute Ansatz verwässert. Bürokratische Hürden und Benachteiligung gegenüber Hauseigentümern halten die Entwicklung des Mieterstroms auf Sparflamme. Der Ausbaudeckel für Mieterstrom liegt bei 500 Megawatt pro Jahr. Für das zweite Halbjahr 2017 meldete die Bundesnetzagentur neue Mieterstromanlagen mit ganzen 1,5 MW. Da ist noch viel Luft nach oben.

Beispiel Balkonstrom: Die Preise für Solarpaneele und Speicher sinken deutlich. Mini-Solaranlagen können für viele Mieter und Wohnungseigentümer attraktiv werden. Die Stecker-PV-Module sind leicht zu installieren und können mit der Steckdose verbunden werden. Deswegen ist es ärgerlich, dass die Produktnorm für diese Geräte und ein Standard für die Einspeisung immer noch auf sich warten lassen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband setzt sich dafür ein, dass viele Verbraucher sich als Prosumenten auch in Zukunft an der Energiewende beteiligen können, insbesondere auch Verbraucher mit weniger hohem Einkommen. Die Zahl der beteiligten Bürger muss wieder ansteigen.

Die Kosten sind aus Verbrauchersicht zu hoch und zu ungerecht verteilt

Der Strompreis hat sich für private Haushalte seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Die allgemeinen Lebenshaltungskosten haben sich im gleichen Zeitraum um weniger als 1/3 erhöht, Strom ist also richtig teuer geworden.

Darüber hinaus wurden die Kosten einseitig zu Lasten der Verbraucher verteilt. Obwohl die privaten Haushalte zum Beispiel nur 25 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms verbrauchen, müssen sie 36 Prozent der EEG-Umlage stemmen. Dagegen wird die Industrie immer weiter entlastet: Die Ausnahmen von der EEG-Umlage (Besondere Ausgleichsregelung) stiegen bis 2015 auf 4,8 Milliarden Euro an, die Netzentgeltbefreiungen summierten sich 2017 auf 0,8 Milliarden Euro (s. Graphik unten). Das zahlen die Verbraucher zusätzlich. Niemand will, dass die energieintensive Industrie ins Ausland abwandern muss. Aber auch niemand kann wollen, dass die Belastungen für die Verbraucher immer weiter zunehmen.

Strompreis Anstieg BDEW vzbw

Die Verbraucher sind Verbündete der Energiewende, erhalten aber dafür keine Wertschätzung. Sie müssen einen überproportionalen Anteil des Anstiegs der Strompreise stemmen.

Privathaushalte mit geringem Verbrauch zahlen doppelt so viel Netzentgelte wie Vielverbraucher

Hinzu kommt der Aus- und Umbau der Stromnetze, beschleunigt durch die Sektorkopplung. Die Netzentgelte für Verbraucher dürfen nicht weiter ansteigen. Dafür muss der Stromnetz-Ausbau so kosteneffizient wie möglich gestaltet werden, z. B. muss bessere Netzauslastung vor Netzausbau gehen. Netzbetreiber dürfen auch keine Traumrenditen in Form überhöhter Eigenkapitalzinssätze erhalten.

Der starke Anstieg der Grundpreise für Stromanschlüsse privater Verbraucher sorgt für zusätzliche Belastungen. Die Bundesnetzagentur stellt eine Steigerung von 46 Prozent zwischen 2013 und 2015 fest, das Vergleichsportal Verivox kommt in einer Analyse für die letzten fünf Jahre sogar auf eine Steigerung von 2/3 der Grundpreise. Dabei trifft es Wenig-Verbraucher besonders hart: Privathaushalte mit einem Stromverbrauch unter 1.000 kWh zahlen doppelt so viel Netzentgelte im Grundpreis wie Haushalte über 5.000 kWh und rund sechsmal so viel wie industrielle Großverbraucher.

Netzentgelte, Verbraucher in den Mittelpunkt der Energiewende stellen

Verbraucherinnen und Verbraucher in den Mittelpunkt der Energiewende rücken

Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat konkrete Vorschläge vorgelegt, um Verbraucherhaushalte beim Strompreis substantiell zu entlasten. Dazu gehört die weitgehende Abschaffung der Stromsteuer genauso wie die Umschichtung des Kostenanteils der besonderen Ausgleichsregelung aus der EEG-Umlage in den Staatshaushalt. Die Ausnahmen für Industrieunternehmen bei den Netzentgelten ist zu streichen, und der industrielle Eigenverbrauch ist mit der vollen EEG-Umlage zu belasten, wenn es sich um konventionell erzeugten Strom handelt. Die Umstellung der Netzentgeltsystematik mit dem starken Grundpreisanstieg muss zurückgeführt werden, und im Rahmen der Sektorkopplung dürfen insbesondere die Verbraucherpreise im Wärmebereich nicht ansteigen.

Wir brauchen einen Neustart der Finanzierung der Energiewende und eine breite Teilhabe der Verbraucher. Im Koalitionsvertrag kommen diese Themen praktisch nicht vor. Sie müssen aber auf die Tagesordnung. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen in den Mittelpunkt der Energiewende gerückt werden. Auf EU-Ebene ist dieser Prozess bereits angestoßen. Auch die Bundesregierung mit ihrem Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier sollte sich vehement dafür einsetzen.

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  1. Günther Seeck

    vor 6 Jahren

    Guten Tag, bin gerade durch den 'Initiativkreis Energie Kraichgau' auf Ihre Seite geraten. Ihre Aussagen stimmen mit meiner Meinung überein: Bei der Energiewende fehlt der Wärmesektor praktisch komplett. Bei Gesprächen mit z.B. der Energieagentur Karlsruhe stelle ich fest: Der Strompreis für Heizstrom - ob mit Wärmepumpe oder Speicherheizsystem- ist mit >20 €Ct unattaktiv hoch. Es wird lieber in "witschaftliche" Gas- und Ölheizungen investiert. Damit sind die nächsten 30 bis 50 Jahre fossiles Heizen festgelegt. Mit 2Ct auf Gas und Öl ließe sich der Strompreis für Heizstrom um die hohen Abgaben reduzieren. Es ist zudem nicht sozial, Bürger mit Elektroheizungen mit hohen Abgaben zu belasten, wobei diese den Energiewandel voranbringen. Die Förderung fossiler Heizugen (sogenannte moderne Brennwerttechnik) gehört sofort abgeschafft. Dänemark und die Niederlande sind schon weiter und genehmigen keine fossilen Heizungen mehr. NB: Es wird viel Wind um E-Mobilität gemacht, E-Heizungen können heute schon CO2-frei betrieben werden. MfG, Günther Seeck, Bretten

  2. EmpowerSource

    vor 6 Jahren

    Ich bin da ganz Ihrer Meinung, Herr Dr. Engelke. Könnten Sie dann bitte Frau Oelmann von der Verbraucherzentrale Bremen in Spur bringen? Sie behauptet u.a., Balkonstrom sei hauptsächlich für Dauerduscher geeignet: https://bit.ly/2Grcqdv.
    Um den Verbraucher ins Zentrum der Energiewende zu rücken, muss übrigens Herr Minister Altmaier erstmal bewegt werden. Keine einfache Aufgabe, zugegeben. Aber es gibt eine Petition, auf der sich alle mit diesem Ziel eintragen sollten (es fehlen nur noch wenige Unterschriften!): https://bit.ly/2E1cxuX

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