Ihr Thema ist die Zukunft des Ladens: Professorin Nejila Parspour, Direktorin des Instituts für Elektrische Energiewandlung an der Universität Stuttgart, forscht an der unsichtbaren Energieübertragung für Elektrofahrzeuge. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt die renommierte Wissenschaftlerin, wie das induktive Laden nicht nur den Komfort revolutioniert, sondern auch das Stromnetz stabilisieren, Städte verändern und sogar auch in der Medizintechnik neue Wege eröffnen kann.
Dieses Redaktionsinterview mit unserem Gast Professorin Nejila Parspour führte Melanie Peschel.
Sehr geehrte Frau Professorin Parspour, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben. Sie treiben mit Ihren Forschungsteams das Thema der induktiven Energieübertragung, insbesondere für die Elektromobilität, intensiv voran. Was ist Ihr persönlicher Antrieb, dieses „unsichtbare Laden“ so konsequent zu verfolgen, und welche Vision haben Sie für die Mobilität von morgen?
Was mich antreibt, ist nicht allein die unmittelbare Sichtbarkeit für den Anwender. Die Vorteile der kabellosen Energieübertragung sind vielfältig. Zunächst ist sie außerordentlich komfortabel, wie wir es bereits von kabellos ladenden Mobiltelefonen kennen. Das Vermeiden von „Kabelsalat“ ist dabei nur ein Aspekt; für den Benutzer ist es schlichtweg bequemer.
Darüber hinaus stellt das kabellose Laden für viele Anwendungen ein sicherheitsrelevantes Thema dar. Ohne metallische Kontakte gibt es keine Funkenbildung und keinen Verschleiß, was die Lebensdauer und die Sicherheit erhöht. Für die Anwendung im Automobilbereich kommen weitere, entscheidende Vorteile hinzu. Städtebaulich lassen sich diese Anlagen hervorragend integrieren, da die gesamte Technik unter der Straßenoberfläche installiert werden kann. Man sieht keine Kabel und keine Ladesäulen, die nicht nur Platz beanspruchen, sondern auch ein Ziel für Vandalismus sein können.
Der Diebstahl von Ladekabeln ist ja bereits heute ein präsentes Problem.
Genau. Doch der tiefere Grund, der mich insbesondere für die Anwendung bei Automobilen antreibt, liegt in der Möglichkeit der Automatisierung des Ladevorgangs. Ein Prozess, der ohne menschliches Zutun, wie das Einstecken eines Kabels, abläuft, lässt sich automatisieren. Dies eröffnet zwei wesentliche Perspektiven.
Zum einen können die in den Fahrzeugen verbauten Batterien als Speicher in unserem Energienetz fungieren. Die meisten Fahrzeuge stehen den überwiegenden Teil des Tages, beispielsweise während der Arbeitszeit. In dieser Zeit kann die Fahrzeugbatterie ein aktiver Teil des Energienetzes werden und zur Stabilisierung beitragen. Insbesondere im Zuge der Integration erneuerbarer Energien, die von starken Fluktuationen geprägt ist, benötigen wir solche flexiblen Speicher, die bei einem „Energieloch“ sofort einspringen oder bei einem Energieüberschuss Leistung aufnehmen können. Wenn dieser Prozess automatisiert und reibungslos abläuft, ohne dass der Fahrer einen Stecker anschließen muss, wird die Integration der Fahrzeuge ins Netz erheblich beschleunigt.
Der zweite, ebenso bedeutende Vorteil ist die Fähigkeit, Fahrzeuge während der Fahrt zu laden. Wir haben hier vor zwei Jahren in einem Demonstrator gezeigt, dass dies mit einem sehr hohen Wirkungsgrad möglich ist, der mit kabelgebundenen Systemen vergleichbar ist.
Die Reichweitenangst der Nutzer schwindet, da eine kontinuierliche Energieversorgung, ähnlich einem Zug mit Oberleitung, gewährleistet ist.
Welche Distanz wäre denn erforderlich, um beispielsweise fünf Kilowattstunden zu laden?
Das lässt sich nicht pauschal beziffern, da es stark von der Fahrgeschwindigkeit abhängt. Man muss sich vorstellen, dass ein Teil der zugeführten Energie unmittelbar für den Fahrbetrieb verbraucht wird, während der Rest gespeichert werden kann. Heutige Systeme legen wir so aus, dass die Energie für das Fahren ausreicht, aber nicht zwangsläufig am Ziel eine vollgeladene Batterie das Ergebnis ist. Das wäre auch ein energetischer Mehraufwand, den man nicht zwingend benötigt, um sicher ans Ziel zu gelangen. Selbstverständlich arbeiten wir daran, dass beispielsweise bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h auch ein Teil der Energie gespeichert werden kann.
Die Vorteile sind evident: Die Reichweitenangst der Nutzer schwindet, da eine kontinuierliche Energieversorgung, ähnlich einem Zug mit Oberleitung, gewährleistet ist. Langfristig, bei einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur auf vielen Strecken, eröffnet sich ein weiterer, fundamentaler Vorteil: die Möglichkeit, die Batteriegrößen signifikant zu reduzieren. Dies verringert die Abhängigkeit von Rohstoffen wie Lithium und verbessert die Umweltbilanz.
Und leichtere Fahrzeuge sind durch das geringere Batteriegewicht wiederum effizienter im Verbrauch.
Völlig richtig. Leichtere Autos verbrauchen weniger Energie. Diese Kaskade an Vorteilen ist es, die meine Motivation begründet, das induktive Laden im Bereich der Elektromobilität voranzutreiben.
Doch die Anwendungsmöglichkeiten sind weitaus breiter. Denken Sie an die Robotik. Ich selbst habe vor meiner akademischen Laufbahn bei einem internationalen Industriekonzern robotergetriebene Prüfanlagen verantwortet. Ein ständiges Problem waren Kabelbrüche an den Gelenken der Roboter, die in rund 80 Prozent der Servicefälle die Ursache waren. Daraus erwuchs mein Entschluss, diese Kabel zu eliminieren. Heute, mit dem Aufkommen humanoider und kollaborativer Roboter sowie fahrerloser Transportsysteme (AGVs = Automated Guided Vehicle, Anm. der Redaktion), ist diese Thematik aktueller denn je. Oftmals werden 30 Prozent mehr dieser Systeme angeschafft als benötigt, da ein erheblicher Teil der Zeit für den Ladevorgang aufgewendet wird. Wenn das Laden jedoch in den Arbeitsprozess integriert werden kann – AGVs, die während der Fahrt auf ihrer Route geladen werden, oder Roboter, die während Arbeitspausen Energie aufnehmen – steigert das die Effizienz enorm.
Ein weiteres Feld, das mich persönlich sehr antreibt, ist die Medizintechnik. Es geht um die Energieversorgung von Herzschrittmachern oder sogar ganzen Herzpumpen, den sogenannten Herzunterstützungssystemen. Letztere benötigen eine Leistung von etwa 10 Watt. Bisher erfolgt die Energieversorgung dieser im Körper implantierten Pumpen oft über ein Kabel durch die Haut, was eine permanente Infektionsquelle darstellt. Angestoßen durch eine Anfrage der Heidelberger Universitätsklinik, arbeiten wir seit sechs Jahren intensiv an der Möglichkeit, Energie kabellos in den Körper zu übertragen, und wir kommen in großen Schritten voran.
Parallel dazu erhalten wir immer wieder Anfragen aus der Industrie, um in Produktionshallen Steckverbindungen durch kabellose Energieübertragung zu ersetzen. Das macht die Systeme nicht nur sicherer, sondern auch schlanker, da man beispielsweise Daten- und Energieübertragung kombinieren kann.
Politik und Industrie haben sich angenähert, und es wurden zahlreiche Programme aufgelegt. Ein Ergebnis ist die exzellente Ladeinfrastruktur in Baden-Württemberg, die im Bundesvergleich vorbildlich ist.
Sie erwähnten einen Wirkungsgrad von 95 Prozent bei ersten Tests. Wie ist dieser Wert im Vergleich zu einem klassischen, kabelgebundenen Ladevorgang einzuordnen?
Man muss hier differenziert vergleichen. Die heute im Feld befindlichen, kabelgebundenen Ladesysteme erreichen oft keine 95 Prozent, da sie preisoptimiert konstruiert sind; Werte um 90 bis 92 Prozent sind hier bereits gut. Unser System wurde hingegen konsequent auf Effizienz optimiert. Würde man ein kabelgebundenes System mit der gleichen Sorgfalt und Qualität entwickeln, wäre es etwa ein bis zwei Prozentpunkte effizienter. Dieser geringe Unterschied rechtfertigt es jedoch nicht, auf die immensen Vorteile des kabellosen Ladens zu verzichten. Unsere Stärke liegt darin, ein System entwickelt zu haben, das sowohl kostenoptimiert ist als auch einen hohen Wirkungsgrad bietet.
Das klingt nach einer umfassenden Zukunftsvision. Sie engagieren sich auch im „Strategiedialog Automobilwirtschaft“ des Landes Baden-Württemberg. Welchen Eindruck haben Sie aus diesen Gesprächen gewonnen? Wird diese Entwicklung politisch und von den beteiligten Akteuren stark vorangetrieben, oder stoßen Sie auch auf Widerstände?
Ich habe durch meine Mitgliedschaft im sogenannten „Top-Level“ dieses Dialogs, wo wir in einem geschützten Rahmen direkt mit dem Kabinett und der Industrie sprechen, tiefgehende Einblicke. Die Entwicklung ist faszinierend. Zu Beginn waren die Fronten zwischen Industrie, Politik und Wissenschaft noch recht verhärtet, und die Verbrennertechnologie stand stark im Fokus. Doch Baden-Württemberg hat den Transformationsprozess klug eingeleitet. Man kann nicht von heute auf morgen den Schalter umlegen.
Politik und Industrie haben sich angenähert, und es wurden zahlreiche Programme aufgelegt. Ein Ergebnis ist die exzellente Ladeinfrastruktur in Baden-Württemberg, die im Bundesvergleich vorbildlich ist. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei die Landesagentur e-mobil BW unter der Leitung von Herrn Franz Loogen, der wir sehr viel zu verdanken haben. Es gab unzählige Veranstaltungen in Gemeinden, um Ängste abzubauen und für das Thema zu werben. Auch die Industrie hat sich angepasst; ein Beispiel ist der Kolbenhersteller Mahle, der sich im Laufe dieses Prozesses stark in Richtung Elektrifizierung entwickelt hat.
Gegenwärtig beobachte ich allerdings aufgrund der wirtschaftlichen Lage der Automobilhersteller eine gewisse Zurückhaltung. Ich versuche dann immer wieder zu betonen, dass die Entwicklung in anderen Teilen der Welt nicht angehalten hat.
Eine technische Frage: Könnten die heute auf dem Markt befindlichen Elektroautos, wie beispielsweise ein Tesla, induktiv laden?
Nein, sie müssten dafür umgerüstet werden. Das induktive Laden erfordert Komponenten auf zwei Seiten: eine sendende Einheit im Boden und eine empfangende Spule samt Elektronik im Fahrzeug. Ohne diese fahrzeugseitige Komponente funktioniert es nicht. Wir sind also auf die Kooperation der Automobilhersteller angewiesen. Die Anbieter der Infrastrukturseite, wie Siemens oder die Firma Intis, sind bereits am Markt. Nun müssen die Fahrzeughersteller offen sein, diese Systeme auch zu integrieren. BMW zeigt sich in unserem aktuellen Projektantrag hierfür offen. Ich weiß, dass auch Tesla Pläne in diese Richtung hat. Es gibt zudem Bestrebungen, solche Systeme zunächst im Premiumsegment für die heimische Garage anzubieten, etwa von Porsche.
Wie muss man sich die bauliche Umsetzung des Ladens während der Fahrt vorstellen? Wären dafür großflächige Baumaßnahmen an den Straßen notwendig?
Es gibt hierzu verschiedene Ansätze. Eine Möglichkeit ist die Ausrüstung fester Routen, beispielsweise für den öffentlichen Busverkehr. Ein weiteres Projekt mit der israelischen Firma Electreon wurde in Balingen umgesetzt. Idealerweise integriert man diese Technologie direkt beim Neubau von Straßen. Aber auch die nachträgliche Integration ist kein übermäßig großer Akt, auch wenn es natürlich Bauarbeiten erfordert. Es lohnt sich, zunächst mit Busstrecken zu beginnen, da diese immer die gleichen Routen befahren. Hier gibt es zwei Optionen: das Laden an den Haltestellen oder eben das dynamische Laden während der Fahrt.
Die öffentliche Akzeptanz ist für solche Infrastrukturprojekte, die ja auch mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, entscheidend. Wie kann man die Akzeptanz für das induktive Laden Schritt für Schritt erhöhen?
Ich glaube, wir werden hier auf weniger Akzeptanzprobleme stoßen als beispielsweise bei den Oberleitungen für LKW auf den Autobahnen. Diese waren von vornherein eine Insellösung nur für den LKW-Verkehr. Das induktive Laden hingegen ist unsichtbar unter der Straßenoberfläche und kann von einer Vielzahl von Fahrzeugen genutzt werden – vom PKW über den SUV bis hin zum LKW. Der Schlüssel liegt in der Interoperabilität, also der Schaffung eines einheitlichen Standards, sodass Fahrzeuge verschiedener Hersteller und Klassen die gleiche Infrastruktur nutzen können. Dies ist auch ein zentrales Thema in dem von uns beantragten EU-Horizon-Projekt. Wenn wir eine ausreichende Anzahl an Elektrofahrzeugen haben, die mit der entsprechenden Empfängertechnologie ausgestattet sind, wird sich die Diskussion erübrigen, denn die Vorteile sind für alle Nutzer erfahrbar.
Und diese Fahrzeuge sollten dann idealerweise auch das bidirektionale Laden ermöglichen, also als Speicher fungieren?
Das wäre optimal, und der technische Mehraufwand dafür ist nicht groß. Um das volle Potenzial des induktiven Ladens auszuschöpfen, ist das bidirektionale Laden von extremer Wichtigkeit. Aber auch das unidirektionale Laden, also die reine Energieaufnahme, ist bereits ein gewaltiger Fortschritt.
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