Starke Nerven erforderlich – Ein Plädoyer für die Energiewende

Gastautor Portrait

Dirk Güsewell

Mitglied des Vorstands der EnBW Energie Baden-Württemberg AG

Dirk Güsewell war nach Abschluss des Studiums der Betriebswirtschaftslehre von 1993 bis 1998 in verschiedenen Fach- und Führungsfunktionen bei der Robert Bosch GmbH beschäftigt, bevor er 1999 zur EnBW wechselte. Er war dort zunächst in verschiedenen Führungspositionen im Kraftwerksbereich tätig. Seit 2008 war Dirk Güsewell bei der EnBW für den Ausbau des Geschäftsfelds Erneuerbare Energien verantwortlich, unter anderem als Mitglied des Vorstands der seinerzeitigen Tochtergesellschaft EnBW erneuerbare und konventionelle Erzeugung AG. Nach Auflösung diverser Tochtergesellschaften im Zuge einer umfassenden Neuordnung der EnBW-Strukturen wurde er 2014 Leiter der Geschäftseinheit Erzeugung/Portfolioentwicklung. Mit Wirkung zum 1. Juni 2021 wurde Dirk Güsewell in den Vorstand der EnBW berufen. Dirk Güsewell übernimmt das Ressort „Systemkritische Infrastruktur“, das alle leitungsgebundenen Geschäfte für Strom, Gas und Wasser, die Wertschöpfungskette Gas sowie die Wachstumsfelder Telekommunikation, Innovationsmanagement und urbane Infrastrukturentwicklung umfasst.

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26. März 2014

Die Energiewende, so ist des Öfteren zu hören, sei in einer Volkswirtschaft wie  der deutschen eine Operation am offenen Herzen. Kaum ein  Reformvorhaben würde ähnlich Hand anlegen an die Grundfesten unserer Industriegesellschaft. Das ist  richtig. Bei genauerem Hinsehen allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dem Chirurg hier und da die Hände zittern.

Der Chirurg ist übrigens nicht nur die Politik, die zurzeit die Novelle des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) diskutiert. Das Skalpell führen in diesem Fall auch Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt, die nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima so vehement den schnellen Ausstieg aus der Atomkraft und die rasche Umstellung des Energieversorgungssytems auf erneuerbaren Energien gefordert haben. Und jetzt der Politik vorwerfen, der Energiewende fehle der große Plan.

Schon damals, im Jahr 2011, verpasste das politische Schlagwort „Energiewende“ die  Realität. Längst war unser Energieversorgungsystem mitten im Umbau. Und bis heute läuft die  Debatte oft völlig neben der Spur.

Die Stimmung ist nervös, rasche und einfache Lösungen werden gesucht. Des Öfteren wird der Eindruck erweckt, eine radikale Veränderung des EEG könnte helfen, dringend benötigte konventionelle Kraftwerkskapazität wieder rentabel zu machen. Und dem Industriestandort Deutschland zu ähnlich günstigen Strompreisen zu verhelfen wie der Fracking-Boom in den USA.  Ohne prophetisch sein zu wollen – eines steht fest: Gleich wie das EEG reformiert wird – und selbst wenn man es ganz abschaffen wollte – dadurch wird es für die konventionellen Kraftwerke nicht besser und die Strompreise werden um keinen Cent sinken. Gleichzeitig steht aber auch fest: Eine sorglose Reform des EEG hätte das Potential, den Ausbau der Erneuerbaren abzuwürgen.

Unbestritten ist, dass die Erneuerbaren in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht haben. Dies gilt sowohl für den technologischen Reifegrad, als auch die Produktivität. Diesem Umstand muss die künftige Förderung zweifelsohne Rechnung tragen. Dennoch brauchen wir eine zielgerichtete  Reform, die den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien gewährleistet. Kernpunkte: Die Windenenergie an Land muss deutschlandweit weiter ausgebaut werden können, um die Stromerzeugung zu verteilen und den Netzausbau zu minimieren. Dass Binnenstandorte in Süddeutschland besonders anfällig für rigide Änderungen sind, ist kein Geheimnis. Und auf See werden wir noch einige Jahre brauchen, bis der Aufbau der maritimen Windindustrie die gewünschten Wirkungen erzielt: dass Stromerzeugungskosten sinken und die Industrie etabliert ist. Noch ist sie es nicht, wie man leider aktuellen Wirtschaftsdaten norddeutscher Bundesländer und Presseberichten der letzten Monate über Insolvenzen, Entlassungen und Kurzarbeit entnehmen muss. Und der Photovoltaik als der bald günstigsten Stromerzeugungsart muss auch in der Freifläche und nicht nur auf dem Hausdach beim Privatmann eine Chance gegeben werden. Die USA sind uns auch in diesem Punkt wieder einen Schritt voraus.

Konventionell1959[1]Und schließlich müssen thermische Kraftwerke ob all dieser Erfordernisse weiterhin unsere Versorgung als Backup sicherstellen. Ihr Nutzen darf nicht an ihrer tatsächlichen Stromerzeugungsmenge, sondern muss anhand der dem System garantiert als regelbar zur Verfügung gestellten Kapazität bemessen werden. Und, Betreiber entsprechender Anlagen dürfen nicht mit einer Teilkostenerstattung nach Reservekraftwerksverordnung abgespeist werden.

Die Energiewende zu vollenden wird sicher nicht einfach und wir alle – Energiewirtschaft, Gesellschaft, Politik –  werden starke Nerven brauchen. Wert ist sie es allemal. Damit es nicht am Ende für den Chirurgen heißen muss: Operation erfolgreich, Patient tot.

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  1. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    Sie sollten wirklich mal jemanden fragen, der sich mit Kraftwerkstechnik auskennt - und die finden Sie sicher nicht bei den Anglistikern, Sozialpädagogen und politikwissenschaftlern von Campact!
    Wenn Sie ein Kohlekraftwerk ständig nicht im optimalen Leistungsbereich (für den es ausglegt ist) fahren, sinkt der Wirkungsgrad und damit die Ausnutzung des Brennstoffs!
    .
    Der weitaus größere Unsinn, ist jedoch Ihr "Vorschlag für die Finanzierung der Backup-Kraftwerke: Ich versuche es mal mit einem plastischen Beispiel: Ein Bäcker mietet eine Backstube mit Verkaufsraum. Er zahlt jeden Monat 1.000 Euro Miete, kauft jeden Monat die Zutaten für seine Brötchen, die er dann für 2.000 Euro verkauft. Am Ende steht (in diesem stark vereinfachten Beispiel) ein Gewinn von 500 Euro. Jetzt macht direkt neben seinem Geschäft eine Ökobäckerei auf... um es nicht zu kompliziert zu machen, verzichte ich mal auf Subventionen und Vorrangverkauf der "Öko-Brötchen"... nehmen wir einfach an, unser Bäcker verkauft nun noch die Hälfte der Brötchen... er hat also Verkaufserlöse von 1.000 Euro... ok, dafür hat er auch nur noch die Hälfte der Kosten für seine Zutaten, also 250 Euro... Unterm Strich bleibt ihm ein Verlust von 250 Euro!
    Und jetzt kommen Sie und sagen: Der Bäcker könnte sich ja durch die eingesparten Kosten für Zutaten finanzieren... Merken Sie was?
    .

  2. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    Windmüller vor 22 Stunden

    "Da sie ja offensichtlich Probleme mit der Wirklichkeit haben, mal ein Wink mit dem Zaunpfahl:
    http://www.ineos.com/sv/Sites/Grangemouth/In-The-News/INEOS-boss-says-Hinkley-nuclear-power-too-expensive/"
    *********
    Müssen Sie da nicht auch lachen? Es ist Ihnen so wichtig, "Recht zu haben", dass Sie Ihre eigenen Behauptungen ad absurdum führen: Ausgangspunkt der Diskussion war Ihre Behauptung, dass Kernenergiestrom... viel zu teuer sei und deshalb die Industrie gefährde.
    Kennen Sie die britischen Regelungen? Wissen Sie, welche Kalkulationsgrundlagen dieser Preisforderung zugrundeliegen? Immerhin wird in dem von Ihnen angeführten Artikel ja auch gesagt, dass Ineos den gleichen (Kernenergie-)strom in Frankreich für 45 Euro/MWh bezieht... an den tatsächlichen Gestehungskosten der Kernenergie (im Vergleich zu den EE) kann es also nicht liegen!

  3. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    Ein weiteres Beispiel dafür, wie Deutschland mit seiner "Energiewende" als Vorbild wahrgenommen wird:

    .
    Die polnische Regierung hat vor ein paar Tagen beschlossen, die Extraktion von Schiefergas bis 2020 von Steuern zu befreien. Es ist Teil der Bemühungen, sich bzgl. einer sicheren Energieversorgung unabhängig von Russland zu machen.

  4. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    Für jemand wie Sie scheint meine Argumentation konfus zu sein... und wenn Sie das behaupten, sehe ich das eher als Kompliment:
    .
    Angenommen, das, was Sie schreiben trifft zu... Dann unterstellen Sie mit Ihrer Argumentation, dass es der polnischen Regierung um Subventionen, der Subventionen wegen geht und es deshalb - Ihrer Ansicht nach - keinen Unterschied macht, ob man nun Kohlekraftwerke oder Erneuerbare subventioniert.
    .
    Haben Sie mal darüber nachgedacht, dass man sich aus Sicht der polnischen Regierung Gedanken darüber macht, dass man für die (Subventions-)Ausgaben... irgendeinen Return... also irgendeinen Nutzen (Steuereinnahmen, Arbeitsplätze, Wohlstand für die Bevölkerung+Wählergunst, sichere Energieversorgung,...) erhält? Also orgendwie muss das, was man ausgibt wieder reinkommen, da geht es den Polen nicht anders wie allen anderen... und offensichtlich bieten die EE keinen entsprechenden Nutzen...

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  5. Windmüller

    vor 10 Jahren

    Herr Kaiser - merken sie gar nicht, wie konfus ihre Argumentation ist ?
    Die polnische Regierung hat beschlossen, Fracking bis 2020 von Steuern zu befreien. Man möchte in Polen Kernkraftwerke bauen, möchte aber, dass Brüssel erlaubt, den Bau mit Milliarden zu subventionieren.
    Konventionelle Energien werden mit Milliarden subventioniert, das ist kein Problem. Aber wenn erneuerbare Energien gefördert werden, dann bricht die Welt zusammen ? Wenn Frackingas oder Atomstrom sooooo billig sind, warum muss es dann subventioniert werden ?

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  6. Windmüller

    vor 10 Jahren

    werter Herr Kaiser
    Da sie ja offensichtlich Probleme mit der Wirklichkeit haben, mal ein Wink mit dem Zaunpfahl:
    http://www.ineos.com/sv/Sites/Grangemouth/In-The-News/INEOS-boss-says-Hinkley-nuclear-power-too-expensive/

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  7. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    WissenSie , Herr Windmüller,
    .
    nachdem, wie die von Ihnen letzte Woche bemühte Quelle den Ineos-Chef Ratcliffe "uminteroretiert" hat, bin ich zunächst einmal vorsichtig, was den sachlichen Gehalt Ihrer Aussage "polnische Regierung... nicht finanzierbar", "...Strom aus Mochovce viel zu teuer..." angeht.
    Sorry, ich kenne mich damit nicht so gut aus - was meinen Sie mit "getriebelose WKA"? WKA mit Direktgetrieben? Wenn dies der Fall sein sollte... das sind doch die, wo alle Hersteller - mit Ausnahme von Enercon - Unmengen von Neodym (für die benötigten starken Permanetmagneten), das wegen seiner Herstellungsverfahren alles andere als "nachhaltig" ist, einsetzen...

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  8. Windmüller

    vor 10 Jahren

    Wie schaut denn die Realität aus, Herr Kaiser ??
    Polen möchte Kernkraftwerke bauen. Nach Angaben der polnischen Regierung sind sie aber nicht finanzierbar. Im slowakischen Mochovce sind die Reaktoren 3 und 4 seit 1985 "im Bau". Der Stromkonzern Enel aus Italien ist aus dem Projekt ausgestiegen, weil der Strom aus Mochovce viel zu teuer wird.
    Dagegen hat Japan bei Siemens die ersten getriebelosen Windkraftanlagen der 3 MW Klasse geordert.

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  9. Günther Altmann

    vor 10 Jahren

    Ein passender Artikel!

    Zu dem Absatz über thermische Kraftwerke würden mich noch Hintergründe interessieren: es gibt einige Kommentare dazu, dass im Strompreis an der Börse automatisch auch die Versorgungssicherheit eingepreist wären. Die aktuell niedrigen Preise würden daher nur die bestehenden Überkapazitäten widerspiegeln. Die Preise würden sich erhohlen, wenn genügend alte Kraftwerke mangels Rentabilität abgeschaltet werden. Und da der Stromverkäufer dafür garantieren muss, dass er diesen auch zuverlässig liefern kann, müsse er auch selbst dafür sorgen, dass der Strom tatsächlich zur Verfügung steht ... auch Nachts und bei Windflaute. Somit würde das aktuelle Marktdesign die Versorgungssicherheit selbst regeln.

    Wie ist diese Sichtweise zu bewerten?

  10. Jacek

    vor 10 Jahren

    ...Es könnte sich allerdings das Problem einstellen, dass angesichts der derzeit extrem negativen Preiserwartungen dieser „geordnete Rückzug“ aus der konventionellen Erzeugung so dramatisch verläuft, dass er über das Ziel einer noch als ausreichend angesehenen Kapazitätsausstattung hinausschießt. In diesem Fall stabilisieren sich die Preise (und mit Verzögerung: die Preiserwartungen) wieder, aber in Spitzenlastsituationen können Kapazitätsknappheiten eintreten, was politisch evtl. nicht mehr akzeptabel ist. Da die Stromnachfrage zu einem bestimmten Zeitpunkt kaum auf das Preissignal reagiert, kann es auch bei hohen Preisen „eng“ werden.
    Als Lösung käme hier ein Kapazitätsmechanismus in Frage, der einen gesellschaftlich/politisch gewünschten "Kapazitätspuffer" implementieren könnte. Dieser wäre natürlich größer als der vom Markt erzeugte "Puffer".

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  11. Jacek

    vor 10 Jahren

    Hallo Herr Altmann,
    Sie haben Recht mit Ihrer Sichtweise.
    In einem perfekt funktionierenden (Energie-)Markt reicht es langfristig aus, wenn Kraftwerksbetreiber auf Deckungsbeiträge setzen, die sie am Strommarkt erwirtschaften, um die benötigte Kapazität ausreichend zu vergüten. Ist der Preis niedrig (sind also – mehr als – ausreichende Kapazitäten vorhanden), werden unwirtschaftliche Kapazitäten, die sich nicht über den Markt refinanzieren lassen, abgebaut. Dies geht so lange vor sich, bis Kapazitätsknappheiten auftreten, die den Preis wieder ansteigen lassen. Dabei kommt es auch vor, dass Anbieter, die selten eingesetzte Spitzenlastkraftwerke betreiben, einen Aufschlag auf ihre variablen Kosten durchsetzen können und so überhaupt eine Chance haben, die erforderlichen Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. Auf diesen Aufschlag sind auch alle anderen Anlagen angewiesen.
    Im deutschen (und zentraleuropäischen) Markt stellt sich die Situation im Moment so dar, dass der konventionelle Kraftwerkspark durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien so-wie durch den infolge der europäischen Wirtschaftskrise eingebrochenen CO2-Preis unter Druck geraten ist. Die aktuellen Preise reichen bei weitem nicht aus, um die Vollkosten der Kraftwerke zu decken. Folglich vollzieht sich derzeit eine Kapazitätsanpassung, wie oben erwähnt: Überkapazitäten werden abgebaut. Aktuell ist ein Abbau von ca. 12 GW bis 2018 angekündigt. Dies ist ein normaler Vorgang; der Strukturwandel, der sich hier vollzieht, ist auch politisch gewünscht, da die konventionelle Erzeugung durch die Erneuerbaren abgelöst werden soll. Zu kritischen Situationen wird die Strukturanpassung zumindest in näherer Zukunft nicht führen, denn Deutschland insgesamt wird bis zum Ende des Jahrzehnts vermutlich keinen Kapazitätsengpass haben.

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  12. Andreas

    vor 10 Jahren

    Gefällt mir gut, besonders der Hinweis, dass dem Chirurgen gelegentlich die Hände zittern.

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