Letzte Möglichkeit für pragmatisches Umdenken bei der Kraftwerksstrategie
Die im Sommer dieses Jahres von der Bundesregierung verabschiedete Kraftwerksstrategie soll nun mittels eines Kraftwerkssicherheitsgesetzes umgesetzt werden. Doch dieser Kurs ist fragwürdig, da die nationale Klimapolitik teuer ist und europaweit nur begrenzte Fortschritte im Klimaschutz erzielt. Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs um knappe öffentliche Mittel sollte ein Umdenken stattfinden. Die Energieversorgung sollte ohne immer neue Subventionen gesichert werden – und zugleich die Transformation zur Klimaneutralität nicht gefährden. Im europäischen Kontext der deutschen Klimapolitik ließe sich der Ausstieg aus dem fossilen Kraftwerkspark pragmatischer und kostengünstiger gestalten, als es die aktuellen Pläne vorsehen.
Vorgezogener Kohleausstieg: in Europa weitgehend wirkungslos
So sollen dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung zufolge der Kohleausstieg idealerweise vom Jahr 2038 auf das Jahr 2030 vorgezogen und somit bestehende Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Im Gegenzug ist laut der Kraftwerksstrategie vorgesehen, mit massiver staatlicher Unterstützung von bis zu 20 Milliarden Euro neue, wasserstofffähige Erdgaskraftwerke zu bauen. Diese sollen zunächst mit Erdgas betrieben werden, ab dem Jahr 2035 mit grünem Wasserstoff. Die erforderlichen Subventionen für die Rentabilität der Investitionen sowie der zukünftige Betrieb mit voraussichtlich teurem Wasserstoff sollen aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) gedeckt werden.
Am Beitrag Europas zur Rückführung der Treibhausgasemissionen wird dies wenig ändern.
Am Beitrag Europas zur Rückführung der Treibhausgasemissionen wird dies wenig ändern. Denn mit dem europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) gibt es einen wirksamen Mechanismus, der seit rund zwei Jahrzehnten entscheidend dazu beigetragen hat, arbeitsteilig den Treibhausgasausstoß von Energiewirtschaft und Teilen der Industrie in Europa massiv zurückzuführen. Dabei gilt als sogenannter „Wasserbetteffekt“: Das Ersetzen eines Kohlekraftwerks durch ein Erdgaskraftwerk in Deutschland verringert die Kosten für Emissionen für die europäische Konkurrenz, die Emissionsbilanz der EU ändert sich nicht. Denn die geringere Zahl der hierzulande benötigten Emissionszertifikate stehen anderen Teilnehmern am Emissionshandel zur Verfügung.
Im Ergebnis wird die Menge an Treibhausgasen ausgestoßen, die als EU-weite Emissionsobergrenze durch die Ausgabe einer jährlich sinkenden Zahl an Zertifikaten legitimiert wird. Der Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken würde allerdings den Treibhausgasausstoß in Europa verteuern, weil aufgrund der daraus resultierenden hiesigen Nachfrage nach Emissionszertifikaten der Zertifikatspreis höher ausfiele als im Falle eines deutschen Umstiegs auf die Stromerzeugung auf Basis von Erdgas – oder perspektivisch von grünem Wasserstoff. Doch das Bestreben, mit grünem Wasserstoff auch noch die letzte Tonne Kohlendioxid im deutschen Stromerzeugungssektor auf äußerst teure Weise einsparen zu wollen, würde den Ausstoß von Treibhausgasen andernorts in Europa vergünstigen. Vor diesem Hintergrund ist die Kraftwerksstrategie zu diskutieren.
Ein Schritt zurück: das politische Gestaltungsproblem in Perspektive
Die Transformation des Energiesystems ist naturgemäß eine Investition, die in der Gegenwart Kosten aufwirft, um später mit dem Erreichen des Ziels die Früchte des Umstiegs zu ernten. Die vollständige Umstellung eines auf fossilen Energieträgern beruhenden Systems hin zu einem treibhausgasneutralen Energiesystem, das weitgehend auf dem Einsatz erneuerbarer Energieträger – aus heimischer Erzeugung oder importiert – beruht, wird insgesamt voraussichtlich mehrere Billionen Euro kosten. Dabei sind die Kosten bereits abgezogen, die bei der Fortführung des fossilen Systems aufgrund von notwendigen Ersatzinvestitionen aufgebracht werden müssten. Angesichts dieser Größenordnungen sollten Potenziale zur Kosteneinsparung kritisch und ergebnisoffen geprüft werden.
In der klimaneutralen Zukunftsvision tendieren die Stromgestehungskosten gegen null – Industrie, Verkehr und Wärme sind weitgehend elektrisiert. Die Energienachfrage passt sich flexibel dem schwankenden Energieangebot an oder wird durch überwiegend importierte stoffliche Speicher gedeckt. Alle Energiedienste wären höchst effizient. Allerdings bleibt die flexible Anpassung der Nachfrage in den kommenden Jahren Zukunftsmusik – nicht zuletzt wegen der schleppenden Digitalisierung in Deutschland. Ebenso wird der Aufbau einer Infrastruktur für den reichhaltigen Import von grünem Wasserstoff noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen.
Kohlekraftwerke in Reserve halten, nicht verschrotten
In der Übergangsphase bis zur Klimaneutralität müssen fossile Kraftwerke als Backup für die schwankenden Erneuerbaren bereitstehen. Mit der Verknappung der Emissionszertifikate verschwinden sie allmählich, ersetzt durch Speicher und alternative Energieträger. Anstatt Milliarden in neue wasserstofffähige Erdgaskraftwerke zu investieren, wäre es sinnvoller, Kohlekraftwerke nach ihrem Abschalten in Reserve zu halten, statt sie zu verschrotten.
Für die europäischen Klimaziele würde dies keinen Unterschied machen. Als Ausnahmefall ist dieser Vorschlag bereits heute gängige Praxis: Zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit kann die Bundesnetzagentur Kraftwerksbetreiber verpflichten, ihr zur Abschaltung angemeldetes Kohlekraftwerk in Reserve zu halten – gegen relativ geringe Entschädigungszahlungen. Wenn Betreiber unabhängig von der Nutzung ihrer Kraftwerke für deren Vorhaltung bezahlt würden, wie in der Kraftwerksstrategie für neue Erdgaskraftwerke vorgesehen, könnte auch für Kohlekraftwerke in Reserve ein tragfähiges Geschäftsmodell entstehen.
Ein Aspekt der Kraftwerksstrategie bleibt unausgereift: Schon jetzt ist Strom aus Erdgas teurer als aus Kohle, vor allem bei der Verwendung von LNG. Die Kosten steigen weiter, wenn grüner Wasserstoff zum Einsatz kommt. Dabei wäre es effizienter, heimischen Grünstrom direkt zu nutzen, etwa für Wärmepumpen oder E-Autos. Für strategisch verordnete Ineffizienz gibt es jedenfalls keine Rechtfertigung.
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