Im Podcast zur Energiezukunft spricht Holger Schäfer mit Prof. Dr. Kraft, Vize-Präsident für Forschung am KIT und Prof. Dr. Hufendiek, Leiter des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart, über die Ursachen und Folgen des Mangels an Fachkräften im technischen Bereich.
Handelt es sich aus Ihrer Perspektive beim Thema Fachkräftemangel um eine nachhaltige und dauerhafte Herausforderung?
Prof. Kraft berichtet: „Aktuell beobachten wir in Karlsruhe, dass die Zahlen der Studienanfänger in den letzten zehn Jahren relativ konstant geblieben sind, auch wenn ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist. Dies liegt vor allem daran, dass wir im internationalen Bereich Zuwächse haben. Während die Gesamtzahl der Studierenden stabil bleibt, sinkt der Anteil deutscher Studierender leicht.“
Auch Prof. Hufendiek sieht eine Verschiebung in den Studierendenzahlen. Insbesondere die Ingenieurstudiengänge verzeichnen einen erheblichen Rückgang bei den Anfängerzahlen, während Fächer wie Psychologie und soziale Arbeit stark im Trend liegen.
Warum gibt es weniger Studienanfänger*innen im technischen Bereich?
Ein wesentlicher Aspekt ist, dass die heutige Generation stärker als früher nach einem sinnstiftenden Element in ihrer Ausbildung sucht. Fächer wie Maschinenbau oder Elektrotechnik erwecken oft den Eindruck, dass ihnen der Sinn fehlt.
Prof. Kraft betont: „Es ist wichtig, dass wir als Hochschulen unsere Inhalte entsprechend vermitteln und uns in den Studiengängen mit den Fragen auseinandersetzen, die die heutige Jugend bewegen. Dazu gehört auch die Überlegung, wie weit technologische Entwicklungen gehen dürfen. Diese Themen sollten Teil des Curriculums werden, um eine kritische Auseinandersetzung mit Technologie zu fördern, anstatt eine blinde Technologiegläubigkeit zu vermitteln. Letztlich geht es darum, den Nutzen von Technologie für den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und die damit verbundenen Herausforderungen offen zu diskutieren.“
Welche Rolle beim Fachkräftemangel spielt das Bildungssystem in Deutschland?
Prof. Hufendiek erläutert: „Ich sehe ein Problem, das über die Reichweite der Hochschulen hinausgeht. Zwar sind wir in der Lehrerausbildung aktiv, doch insbesondere in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften stehen wir vor zwei Dilemmata. Zum einen hat sich die Qualität des Unterrichts in diesen Fächern im Vergleich zu früher verschlechtert, was durch PISA-Studien bestätigt wird. Zum anderen haben wir einen eklatanten Lehrermangel in diesen Bereichen. Oft sind wir schon froh, wenn wir überhaupt einen ausgebildeten Lehrer finden, was die Situation zusätzlich verschärft.“
Junge Frauen interessieren sich nicht für MINT-Berufe
Prof. Kraft ergänzt: „Ein deutliches Problem in den technischen Studiengängen ist der geringe Anteil junger Frauen, die diese Fächer wählen. Unabhängig von der Qualität der Schulen ist es bemerkenswert, dass wir fast die Hälfte der Bevölkerung in diesem Bereich verlieren.
Dieses Thema ist seit Jahrzehnten bekannt, und trotz aller Bemühungen, wie den Einsatz von Studentinnen und Professorinnen als Role Models, gibt es kaum Fortschritte. Die Zahl der Studentinnen im MINT-Bereich stagniert auf einem relativ niedrigen Niveau. Während in den Lebenswissenschaften wie der chemischen Biologie der Frauenanteil über 50 Prozent liegt, sind die klassischen Ingenieurwissenschaften, Informatik und Physik nach wie vor von einem geringen Frauenanteil geprägt, mit nur einem leichten positiven Trend in den letzten 10 bis 20 Jahren.“
Wo steht Deutschland bei Promotionen in technischen Bereichen?
Laut Prof. Kraft gibt es eine zunehmende Anzahl von Bewerbungen für Promotionsstellen aus dem nicht-europäischen Ausland, insbesondere aus Asien. Im Vergleich dazu stagniert die Anzahl der Bewerbungen aus Europa insgesamt. Daher lässt sich feststellen, dass es in Asien einen klaren Aufwärtstrend gibt, während Europa in diesem Bereich eher zurückbleibt.
Bildung muss einen höheren Stellenwert bekommen
Ein grundlegender Wunsch von Prof. Kraft ist, dass die Politik, insbesondere auf Bundesebene, die Bedeutung von Forschung und Bildung stärker anerkennt.
Es gehe dabei nicht nur um finanzielle Mittel für Förderprogramme, sondern auch darum, wie das Thema Bildung insgesamt behandelt wird. Oft wird im Kontext Bildung primär über Kosten gesprochen, anstatt die entscheidende Rolle zu betonen, die Bildung für den Wohlstand der Gesellschaft spielt. Sein Wunsch ist, dass dieser Gedanke stärker in die öffentliche Wahrnehmung dringt und dass die Politik entsprechend handelt. Bildung sollte nicht nur in Verbindung mit sozialen Themen betrachtet werden, sondern als zentraler Bestandteil unserer Zukunft.
Prof. Hufendiek wünscht sich von der Gesellschaft ein besseres Verständnis dafür, dass wir die großen Herausforderungen wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit nur durch Innovationen bewältigen können. Dafür benötigen wir hervorragend ausgebildete Naturwissenschaftler und Ingenieure, die in der Lage sind, diese Innovationen voranzutreiben. Die Grundlagenbildung ist zwar anspruchsvoll, aber sie ist entscheidend, um eine zukunftsfähige Gesellschaft zu gestalten. Es ist wichtig, dass dieser Gedanke in der Gesellschaft ankommt, denn nur so können wir eine lebenswerte Zukunft für alle schaffen.
Lesetipp
Prof. Dr. Oliver Kraft empfiehlt das Buch Blackout von Marc Elsberg, das eindrucksvoll zeigt, wie fragil unsere Zivilisation ist und wie stark wir von der Stromversorgung abhängen. Dies steht im Einklang mit dem, was Prof. Dr. Hufendiek angesprochen hat: Unser Wohlstand und das Funktionieren unserer Gesellschaft sind stark von technologischen Systemen abhängig.
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