Niedrigere Ticketpreise auf der Titanic durch reduzierte Zahl an Rettungsbooten

Gastautor Portrait

Prof. Dr. Volker Quaschning

HTW Berlin

Volker Quaschning ist seit 2004 Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin und heute dort Sprecher für den Studiengang Regenerative Energien. Der studierte Elektrotechniker promovierte 1996 an der TU Berlin über Photovoltaiksysteme und schloss 2000 seine Habilitation über eine klimaverträgliche Elektrizitätsversorgung in Deutschland ab. Er hat inzwischen mehrere erfolgreiche Bücher geschrieben, betreibt das Informationsportal www.volker-quaschning.de zu erneuerbaren Energien und Klimaschutz und ist gefragter Redner und Interviewpartner.

weiterlesen
23. Juni 2014

Müsste man der Regierung ein Zeugnis über die aktuelle Reform des EEG schreiben würde es lauten: Sie hat sich sehr bemüht. Um angeblich die Kosten der Energiewende in den Griff zu bekommen, wird der Ausbau erneuerbarer Energien verlangsamt. Das mutet fast so an, als wollte man auf der Titanic die Ticketpreise reduzieren, indem man die Zahl der Rettungsboote verringert. Antworten auf die großen Herausforderungen fehlen aber nach wie vor.

Der letzte Bericht des Weltklimarats zeigt eine düstere Entwicklung auf. Machen wir mit unserer Energieversorgung weiter wie bisher, wird bis Ende des Jahrhunderts die weltweite Temperatur um vier bis fünf Grad Celsius ansteigen. Bis zum Jahr 2300 sind sogar acht bis zwölf Grad denkbar. Wollen wir unseren Enkelkindern keinen Wüstenplaneten hinterlassen, müssen wir den Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad Celsius begrenzen. Das gelingt aber nur, wenn wir unsere Energieversorgung in spätestens 30 Jahren vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt haben. IB_S_BASIC_COPYRIGHT =

Ausgaben für Importe fossiler Energieträger haben sich seit 1998 mehr als vervierfacht
Ein weiteres Problem für Deutschland sind die explodierenden Ausgaben für die Importe fossiler Energieträger. Während 1998 nicht einmal 20 Milliarden Euro dafür nötig waren, sind es inzwischen über 90 Milliarden Euro pro Jahr. Internationale Krisen werden die Importausgaben immer weiter steigen lassen. Nur der schnelle Ausbau der Nutzung heimischer erneuerbarer Energien und die Erhöhung der Energieeffizienz können diese nicht kontrollierbare Abhängigkeit beenden.

Die Lösung für zwei der gravierendsten Herausforderungen der Zukunft ist also bekannt. Doch statt den Ausbau erneuerbarer Energien zu forcieren, soll er stark gedrosselt werden. Bei der Photovoltaik erwarten wir nach einem Zubau von 7,5 Gigawatt im Jahr 2012 nicht einmal mehr 2 Gigawatt in diesem Jahr. Über 50 000 Arbeitsplätze wurden dadurch in der Solarbranche bereits vernichtet. Auch die Biomasse- und die Windenergiebranche kämpfen mit kräftigem Gegenwind. Die angeblich nicht mehr vertretbaren Kosten der erneuerbaren Energien dienen als Argument, die Lösung der drängenden Probleme auszusetzen und stattdessen auch noch den Vorsprung Deutschlands bei wichtigen Zukunftstechnologien an asiatische Wettbewerber abzugeben.

In der Tat sind die Strompreise für Privathaushalte zwischen 2000 und 2013 um 110 Prozent gestiegen. Nur 38 Prozent gehen allerdings auf das Konto der viel gescholtenen EEG-Umlage. 72 Prozent des Anstiegs haben andere Ursachen. Allein der Steueranteil ist höher als die EEG-Umlage. Der Industriestrompreis sinkt hingegen kontinuierlich. Der VIK-Strompreisindex des Verbandes der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft lag im Juli 2008 rund 80 Prozent über den Werten von heute. Ein wirkliches Kostenproblem sieht anders aus.

Große Energieversorger durch Erneuerbare unter Druck
Es sind vielmehr die großen Energieversorger, die mit ihrem Einfluss auf die Politik einen Temporückgang beim Ausbau erneuerbarer Energien forcieren. Sie haben viel zu lange auf Kernenergie und fossile Kraftwerke gesetzt. Die erneuerbaren Energien zerstören nun dieses Geschäftsmodell. Bauen wir die erneuerbaren Energien weiterhin in hohem Tempo aus, würden viele konventionelle Kraftwerke zu Investitionsruinen. Ein Großteil der Anlagen ist zudem viel zu träge, um die Fluktuationen einer Stromversorgung mit einem hohen Anteil an Solar- und Windkraft auszugleichen. Die Drosselung der Energiewende soll den Energiekonzernen nun die nötige Zeit für den Umbau verschaffen.

Angesicht der zuvor beschriebenen Probleme haben wir diese Zeit aber nicht. Wir brauchen eine Energieversorgung, die bereits im Jahr 2040 vollständig auf erneuerbaren Energien basiert. Dass dies technisch und ökonomisch funktioniert, haben verschiedene wissenschaftliche Studien wie die des Fraunhofer ISE eindeutig bewiesen. Bei der Stromversorgung wären dafür bis 2020 bereits mehr als 50 Prozent Erneuerbare nötig. Für die Integration so hoher Anteile ist vor allem der intensive Ausbau von Speichern und schnell regelbaren Reservekraftwerken dringend erforderlich. Der Leitungsausbau ist nicht das vordringliche Problem. Vorschläge von der Politik für adäquate Maßnahmen gibt es aber keine. Stattdessen wird wieder einmal auf das Kostenargument verwiesen.

Gesundheitsschäden gehen in die Berechnung nicht ein
Das wirkliche Kostenproblem verursachen aber Kohlekraftwerke. Laut Umweltbundeamt betragen die Klimafolgekosten rund 70 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Umgerechnet auf ein altes Kohlekraftwerk wären das bereits rund sieben Cent pro Kilowattstunde und damit mehr als die EEG-Umlage. Hinzu kommen die enormen Gesundheitsschäden durch die Schadstoffemissionen. Allein die Quecksilberemissionen vieler Anlagen sind so hoch, dass sie nach amerikanischen Umweltstandards gar nicht genehmigungsfähig wären. Wir tolerieren hingegen Gesundheitsschäden in Milliardenhöhe. Doch all diese Schäden tauchen nicht auf der Stromrechnung auf. Wir begleichen sie über höhere Krankenkassenbeiträge oder allgemeine Steuerausgaben.

Für Deutschland wäre es darum auch aus finanziellen Gründen sinnvoll, einen schnellen Weg hin zu einer erneuerbaren Vollversorgung einzuschlagen. Dazu brauchen wir einen Ausstiegsplan aus der Kohlenutzung. Bei den nötigen radikalen Änderungen müssen auch die Belange der vom Umbau Betroffenen berücksichtigt werden. Regionen mit einem starken Strukturwandel brauchen finanzielle Unterstützung. Die Spielräume dafür hätte die deutsche Politik durchaus. Doch dazu bräuchte es eine mutige und weitsichtige Regierung. Die diskutiert aber lieber über die Zahl der Rettungsboote auf der Titanic.

_____________________________________
Weiterführende Hinweise der Redaktion:
Ein Überblick über die Veröffentlichungen des Autors ist auf seiner Homepage zu finden.
Aktuelle Studie über die Quecksilberemissionen
Studie: Strompreise in Europa im Vergleich von Ecofys und Fraunhofer ISI
Studie zur Preisentwicklung der fossilen Energieimporte 

Diskutieren Sie mit

  1. Erich Görgens

    vor 10 Jahren

    Hallo Herr Professor Quaschning,
    ich beginne gleich mit einem Zitat: ...und stattdessen auch noch den Vorsprung Deutschlands bei wichtigen Zukunftstechnologien an asiatische Wettbewerber abzugeben.
    Das stammt von Ihnen und bewegt mich direkter, weil die Funkstille hier, unabhängig von meiner Person, Aktivitäten in Asien angestoßen hat. Ganz so schlimm wird das wohl nicht sein außer dem hinterher Hinken, kommt hinzu das es so (für den der zu spät kommt), nur alles etwas teurer wird.
    Sehen Sie bitte meinen Kommentar auf der Seite von err Grass unter https://www.dialog-energie-zukunft.de/umfrage-herausforderungen-energiewende/#comment-2193 Ich freue mich auf Ihr Feedback!

  2. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    Ach Herr Windmüller, Sie betreiben wieder Cherry-picking!
    Industrieunternhemen befinden sich zumeist im internationalen Wettbewerb. Welche Aussagekraft hat da ein Vergleich mit der Vergangenheit?
    .
    Nur, weil es zur eigenen Religion passt?

    http://de.statista.com/statistik/daten/studie/151260/umfrage/strompreise-fuer-industriekunden-in-europa/

  3. Reiner Heußner

    vor 10 Jahren

    Der Autor hat recht - auch in Bezug auf die Zukunft. Die Strompreise an der Börse (Terminkontrakte) liegen im Jahr 2017 unter 4 Cent.

    1 0
  4. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    "...weil die preisdämpfende Wirkung erneuerbarer Energien"
    ****
    Jetzt habe ich auch verstanden, was genau der User gemeint hat:

    Lt. EEX und Entsoe wurde am 11.5.2014 wegen der chaotischen Überproduktion aus Wind- und Solaranlagen Strom in die in- und ausländischen Märkte gedrückt. Denn Abschalten der EE-Anlagen geht ja nicht - und weniger Vergütung für die Windenergie, wie in einem Markt üblich, geht auch nicht.
    .
    An diesem Tag lag der Durchschnittspreis an der EEX bei minus (!!!) 2,15 Euro unhd in der Spitze bei minus (!!!) 65 Euro.
    .
    Das heißt, der Stromkunde hat für die volle Garantie-Vergütung der EE-Erzeugung zu zahlen und dafür, dass das Ausland den nicht benötigten Strom abnimmt.
    .
    Das wird dann gern als "preisdämpfende Wirkung" bezeichnet
    .

  5. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    "Die Strombezugspreise an der Börse gehen massiv zurück."
    ***
    Das ist korrekt, jedoch gehören unsere Strompreise sowohl im Haushaltskundenbereich als auch im Industriekundenbereich zu den höchsten weltweit!
    .
    Wie Sie richtig geschrieben haben, geht der größte Teil der Strommengen über den Terminmarkt. Hier schließen die Energieversorger i.d.R "back to back"-Verträge ab, d.h., sie gehen keine Longpositionen ein und spekulieren darauf, dass am 17 September 2016 zufällig Wind weht oder die Sonne scheint... I
    .

    2 1
  6. Reiner Heußner

    vor 10 Jahren

    Die Daten aus dem Spotmarktes eines beliebig ausgewählten Sonntages geben nicht viel her für die Bewertung der energiewirtschaftlichen Realität. Am Spotmarkt wird nur ein Drittel der Mengen des Terminmarktes verramscht.
    Die Preisentwicklung - z. B. ermittelt über monatliche Durchschnittspreise in der mehrjährigen Entwicklung - spricht eine eindeutige Sprache: Die Strombezugspreise an der Börse gehen massiv zurück. Die höchsten Preise haben wir in den Jahren 2008 gesehen - also vor Fukushima. Strom im Jahre 2017 kann man schon heute an der Börse für weniger als die Hälfte kaufen.
    Das ist einerseits schön für die Wirtschaft, andererseits macht es die Kraftwerke wertlos. Die Forderung von Herrn Prof. Quaschning, wir bräuchten flexible Reservekraftwerke, offenbart das Dilemma, löst es aber nicht.

    2 1
  7. Windmüller

    vor 10 Jahren

    http://vik.de/tl_files/downloads/public/strompreisindex/VIK_Index_Daten_Version1.pdf

    Und nun Herr Kaiser erklären sie mal, ob der Strom für die Wirtschaft billiger oder teurer wird.

    0 3
  8. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    Zum Artikel selbst: Es muss schon ziemlich finster um unser Bildungssystem aussehen, wenn man, um Förder- / Forschungsgelder für die eigene Daseinsberechtigung, einzuwerben, mit derart plumpen Polemiken in der Öffentlichkeit hausieren geht!
    .
    Natürlich sind die Ausgaben für Kohleimporte gestiegen, weil der Energiebedarf in Deutschland insgesamt gestiegen ist und wir als Folge einer Naturkatasrophe in irrlichterner Panik die Hälfte unserer Kernenergieerzeugung abgeschaltet haben und der Strom ja dann irgendwie erzeugt werden musste. Aber das wird hier bewußt unterschlagen...
    .
    Niemand verhindert oder behindert irgendwelchen Ausbau von Erneuerbaren! Dass man einfach mal darüber nachdenkt, dass man sich diese hohen EE-Subventionen (wie andere Länder auch) nicht dauerhaft leisten kann und deshalb die EE marktwirtschaftlichen Regeln unterwerfen könnte, wird in der auf Kosten der Stromkunden hochsubventionierten EE-Branche als "Behinderung" angesehen - unglaublich, mit welcher Selbstverständlichkeit hier auf dauerhafte Subventionierung beharrt wird!
    .
    Klar, dass so ein Unsinn von interessierter Seite als "sachlich wohltuend" bewertet wird...

  9. Windmüller

    vor 10 Jahren

    Herr Kaiser - jetzt machen sie aber bitte nicht auf dumm. In der Vergangenheit hat man eine Menge Geld für die Erforschung der Kernenergie ausgegeben. Ich habe vor 20 Jahren mit der Konrad Adenauer Stiftung das Forschungszentrum Jülich besucht. Da hat man schon an der Kernfusion geforscht. Strom aus einem Fusionsreaktor ist bis heute Zukunftsmusik.
    Da hat Geld keine Rolle gespielt.
    Als der Staat für den ersten deutschen Offshorepark alpha ventus Forschungsgelder hingeläppert hat, da war das in Ordnung, weil hinter alpha ventus die großen Stromkonzerne stehen.
    Sie werden nicht müde zu betonen, die EEG Branche sei "hochsubventioniert".
    In Finnland baut man einen neuen EPR Reaktor. Ursprünglich waren Baukosten von 3,3 Mrd € angesetzt. Das gute Stück ist lange noch nicht fertig, aber die Baukosten liegen nun schon bei 8,5 Mrd €. Die 5 Mrd Mehrkosten sind mullewapp. Nur bei Ökoenergien legt man den Finger in die Wunde. Herr Kaiser - sie können sich um Kopf und Kragen reden, die Wahrheit stellen sie nicht auf den Kopf.

    0 3
  10. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    "Schaffe ich das EEG ab, steigen die Strompreise an der Strombörse mittelfristig, weil die preisdämpfende Wirkung erneuerbarer Energien entfällt."
    ***
    Können Sie auch erklären, wie das funktionieren soll?
    .

    3 1
  11. Windmüller

    vor 10 Jahren

    Das ist doch mal ein wohltuend sachlicher Artikel, der das Problem auf den Punkt bringt. Der Streit um die Energiewende ist nur noch ein Kuriosum. Das " EEG " ist zu einem Deckmantel zur Subventionierung der Industrie geworden. Schaffe ich das EEG ab, steigen die Strompreise an der Strombörse mittelfristig, weil die preisdämpfende Wirkung erneuerbarer Energien entfällt.
    Zudem kennt das EEG keine Inflation. Auch in 15 und in 20 Jahren habe ich garantiert den jetzigen Preis. Kein Experte würde die Aussage machen, dass Öl, Gas und Kraftwerkskohle in 10 oder 20 Jahren nicht teurer werden.
    Aber das was teurer wird, wird als gottgegeben betrachtet, was Jahr für Jahr günstiger wird ( durch die Degression beim EEG ), darauf wird eingeprügelt

  12. Reiner Heußner

    vor 10 Jahren

    Danke für den lesenswerten Artikel.

    Sie schreiben: "Für die Integration so hoher Anteile ist vor allem der intensive Ausbau von Speichern und schnell regelbaren Reservekraftwerken dringend erforderlich." Wir haben solche Kraftwerke in Gestalt moderner Gaskraftwerke. Die bereits bestehenden sind schon unwirtschaftlich. Es lohnt sich nicht, neue zu bauen.

    Wenn wir noch mehr Wind und Sonnenstrom mit Vorrang im Netz haben, mindert das zur Zeit nicht die nötige Back-up-Kapazität. D. h., dass wir eine - sehr teure Doppelstruktur aufbauen müssen, 100% Erneuerbare für das geeignete Wetter und etwas weniger als 100% der Nachfrage als regelbare Kraftwerke als Back-up für Zeiteen der Windstille bei bedecktem Himmel.

    Ich vermisse in dem Artikel einen Hinweis darauf, welche Regularieren nötig wären, um die genannten Ziele zu erreichen.

Ich akzeptiere die Kommentarrichtlinien sowie die Datenschutzbestimmungen* *Pflichtfelder

Artikel bewerten und teilen

Niedrigere Ticketpreise auf der Titanic durch reduzierte Zahl an Rettungsbooten
3.3
9