War watt? Das Must-have-Produkt Energiewende

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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13. Oktober 2016
War watt? ist die energiepolitische Kolumne unseres Moderators Hubertus Grass, der seit nunmehr 30 Jahren für die Energiewende streitet.

Die Kosten der Energiewende sind schnell zu ermitteln, denn – Franz Alt brachte es auf den Buchtitel – „die Sonne schickt uns keine Rechnung.“ Etwas teurer wird es doch, meinte Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, und sprach 2004 von den monatlichen Kosten einer Kugel Eis. Neun Jahre später erhöhte sein Nachfolger im Amt etwas und nannte als mögliche Gesamtkosten für die Energiewende den Betrag von „bis zu einer Billionen Euro“. Diese Woche hat das Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomik (DICE) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in diesem Intervall die Leselampe angeschaltet und genauer auf die Kosten geschaut. Das Ergebnis der Wirtschaftswissenschaftler liegt zwischen den Herren Altmaier und Trittin: 520 Milliarden Euro seien bis 2015 zu zahlen. Ist das zu viel für ein Must-have-Produkt?

Must-have-Produkt – das mit dem Special-Preis

Wer eine Tasche von Versace tragen, einen Porsche fahren oder mit einem iPhone telefonieren will, hat ein Kostenproblem: Im Vergleich zur Konkurrenz sind die Produkte teuer, doch in bestimmten Kundensegmenten sorgt deren Image dafür, dass man den Preisaufschlag akzeptiert. Ähnlich war das bei der Energiewende, nach dem sie einmal ins Rollen kam. Mit ihrer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung ist sie für alle politischen Parteien ein Must-have-Produkt, für das man gerne bereit ist, auch Kostenaufschläge hinzunehmen. Wer es dann wagt, Fehlentwicklungen zu kritisieren oder zu korrigieren, wird in der öffentlichen Diskussion sofort dem Verdacht ausgesetzt, dass das Kostenargument nur vorgeschoben ist, um das Gesamtprojekt der Energiewende zu diskreditieren. Die Diskussion dreht sich dann weg vom Detail und der Sache und gleitet ins Grundsätzliche.

Must-have-Produkt Energiewende: Eine aktuelle Untersuchung der Kosten

So geschehen auch am Montag, nachdem die Studie in Düsseldorf vorgestellt wurde. Die Szene der Energiewende-Enthusiasten tobte wie die Guppies im Aquarium ob der ungeheuerlichen Summe, die nur von einer „Lobbyorganisation“ (Klimaretter) stammen könne. Diffamierungen, die Wissenschaftler und Auftraggeber („industrienah“) in einen Topf werfen,  gehören dann ebenso zum Repertoire wie das Schönrechnen. Die Kosten von 520 Milliarden lassen sich, geteilt durch Jahre und Köpfe auch als Betrag von 72 Cent am Tag darstellen, hat Erhard Renz errechnet. Offensichtlich findet der Energieblogger das erträglich. Die naheliegende Frage, ob die monatlichen Kosten für die Energiewende von 21,67 Euro angemessen, wirtschaftlich verträglich und sozial gerecht verteilt sind, bleibt in der Polemik und der ganzen Diskussion der Energieblogger auf der Strecke. Sie wird nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet. Wenn Erhard Renz das Gutachten gelesen hätte, hätte er die Steigerung der Kostenverteilung bemerkt. Die liegen derzeit bei nur 10 Euro, werden aber auf 37,50 Euro pro Monat wachsen. Das sind mehr als 10% des Hartz IV Regelsatzes – allein für die Mehrkosten der Transformation.

Debattenkultur? Würde der Energiewende helfen!

Statt sich mit den Fakten und Argumenten des vorgelegten Gutachtens auseinander zu setzen, werden schnell eigene Gutachten hergestellt oder auf bereits vorhandene Gutachten verwiesen. Statt Argumente werden (digitale) Papierstapel ausgetauscht – per Link, weil Lesen und Verstehen nicht mehr als Voraussetzung eines Diskurses verstanden werden, sondern nur noch als eine Option.

Must-have-Produkt Energiewende, Untersuchung Fraunhofer ISE
Must-have-Produkt Energiewende: Die Studie des Fraunhofer ISE hat einen anderen Fokus als die jetzt erschienene Untersuchung über die Kosten. Lesenswert sind beide.

Was kostet die Energiewende“, fragte im letzten Jahr auch das Fraunhofer Institut für solare Energiesysteme (ISE). In der Annahme, das Institut sei der Energiewende positiv gesinnt, wird das Gutachten des ISE der Untersuchung des ISM quasi als Gegenargument gegenüber gestellt. Auch hier hätte Lesen geholfen. In der Kostenbetrachtung der Energiewende für den Zeitraum 2015 bis 2050 nennt die  Studie einen Betrag  „um rund 1100 Mrd. € (oder rund 25 %) höher als im Falle eines Weiterbetriebs des heutigen Energiesystems in unverändertem Zustand.“ Das ISM hatte den Zeitraum 2000 bis 2025 untersucht – folglich liegen die Werte nicht weit auseinander.

Als Gegenargument zu den Ergebnissen der Untersuchung der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler wird im Netz auch eine Kurz-Studie des FÖS im Auftrag von Greenpeace-Energy „benutzt.“  Die FÖS hatten ihre Untersuchung, bei der es eigentlich um die EEG-Umlage geht, für den politischen Meinungskampf zugespitzt und machen damit auf dem Titel auf, dass die konventionellen Energien uns noch teurer kämen. Das hat meines Wissens auch niemand bezweifelt und ist auch kein Beitrag zu der generellen Aufgabe, die Energiewende möglichst effizient (sozial und wirtschaftlich) zu gestalten.

Energiewende-Polemik verdeckt notwendige Fragen

Das Schloss von Thomas Gottschalk, das Solarworldchef Frank Asbeck in der größten Krise seines Unternehmens 2013, als Tausende von Kleinanlegern ihr Kapital verloren, erwarb, steht bildhaft dafür, wie schräg so manches in der Energiewende gelaufen ist und heute noch läuft. Die Kosten der Energiewende können gerade die nicht umgehen, die es am nötigsten hätten: Wirtschaftlich schwächere Personen wie Unternehmen können häufig nicht einmal Ersatzinvestitionen in Energieeffizienz stemmen. Entlastet werden die Unternehmen, die die ihren Strom an der Börse zu Tiefstpreisen beziehen und im Standort Deutschland ohnehin in der ersten Reihe sitzen. Mit der Befreiung von der Energie-Umlage und dem günstigen Börsenpreis werden energieintensive Unternehmen doppelt belohnt und im Wettbewerb subventioniert.
Die Energiewende macht Milliardäre und belastet Hartz IV-Empfänger: Ist es da nicht legitim, genau auf die Kosten, deren Verteilung und die Effizienz der Energiewende zu schauen? Wollen wir die notwendige Analyse nur deshalb übergeben, weil wir befürchten, dass die Gegner der Energiewende Fehlentwicklungen und Missstände für ihre Sache nutzen?

Viele Fehlentwicklungen sind zu offensichtlich, als dass man eine offene und transparente Diskussion über die weitere (Kosten-)Entwicklung der Energiewende umgehen darf. Selbstverständlich müssen alle wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Aspekte des Must-have-Produktes Energiewende immer wieder analysiert werden.
Auf die Kosten zu schauen, wie das die Wissenschaftler um Prof. Haucap jetzt getan haben, ist dabei ein notwendiger Teilaspekt. Man wird um die Abgrenzung, was genau die Differenzkosten sind (im Vergleich zum Fortbestehen der fossil-atomaren Energiewirtschaft), lange streiten mögen: An der Größenordnung der Kosten wird sich wenig ändern, denn mit über 20 Milliarden Euro ist die EEG-Umlage fixiert.

Lohnt es sich nicht eher darüber zu streiten, ob eine garantierte Vergütung über 20 Jahre noch zeitgemäß ist? Welche Regularien würden die schnellste Adaption der technischen Entwicklung garantierten? Wie lässt sich eine sozial gerechtere und wirtschaftlich den Wettbewerb fördernde Kostenverteilung erreichen?
Und zum Schluss sollten wir uns vergewissern:

  • Energiewende ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit.
  • Eine schnellere Energiewende ist besser als ein langsame.
  • Das deutsche EEG hat die entscheidenden Impulse für die globale Energiewende gesetzt. Ohne unser EEG wäre eine Umsetzung des Pariser Klimaabkommens gar nicht möglich. Wir können ein klein wenig stolz darauf sein, was wir angestoßen haben.

Und jetzt sollten wir das tun, was wir – so sagt man uns nach – ohnehin am liebsten machen: Das Gute am Must-have-Produkt Energiewende noch besser machen.

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Die Studie und deren Zusammenfassung .

Diskutieren Sie mit

  1. Klaus Müller

    vor 7 Jahren

    Danke, lieber Hubertus, für den sehr guten Kommentar. Vielleicht ist tatsächlich so, dass wir nicht mehr das Vertrauen haben, dass eine ehrliche Bewertung von EEG, Energiewendekosten und deren Verteilung uns voranbringt ... das wiederum würde aber sehr viel grundsätzlich in Frage stellen.

    Wie sollen wir gemeinsam das Projekt Energiewende umsetzen, wenn wir glauben, dass Korrekturen und Neuerungen es unterwegs ganz stoppen, weil es Gegnern scheinbare Argumente gibt? Führt wohl kein Weg daran vorbei: Wir müssen Energiewendekonsens betonen, Gräben flacher machen und gemeinsam Lösungen finden ...

  2. Ajaz Shah

    vor 7 Jahren

    Der hier im Artikel erwähnte Energieblogger Erhard Renz hat in seinem Blog geantwortet:

    http://www.sonnenfluesterer.de/2016/10/kosten-zahlen-und-groessenordnungen/

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  3. Windmüller

    vor 7 Jahren

    Es wäre in Deutschland schon sehr hilfreich, wenn man die Unehrlichkeit mal beiseite lassen würde. In der Lobbystudie wurden horrende Kosten an die Wand gemalt. Die Ökoenergien machen den Strom an der Strombörse billiger. Dadurch fällt die EEG Umlage entsprechend höher aus. Da werden die niedrigen Strompreise ( von denen die Industrie profitiert ) umgemünzt in Kosten durch Öko.Dann hauen wir erneuerbare Energien doch platt, dann entfällt mittelfristig die preisdämpfende Wirkung an der Strombörse. Dann zahlt die Industrie wieder höhere Preise, während der Ottonormalbürger entlastet würde. Den Aufschrei der INSM möchte ich erleben. Beim Thema Energiewende wird so viel Dummfug abgeliefert, da möchte man an manchen Tagen glauben, Hanf sei in Deutschland bereits legalisiert.

  4. Andreas Kühl

    vor 7 Jahren

    Sehr schöner Kommentar lieber Hubertus. Heute fehlt zu oft der Blick auf das Wesentliche, und zwar der Fortschritt der Energiewende in allen Bereichen. Gerade in der Diskussion um das EEG und die leidige Umlage zeigt, wie die Seiten an alten Rezepten festhalten. Die INSM mit ihrem Quotenmodell, das noch nirgends auf der Welt den Beweis für eine kosteneffziente Energiewende erbracht hat und auf der anderen Seite die Liebhaber des EEG, die gerne wieder die Version aus dem Jahr 2002 zurück haben wollen. Bringt uns beides heute weiter? Ich glaube nicht. Wir sind zum Glück schon deutlich weiter voran gekommen. Jetzt ist es Zeit für Geschäftsmodelle mit erneuerbaren Energien, die mehr und mehr am Markt sichtbar werden, sofern sie nicht von staatlicher Regulierung behindert werden und jetzt ist es Zeit für eine Integration von Wärme und Mobilität in der Energiewende. Die Vorschläge des BNE oder von Stiebel-Eltron sind hier weit lösungsorientierter als das Geplänkel um die EEG-Umlage. Ich hoffe, dass wir uns künftig mehr den Lösungen widmen als den Problemen.

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