War watt? Der Minister für Energie schreibt an seine Fraktion

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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09. Juni 2016
War watt? ist die energiepolitische Kolumne von Hubertus Grass. Hier geht es um die Energiewende. Wie bekommen wir die gut hin?

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, will noch vor der Sommerpause die Reform des EEG durch den Deutschen Bundestag bringen. Nach Gesprächen mit den Ländern und Kompromissen innerhalb der Koalition passierte der veränderte Entwurf in dieser Woche das Kabinett. Um allzu großen Ärger in den eigenen Reihen zu vermeiden und eine möglichst hohe Zustimmung zu erreichen, schrieb der Minister für Energie am 3. Juni einen Brief an die Mitglieder seiner SPD-Fraktion und warb um Zustimmung für die Reform des EEG. Der Blog MetropolSolar Rhein-Neckar hat diesen Brief erhalten und veröffentlicht.

Auszug aus Sigmar Gabriels (Minister für Energie) Brief an die SPD-Fraktion wegen des EEGs.

Leider sind Sigmar Gabriel bei der Abfassung des Briefes einige Fehler unterlaufen, die ein Korrekturschreiben notwendig machen. Da der Minister, der ja auch SPD-Vorsitzender ist, schon wieder mit anderen Dingen befasst ist, haben wir Sigmar Gabriel diese Arbeit abgenommen und ihm einen Entwurf für dieses Schreiben erstellt.

Liebe Freundinnen und Freunde,

letzte Woche habe ich Euch in Sachen EEG-Reform einen Brief gesandt, der einige Fehler enthielt, die nun zu korrigieren sind. Schon in der ersten Zeile fängt es an. „Die Energiewende ist nicht mehr zu stoppen“ steht da. Richtig ist, dass die Energiewende bisher ausschließlich im Stromsektor stattfindet. Im Verkehr hat sie überhaupt noch nicht angefangen hat. In mehr als 20 Jahren haben wir nicht ein Kilogramm CO2 in diesem Segment eingespart. Was noch nicht läuft, muss man auch nicht stoppen.

Falsch ist auch die folgende Aussage, dass der „Anteil der erneuerbaren Energien… heute bei über 33 Prozent“ liegt. Auch diese Zahl bezieht sich auf den Anteil der EE beim Strom. Beim Primärenergieverbrauch – das ist die richtige Bezugsgröße für das Maß der Energiewende – liegen wir bei 13 Prozent. Liebe Freundinnen und Freunde, Ihr habt sicherlich Verständnis dafür, dass ich lieber von den 33 Prozent rede und die Bezugsgröße, die Stromerzeugung, unterschlage. 33 Prozent – das führt die Leser in die Irre –  ist aber einfach schicker als 13 Prozent.

Gegenüberstellung des Primärenergieverbrauchs nach Energieträgern in Deutschland der Jahre 1990 und 2015.

Ebenso falsch ist auch der von mir erweckte Eindruck, in der Großen Koalition hätten wir viel für die Energiewende erreicht. „7,4 Prozent Wachstum in 2 Jahren hat es in keiner Zeit zuvor gegeben.“ Jeder, der ein wenig von der Materie versteht, weiß, dass alle größeren Projekte einen längeren Vorlauf brauchen. Was ich hier als Erfolg verbucht habe, ist nicht das Ergebnis unserer Politik, sondern der Zuwachs, der durch die Fertigstellung von Off-Shore- und anderen Windprojekten zufällig in unsere Regierungszeit fiel. Richtig ist, dass wir uns erfolgreich darum bemüht haben, die Energiewende vor allem bei der Solarenergie abzuwürgen. Das dokumentiert besser als viele Worte diese Grafik:

Darstellung des Rückgangs des Ausbaus der Photovoltaik von 2010-2015 pro Jahr in Deutschland. Die Gesamtleistung der neuinstallierten Anlagen ging von 7,4 Mio. kWp auf 1,3 mio. kWp zurück und die Einspeisevergütung von 35,4 ct auf 12,06 ct.

Liebe Freundinnen und Freunde, ich bitte Euch die Liste mit den vielen Erfolgen nicht so ernst zu nehmen. Zum Beispiel schrieb ich „Wir haben einen neuen Strommarkt geschaffen, der fit ist für die erneuerbaren Energien.“ Erzählt diesen Unsinn bitte nicht in Eurem Wahlkreis weiter. Wenn jemand dabei ist, der etwas vom Thema versteht, lacht der sich scheckig. Die Wahrheit ist: Seit der Liberalisierung des Strommarktes 1998 sind die wesentlichen Dinge so geblieben wie damals vor fast 20 Jahren beschlossen. Der Strommarkt mit seinem Volumen, seinen Marktanreizen und seinen über die Börse ermittelten Preissignalen ist ein Markt für fossile Kraftwerke. Bis heute haben wir es nicht geschafft, diesen Markt für die Erneuerbaren zu öffnen und kompatibel zu machen. Das wird nicht einfach sein, ist aber dank neuer Technologien zu schaffen.

Anders als ich es geschrieben habe, ist dieser Markt ausschließlich auf die Kohle und Atomkraftwerke orientiert. Das schafft riesige Probleme:

  • Der Vorrang von erneuerbarem Strom macht den fossilen Strom billig.
  • Fast alle Kohlekraftwerke schreiben Verluste.
  • Aber nach wie vor laufen sie – mangels Alternativen – fast rund um die Uhr. Der überschüssige Strom geht zu Ramschpreisen ins Ausland, drückt auch dort die Preise. Das bringt neuen Ärger.
  • Die Kraftwerksbetreiber nehmen ihre Erzeugungsanlagen trotz Verlusten nicht vom Netz, weil sie darauf hoffen, von uns (vom Staat) eine Art Stilllegungsprämie zu bekommen. Da habe ich leider im letzten Jahr wohl die falschen Signale gesetzt und 1,6 Milliarden zu viel ausgegeben.
  • Und zu allem Überfluss verstopft uns jetzt dieses Überangebot an billigem Strom die Netze.

Diese  Situation macht mich als zuständigen Minister für Energie ein wenig ratlos. Wenn ich eingreife und die alten Braunkohlkraftwerke vom Netz nehme (aus Gründen des Gesundheitsschutzes wäre das leicht möglich), bekomme ich erstens Ärger mit unseren eigenen Leuten in den Braunkohleländern. Und zweitens droht Ärger mit den betroffenen Unternehmen. Das sind nämlich zum Teil die gleichen Unternehmen, von denen wir noch Geld für den Rückbau und die Endlagerung des Atommülls haben wollen. Ich fürchte, beides zusammen – die Einforderung der Liquidität bei gleichzeitiger Schließung von Kraftwerken – könnte die Unternehmen überfordern.

Und dann noch die Geschichte mit Bayern. Kein vernünftiger Mensch würde nach den letzten Unwettern, die ja besonders in den Maisanbau-Gebieten schwere Schäden verursacht haben, weiteres Geld in den Ausbau der Biogasanlagen stecken. Der Maisanbau fördert die Bodenerosion, bei Starkregen führt das mitunter zu Schlammlawinen. Das ficht aber einen Typen wie Horst Seehofer nicht an. Der hat Probleme mit den Bauern, die bei einem Milchpreis von unter 30 Cent pro Liter drauf zahlen. Also braucht es Kompensation. Horst Seehofer hat mir in der Koalitionsrunde die Pistole auf die Brust gesetzt. Ohne weitere Förderung von Biogas könne die CSU nicht zustimmen. Also habe ich wider besseres Wissen 2,4 Milliarden Euro drauf legen müssen.

Liebe Freundinnen und Freunde aus der SPD-Fraktion, Ihr erkennt, dass die Probleme mit dem EEG viel komplexer sind, als ich Euch das im Brief vom 3. Juni beschrieben habe. Und dabei habe ich in dem Brief völlig darauf verzichtet, ein Wort zum Thema „Klimaschutz“ zu verlieren. Die ganzen Energiefragen sind schon komplex genug, um das Klima kann ich mich nicht auch noch kümmern.

Richtig ist, was ich am Ende des Briefes schrieb. „Der Siegeszug der Erneuerbaren… ist da.“ Ich weiß zurzeit allerdings nicht, ob er auch in Deutschland stattfinden wird. Als zuständigem Minister sind mir – in dieser Partei, bei diesen Umfrageergebnissen, in dieser Koalition – zu sehr die Hände gebunden. Dafür bitte ich Euch um Euer Verständnis.

Mit herzlichem Gruß

Euer

Sigmar Gabriel

 

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  1. David Bruchmann

    vor 8 Jahren

    Ein biologisches Phänomen könnte man anhand dises Beispiels vielleicht ganz gut erklären: Wie können Politiker dauerhaft die Schamesröte im Gesicht unterdrücken.

  2. Sebastian Büttner

    vor 8 Jahren

    Geniale Erklärung! Endlich verstehe ich, was die SPD und ihr Wirtschaftsminister will. Danke!

    Lasst uns diesen Irrsinn stoppen und die Energiewende retten. Das EEG2016 darf nicht in Kraft treten und unsere Volksvertreter dürfen nicht zustimmen!

    Die Energiewende ist dezentral und per Sektorkopplung mit Verkehrswende und Industrie 4.0 verbunden, sonst scheitert sie im Ansatz.

    Sonnige Grüße,
    Sebastian Büttner

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