Zugegeben, wenn man das Wort „milliardenschwer“ hört, denkt man als erstes vielleicht an Elon Musk, russische Oligarchen oder Cartoons übergewichtiger Anzugträger mit Goldkettchen, Zigarre und aus den Taschen quellenden Dollarscheinen. An Wildbienen denkt man dabei eher nicht. Es ist an der Zeit, das zu ändern.
Es mutet etwas bizarr an, dass ein großes deutsches Boulevardblatt die „Angst vor Weltrezession“ ausruft, wenn der DAX aufgrund des amerikanischen Zolldominos 10% nachgibt. Ich neige dazu, reißerische Schlagzeilen zu relativieren, doch in diesem Fall kann ich nur sagen: es wird aber auch Zeit! Die Weltrezession ist längst da. Wir finden sie allerdings weder in den Schlagzeilen, noch in den großen politischen Debatten.
Ökosystemleistungen sind existentiell
Zu langsam wird uns klar, was uns unser Lebenswandel tatsächlich kostet: Äcker sind ausgelaugt, Tiere jeder Würde entrissen, viele Arten finden wir nur noch als „Ansichtsexemplare“ im Museum.
50 – 100% der globalen Wirtschaftsleistung hängen von funktionierenden Ökosystemen ab. Dieser schlichte, absolut nicht boulevardtaugliche Satz ist wichtig, weil er uns vor Augen führt, dass zwischen 55 000 Milliarden und 110 000 Milliarden USD (in Worten „unsere Existenz“) auf dem Spiel stehen. Und dass wir von der Komplexität unserer Umwelt so viel verstehen, wie Fußballer Andi Möller von Geografie: Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien!
Zu langsam wird uns klar, was uns unser Lebenswandel tatsächlich kostet: Äcker sind ausgelaugt, Tiere jeder Würde entrissen, viele Arten finden wir nur noch als „Ansichtsexemplare“ im Museum. Schmerzmittel und Pestizide in der Umwelt; Asphalt, der Lebensräume zerschneidet; Landwirtschaft, die nur noch mit Hochleistungs-Massen-Tieren bestehen kann – wir zerstören, was unser Überleben sichert: Wasser, Luft und Boden tauschen wir ein gegen Mikroplastik im Gehirn, Feinstaub in unseren Lungen und Resignation in den Augen unserer Kinder.
Natürlich: Kriege, Trump, Inflation. Das alles sorgt uns, völlig zu Recht. Doch um Covid, faule Immobilien-Kredite und Dotcom Gespenster haben wir uns vor 5, 15 und 25 Jahren auch gesorgt. Und heute? Doch die Erosion unserer Lebensgrundlage schreitet fort – seit dem 16. Jahrhundert.
„Da kann man ja gar nichts mehr essen“
Nach einer Schätzung des Weltbiodiversitätsrates beträgt der ökonomische Nutzen allein von Wildbienen, Schwebfliegen und Schmetterlingen weltweit 577 Milliarden Euro – jedes Jahr! Das ist mehr als das Brutto-Inlandsprodukt Norwegens. Mehr als diese vielen Nullen veranschaulichte aber ein Lebensmittel Discounter in Hannover, was dieses Artensterben eigentlich bedeutet: Er entfernte alle Produkte aus den Regalen, die auf Bestäuber angewiesen sind. Rund 60 Prozent aller Artikel fehlten plötzlich: leere Gemüsetheken und Tiefkühltruhen, kaum Molkereiprodukte, weder Schokolade noch Kaffee. Da kann man ja gar nichts mehr essen, fasste es eine Kundin zusammen. Und selbst im Kosmetikregal gab es große Lücken – wegen der Zusatzstoffe.
Lokal-Bio-Vegane-Öko-Schnitzel alleine sind nicht die Lösung
Wenn wir in Brandenburg mehr CO2 einsparen, als wir in Bayern ausstoßen, dann haben wir in Summe dem Klima geholfen. Bei der Artenvielfalt ist das weniger simpel.
Wer jetzt denkt: Ab morgen nur noch Lokal-Bio-Vegane-Öko-Schnitzel, dem sei gedankt. Viel wichtiger aber wäre ein Röntgenblick durch ihr Portemonnaie, denn nirgendwo sonst ist der Hebel, etwas zu ändern, so groß. Wer in Firmen investiert, die mit Monokulturen, Bergbau, Mikroplastik oder Agrarchemie ihre Gewinne polstern, der wird den Effekt, den sein Geld auf Klima und Biodiversität hat, kaum durch gut gemeinte Konsumentscheidungen aufwiegen können. Das gilt auch, wenn ihr Versicherer ihre Beiträge in Konzerne investiert, ohne deren Nachhaltigkeitsberichte zu prüfen.
Beim Klima wissen wir, dass wir die Treibhausgase in unserer Atmosphäre reduzieren müssen. Wir können die Wirkung verschiedener Klimagase in CO2-Äquivalente umrechnen und haben eine allgemeingütige Kennzahl: Eine Tonne CO2 ist in Istanbul genauso schädlich wie in Auckland. Wenn wir in Brandenburg mehr CO2 einsparen, als wir in Bayern ausstoßen, dann haben wir in Summe dem Klima geholfen. Bei der Artenvielfalt ist das weniger simpel.
Rüssel ist nicht gleich Rüssel
Man kann das Aussterben der nur wenige Millimeter großen Gallmücke nicht durch ein paar mehr Elefanten kompensieren. Beide haben einen Rüssel, der Elefant wird es aber kaum fertigbringen, damit die winzigen Blüten der Kakaopflanze zu bestäuben. Was einleuchtend klingt, macht es für Unternehmen und Investoren aber gleichermaßen schwierig gegenzusteuern. Welche Daten kann man wie erheben? Wie kann man die Wirkung von Maßnahmen vergleichen, wenn es an einer Allround-Kennzahl mangelt? Hinzu kommt, dass ein und dieselbe Maßnahme sehr positiv und sehr negativ beurteilt werden kann. Der Bienenkasten auf dem Dach ist ein Paradebeispiel. Gibt ein Unternehmen sein Dach her, um lokal produzierende Bio-Imker zu unterstützen, ist das für Imker wie Umwelt gut, wenn weniger Honigersatz aus China importiert wird und bestäubende Honigbienen einigen Pflanzen helfen, ihr Überleben zu sichern. Treten die Honigbienen aber in Konkurrenz zu Wildbienen in geschädigten Ökosystemen, die ohnehin schon wenig Pollennahrung bieten, dann wird die gut gemeinte Initiative zur Bedrohung. Umgekehrt wird die Klima-Killer-Kuh zur Retterin, wenn sie im Hutewald [1] gehalten wird, der Lebensraum für spezialisierte Arten bietet, die sonst kaum noch eine Heimat finden. Was heißt das nun für unser Portemonnaie?
Schau hin!
Letztendlich bleibt den Investoren – den milliardenschweren wie den Kleinanlegern – nur eins: genau hinschauen, nachdenken, nachfragen.
Welche Werte sollen meine Investments leiten? Was macht ein verantwortungsvolles Unternehmen aus? Was bietet es an, wie arbeitet es und welchen Ruf hat es? Welche Anlagekriterien nutzen die verschiedenen Anbieter? Was wird ausgeschlossen, was wird aufgenommen, wie wird abgewogen? Im Zweifel gilt: in das investieren, was man versteht, und das einen beim Blick in den Spiegel nicht erschaudern lässt.
[1]: Ein Hutewald ist eine traditionelle Form der Waldnutzung, bei der Nutztiere im Wald weiden – also „gehütet“ werden (daher „Hute“-Wald). Durch diese Nutzung ist der Wald offen, artenreich und kulturhistorisch besonders wertvoll.
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