Konsequente Kreislaufwirtschaft: Cradle to Cradle

Gastautor Portrait

Nora Sophie Griefahn

Geschäftsführende Vorständin von Cradle to Cradle NGO

Nora Sophie Griefahn ist geschäftsführende Vorständin von Cradle to Cradle NGO. Die Umweltwissenschaftlerin koordiniert die politische und wissenschaftliche Arbeit der gemeinnützigen Organisation, die sie 2012 mitgegründet hat. Sie treibt ein Umdenken in Wissenschaft, Politik, Bildung und Gesellschaft voran, das mehr als Klimaneutralität zum Ziel hat. Über C2C spricht sie auf Veranstaltungen sowie als Interviewpartnerin.

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29. Juni 2021

Um wirklich zukunftsfähig zu konsumieren und zu wirtschaften, müssen wir den globalen Wohlstandszuwachs vom Verbrauch endlicher Ressourcen entkoppeln.

Nora Sophie Griefahn

Unser Ressourcenverbrauch ist höher denn je. Jahr für Jahr rückt der Earth Overshoot Day näher Richtung Jahresbeginn. Dieser Erdüberlastungstag markiert das Datum, ab dem die Menschheit mehr Ressourcen verbraucht, als die Erde innerhalb eines Jahres wiederherstellen kann. Selbst das Corona-Jahr 2020 hat diesen Tag nur um 24 Tage nach hinten verschoben.

Der Fokus der politischen Debatte rund um Klima- und Ressourcenkrise liegt auf Reduktion und Verzicht. Doch spätestens das vergangene Jahr hat gezeigt, dass diese Strategie nicht ausreicht, um zusammenhängende Umwelt-, Klima- und Ressourcenprobleme langfristig zu lösen. Wir verlagern Probleme damit nur zeitlich nach hinten. Zudem ist der Ansatz im Spannungsfeld zwischen zur Neige gehenden Ressourcen und der wachsenden Weltbevölkerung auf globaler Ebene nicht umsetzbar. Um wirklich zukunftsfähig zu konsumieren und zu wirtschaften, müssen wir den globalen Wohlstandszuwachs vom Verbrauch endlicher Ressourcen entkoppeln. Dafür müssen wir Strategien entwickeln, mit denen wir uns nicht länger als Schädlinge wahrnehmen, sondern einen positiven Einfluss auf Umwelt und Klima haben. Wir müssen die Dinge von Grund auf neu denken.

Klimaneutralität allein reicht nicht

Die Reduktion von CO2-Emissionen ist ein richtiger Schritt, um die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen (UN) zu erreichen. Im Werkzeugkasten der SDGs nimmt Ziel Nr. 12 eine zentrale Rolle ein: „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen“. Dieses UN-Ziel gilt als elementare Voraussetzung, auch andere Ziele wie den Erhalt von Ökosystemen, die Bekämpfung von Hunger und die Maßnahmen gegen den Klimawandel zu erfüllen. Um Produktion und Konsum aber langfristig zukunftsfähig zu machen, müssen wir mehr tun als unsere Schadschöpfung zu reduzieren. Wir müssen uns weitergehende Ziele stecken als das der Klimaneutralität. Es reicht schlicht nicht aus, um die Entwicklung zu drehen. Wir müssen positive Ziele definieren, unser lineares Handeln beenden und beginnen, in Kreisläufen zu denken.

Cradle to Cradle (C2C) ist eine konsequente Kreislaufwirtschaft, die in Abgrenzung zu anderen Konzepten bereits beim Design und der Materialauswahl beginnt und die den Menschen als potenziellen Nützling betrachtet. In einer C2C-Welt zirkulieren alle Ressourcen in biologischen oder technischen Kreisläufen. Materialien der Biosphäre werden in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt, während Stoffe der Technosphäre kontinuierlich wiederverwendet werden können – so wird das Konzept Müll obsolet. Statt endliche Ressourcen zu verbrauchen, gebrauchen wir sie für ihr festgelegtes Nutzungsszenario. So werden sie wieder und wieder zu Nährstoff für neue Produkte. Voraussetzung dafür ist, dass Produkte bereits von Anfang an für Kreisläufe entwickelt werden: Geeignet für ein bestimmtes Nutzungsszenario, gesund für Mensch und Natur und ohne Qualitätsverluste wiederverwertbar.

Cradle to Cradle als Design- und Innovationsansatz

Langfristig müssen wir Kohlenstoff – die Grundlage der organischen Chemie – als das begreifen, was er ist: Ein wichtiger Rohstoff, der in Kreisläufen geführt werden muss.

Nora Sophie Griefahn

Das Ziel, CO2-Emissionen zu senken kann dabei nur ein Zwischenschritt sein. Langfristig müssen wir Kohlenstoff – die Grundlage der organischen Chemie – als das begreifen, was er ist: Ein wichtiger Rohstoff, der in Kreisläufen geführt werden muss. Wir gehen mit Kohlenstoff heute ebenso unlogisch um, wie mit anderen endlichen Ressourcen: Wir entnehmen Öl aus der Erde, produzieren daraus Produkte, die am Ende zu Müll werden, oder verbrennen es direkt. So gelangt zu viel Kohlenstoff in die Atmosphäre, wo er den Klimawandel beschleunigt. Ein linearer Prozess, schlechtes Kohlenstoffmanagement. Stattdessen sollten wir Kohlenstoff beispielsweise für die Landwirtschaft nutzen, die dadurch produktiver werden und eine steigende Zahl von Menschen auf der Welt gut versorgen könnte. Darüber hinaus müssen wir jene Technologien fördern, mit denen wir CO2 aus der Atmosphäre zurückgewinnen und Kohlenstoff industriell einsetzen können. Dazu benötigen wir eine wissenschaftlich fundierte Strategie für Kohlenstoffmanagement, die alle Wirtschaftssektoren umfasst.

Wie auch beim Umgang mit Kohlenstoff selbst, muss bei diesen Technologien die Kreislauffähigkeit eine zentrale Rolle spielen. Bei Rückgewinnung und industrieller Anwendung dürfen nur erneuerbare Energie eingesetzt werden, die in kreislauffähig hergestellten Anlagen produziert wird. Denn sonst verlagern wir auch hier ein Problem nur zeitlich nach hinten, anstatt zusammenhängende Probleme langfristig zu adressieren.

Durch Technisierung und Industrialisierung haben wir Menschen unseren Lebensstandard in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich verbessert. Diese Möglichkeit haben wir auch heute. Wir werden auf neue Technologien und C2C-Innovationen, auch für CO2-Management, perspektivisch nicht verzichten können. Für die chemische Industrie sind sie eine große Chance, die künftige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen. Cradle to Cradle liefert als Design- und Innovationsansatz den Blueprint dafür.

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