Konflikt zwischen Naturschutz und Verkehrssicherheit

Gastautor Portrait

Prof. Dr. Jürgen Peters

Professur für Landschaftsplanung und Regionalentwicklung

Jürgen Peters ist in Niedersachsen aufgewachsen und gelernter Landschaftsgärtner. In Berlin studierte er Landschaftsplanung. Heute forscht und lehrt er als Professor an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit Alleen und ihrer Bedeutung für Natur und Gesellschaft.

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20. Oktober 2025
Bild: mit KI generiert

Zum Tag der Allee am 20. Oktober erklärt Experte Jürgen Peters, warum die klimafreundlichen Baumbestände entlang der Straßen immer kleiner werden. Der Professor fordert konsequentes Alleenmanagement in den Kommunen.

Alleen sehen wunderschön aus, aber warum sind sie auch aus Sicht des Naturschutzes besonders erhaltenswert?

In Städten und Dörfern sorgen die Schatten der Bäume in heißen Sommern für angenehme Kühle. Auf offenen Flächen schützen Alleen vor Wind und Erosion. Eine weitere wichtige Funktion ist ihre Verdunstung. Ein großer Baum gibt mehrere hundert Liter Wasser pro Tag ab. Die Luft wird feuchter, was zu mehr Niederschlag führen kann und in trockenen Regionen vorteilhaft ist. In den Baumkronen wiederum befinden sich zahlreiche Insekten, die größeren Tieren wie Vögeln oder Fledermäusen als Nahrung dienen.

Wie viele Alleen gibt es in Deutschland?

Wir haben mit Hilfe von Geodaten festgestellt, dass es einen Alleenbestand von 20.000 Kilometern gibt. Hinzu kommen 73.000 Kilometer Baumreihen, also einseitige Alleen. Viele davon sind zwischen 1960 und 1980 entstanden, als man Straßen verbreitert und an einer Seite die Bäume gerodet hat. Der Bestand an Alleebäumen ist seitdem deutlich gesunken.

A narrow road surrounded by high trees with green leaves during daytime

Seit wann gibt es Alleen?

Schon im alten Ägypten waren Alleen Gestaltungselemente, um Prozessionsstraßen zu schmücken. Im Barock wurden sie in den Schlossgärten gepflanzt, um den Herrschaftssitz in die Landschaft hinauszuführen. Ein umfassender Ausbau begann aber erst im 19. Jahrhundert. Damals wurden entlang der großen Straßen Bäume gepflanzt, damit Kutscher und Zugtiere Schatten hatten. Stundenlang der Sonne ausgesetzt sein, das war sehr anstrengend für Mensch und Tier.

Gibt es eigentlich den typischen Alleenbaum?

Nein, es bestehen regionale Unterschiede. Im ländlichen Raum hat man schon vor 300 Jahren Fahrwege mit Schnitthölzern und Obstbäumen bepflanzt, um die Bevölkerung mit Holz und Nahrungsmittel zu versorgen. Später kamen Maulbeerbäume hinzu. Ihre Früchte wurden an Seidenraupen verfüttert, die Hugenotten aus Frankreich eingeführt hatten. Die typischen Großbaumalleen aus dem 19. Jahrhundert bestehen meist aus Eichen, Linden und Ahorn. Im Oderbruch sieht man viele Weiden, Pappeln oder Eschen – also Baumarten, die hohe Grundwasserstände benötigen.

Früher gab es auch Ulmen…

Anfang des 20. Jahrhunderts war die Ulme ein verbreiteter Alleenbaum. Heute gibt es kaum mehr welche. Ursache ist der Ulmensplintkäfer. Dieser Schädling überträgt einen Pilz, der die Leitungsbahnen verstopft. Das Beispiel zeigt, wie anfällig Monokulturen sind.

Welche Rolle spielen Alleen heute im Rahmen von Klimaanpassungsstrategien?

Neben den bereits genannten Vorteilen sind Bäume wichtige Kohlenstoffspeicher und dämpfen den Klimawandel. Diesen Effekt könnte man viel stärker nutzen. Wir haben in einem Forschungsprojekt errechnet, dass 90 Prozent aller ländlichen Wege keine Bäume haben. Sie bieten also ein hervorragendes Potenzial für Alleen.

Versehentlich vor einen Baum zu fahren, ist heute in einem modernen Auto gar nicht mehr so einfach – es sei denn, jemand will Suizid begehen. Aber davor schützen auch größere Pflanzabstände nicht.

Prof. Dr. Jürgen Peters

Wodurch sind Alleen heute bedroht?

Bäume gehen altersbedingt verloren. Andere müssen entnommen werden, weil sie morsch sind oder von Pilzen befallen. Ein schleichender Prozess, durch den die Alleen immer mehr Lücken bekommen.

Diese Bäume könnte man doch nachpflanzen?

An Bundes- und Landesstraßen passiert das nicht, weil es heute strenge Verkehrssicherheitsrichtlinien gibt – wie etwa die „Empfehlungen zum Schutz vor Unfällen mit Aufprall auf Bäume“, kurz ESAB. Bäume dürfen danach nur mit Mindestabstand zur Fahrbahn gepflanzt werden. Bei dem Regelwerk handelt es sich zwar nur um Empfehlungen, in der Praxis wird es aber von Behörden oft wie ein Gesetz befolgt.

Dann könnte man die neuen Bäume doch einfach ein Stück weiter weg setzen…

Auch das ist nicht so einfach. Diese Flächen gehören oft Landwirten, von denen man sie erst kaufen oder pachten müsste. Das ist in der Regel ein komplizierter Prozess. Deshalb erfolgen kaum Nachpflanzungen.

Meinen Sie Verkehrssicherheit wird in Alleen zu stark betont?

Sagen wir so: Es besteht ein Interessenkonflikt zwischen Naturschutz und Verkehrssicherheit. Deutschland und andere Länder wollen die Zahl der Verkehrstoten durch Baumunfälle auf null senken. Das ist natürlich gut und richtig. Allerdings wird übersehen, dass Assistenzsysteme immer besser werden. Versehentlich vor einen Baum zu fahren, ist heute in einem modernen Auto gar nicht mehr so einfach – es sei denn, jemand will Suizid begehen. Aber davor schützen auch größere Pflanzabstände nicht.

Wie aufwendig ist die Pflege und der Erhalt von Alleen?

Das hängt von der Lebensphase des Baumes ab. In den ersten drei bis fünf Jahren müssen die Bäume regelmäßig gewässert werden. Das ist ein vergleichsweise hoher Pflegeaufwand. In der Jugendphase erfolgen mehrere Erziehungsschnitte, durch die das Lichtraumprofil über der Straße erhalten bleibt – für Fahrbahnen beträgt der freizuhaltende Höhenbereich üblicherweise 4,50 Meter. Dann folgen viele Jahre mit wenig Pflegeaufwand. Erst in der Alterungsphase machen die Bäume wieder mehr Arbeit. Es müssen tote Äste entnommen werden, damit sie nicht auf Fahrzeuge fallen.

Welche Maßnahmen müsste die Politik ergreifen, um Alleebestände zu schützen oder sogar auszubauen?

Neben flexibleren Verkehrsrichtlinien brauchen wir ein Alleenmanagement. Brandenburg, das alleenreichste Bundesland, hat sogar eine eigene Strategie entwickelt – die Alleenkonzeption 2030. Das Land möchte den Bestand der Alleen zumindest halten. Aber gerade kleine Kommunen sind mit den damit verbundenen Aufgaben oft überfordert. Denn Neupflanzungen müssen organisiert werden. Und da fehlt es in vielen Behörden an Fachpersonal.

Vielen Dank für das Gespräch.

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