Deutschland und die Bürokratie: Lange war das eine Erfolgsgeschichte, sichern verlässliche Verfahren doch die Bürger vor staatlicher Willkür. Heute sieht das leider anders aus: Die immer weiter um sich greifende Bürokratie und Verrechtlichung ganzer Lebensbereiche lähmt das Land. Besonders der Bausektor ist davon betroffen.
Der deutsche Gebäudealtbestand: Klimasünder und Sanierungsfall
[...] ein klimaneutraler Gebäudebestand bleibt Illusion, solange die Sanierung am Verfahren und fehlenden Fördermöglichkeiten scheitert
Rund ein Drittel der CO₂-Emissionen in Deutschland entfällt auf den Gebäudesektor. Das liegt vor allem am Altbestand: Millionen Wohn- und Nichtwohngebäude stammen aus den 1950er- bis 1980er-Jahren, sind energetisch ineffizient und in weiten Teilen noch immer mit Öl- oder Gasheizungen ausgestattet. Diese Gebäude weisen oftmals einen hohen Wärmeverlust auf – durch ungedämmte Dächer, Fassaden und veraltete Fenster. Deutschland verfolgt, wie die EU, ambitionierte Klimaziele.
Doch ein klimaneutraler Gebäudebestand bleibt Illusion, solange die Sanierung am Verfahren und fehlenden Fördermöglichkeiten scheitert. Klimaschutz beginnt nicht mit dem ersten Handgriff auf der Baustelle – sondern mit einer Baugenehmigung und dem Willen, Sanieren als Weg zur Klimaneutralität zu verstehen.
Politische Programme und die Realität auf deutschen Baustellen passen nicht zusammen
Was auf EU-Ebene als klarer Fahrplan erscheint, droht in Deutschland am Verfahren zu scheitern.
Seit April 2024 läuft die Frist zur Umsetzung der überarbeiteten EU-Gebäuderichtlinie (EPBD). Diese verpflichtet alle Mitgliedstaaten, den Primärenergieverbrauch des Gebäudebestands bis 2030 um 16 %, bis 2035 um 22 % zu senken – mit dem Ziel eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050. Der Fokus liegt dabei auf den energetisch schlechtesten 15 % aller Gebäude, die über die Hälfte der Einsparungen liefern sollen. Bis Mai 2026 muss Deutschland die Richtlinie in nationales Recht umsetzen.
Was auf EU-Ebene als klarer Fahrplan erscheint, droht in Deutschland am Verfahren zu scheitern. Zwar wird über digitale Genehmigungen und Bürokratieabbau diskutiert – doch die Umsetzung bleibt zäh. Sanierungsvorhaben werden durch bürokratische Hürden ausgebremst. Wichtige Reformen – etwa zur Rücknahmefiktion oder zur Vereinheitlichung der Landesbauordnungen – bleiben bislang weitgehend aus.
Die Bürokratiebremse im Brandschutz
Viele Bauherren verzichten auf energetische Sanierungen, da sie hohe Kosten für zusätzliche Auflagen fürchten [...]
Besonders sichtbar wird das Problem beim Brandschutz: Zwar ist er als präventives Instrument wichtig – doch in der Praxis sorgt er regelmäßig für Verzögerungen und Mehrkosten. Ein zentrales Beispiel ist die sogenannte Rücknahmefiktion (§ 69 Abs. 2 MBO): Wird ein Bauantrag als unvollständig bewertet – oft auf Basis unklarer Vorgaben – kann ihn die Behörde ohne Bescheid als „zurückgenommen“ werten. Ohne Widerspruchsrecht. Die Folge: Planungsunsicherheit, Mehraufwand, finanzielle Risiken, Projektabbrüche.
Diese Rücknahmefiktion ist Symptom einer größeren Problematik: Selbst einfache Sanierungen werden durch nachträgliche Auflagen faktisch zu Sonderbauten. Zusätzliche Gutachten, Nachrüstungen oder Umbauten können Projekte erheblich verteuern oder verhindern. Laut einer IFO-Umfrage bewerten 53,6 % der Bauunternehmen die Lage im Wohnungsbau als angespannt. Viele Bauherren verzichten auf energetische Sanierungen, da sie hohe Kosten für zusätzliche Auflagen fürchten – mithin auch Reputationsverlust von Architekten und Fachplanern.
16 Landesbauordnungen, doch kein gemeinsames Ziel
Eine stärkere Angleichung der Landesbauordnungen an die Musterbauordnung wäre folgerichtig ein zentraler Hebel, um Verfahren zu vereinfachen und Planungsrisiken zu verringern.
Die Lage wird zusätzlich durch das föderale Bauordnungsrecht verkompliziert: Denn in Deutschland regelt jedes der 16 Bundesländer seine eigene Landesbauordnung – inklusive teils deutlich voneinander abweichender Anforderungen im Brandschutz. Das bedeutet: Ein identisches Bauvorhaben kann je nach Standort unterschiedlich bewertet und genehmigt werden. Einheitliche Standards gibt es bislang kaum. Dabei existiert mit der Musterbauordnung des Bundes (MBO) bereits eine Orientierungshilfe für die Bundesländer. Diese wurde zwar zu einem Großteil durch die Bundesländer übernommen, doch wurden die kostentreibenden Reglungen zum Brandschutz oftmals unterschiedlich festgeschrieben. Beispielhaft müssen Fenster, die als Rettungswege dienen, in Bayern 60cm breit sein, in Niedersachsen 90cm. Es stellt sich also mithin die Frage, ob denn nun in Bayern die Feuerwehrleute eine andere Statur haben als in Niedersachsen. Eine stärkere Angleichung der Landesbauordnungen an die Musterbauordnung wäre folgerichtig ein zentraler Hebel, um Verfahren zu vereinfachen und Planungsrisiken zu verringern. Doch in den aktuellen politischen Gesprächen bleibt dieses Thema bislang Randnotiz.
Die Sanierung stockt – weil der Antrag scheitert
Die öffentliche Debatte fokussiert sich oft auf Neubau. Der wahre Hebel liegt im Bestand – dort, wo der energetische Sanierungsbedarf am höchsten ist. Genau hier aber trifft man auf die größten bürokratischen Hürden. Umwelt-, Denkmal-, Lärmschutz und Barrierefreiheit führen zu immer neuen Auflagen. Ohne gezielte Entlastung bei Bestandsanierungen bleibt die EPBD ein politisches Ideal ohne Wirkung.
Drei Hebel für klimawirksame Genehmigungen
Um die Lücke zwischen Zielsetzung und Umsetzung zu schließen, braucht es konkrete Reformen:
- Abschaffung der Rücknahmefiktion in ihrer jetzigen Form – nachgelagerte, rechtlich nicht bindend einzubeziehende Stellen, dürfen nicht außerhalb des Verfahrens Forderungen stellen, die im Zweifel Bauvorhaben verhindern.
- Einheitliche Landesbauordnungen durch stärkere Orientierung an der Musterbauordnung.
- Digitalisierte Genehmigungsverfahren auch für Bestandsbauten – nicht nur für Großprojekte.
Entbürokratisieren, beschleunigen, Genehmigungsprozesse mit Augenmaß
Der Gebäudesektor wird seine Klimaziele nur erreichen, wenn Bauen und Sanieren nicht länger im Paragrafendschungel stecken bleiben.
Der Gebäudesektor wird seine Klimaziele nur erreichen, wenn Bauen und Sanieren nicht länger im Paragrafendschungel stecken bleiben. Der Brandschutz zeigt beispielhaft: Immer neue Wünsche nachgelagerter Stellen erhöhen weder die Sicherheit noch den Klimaschutz – sie erhöhen nur die Komplexität und mithin die Kosten. Weniger Vorschriften, eine Entschärfung der Rücknahmefiktion und ein deutschlandweit harmonisiertes Baurecht würden helfen, Wohnungsbau und energetische Sanierung wieder in Gang zu bringen.
Generell gilt: Klimaschutz im Gebäudesektor beginnt nicht bei der Wärmepumpe, sondern beim Bauantrag. Wer CO₂ einsparen will und die Sanierungsoffensive ernst meint, muss zuerst Bürokratie abbauen und unnötige Auflagen endlich praxistauglich gestalten. Die Umsetzung der EPBD ist sicherlich ein Kraftakt, doch auch eine gewaltige Chance: Wer Verfahren vereinfacht, schafft Fortschritt. Und wer Genehmigungen beschleunigt, beschleunigt den Klimaschutz. (Denn ist gilt wie immer: Wer nicht bereit ist für Veränderungen, der wird auch das verlieren, was er bewahren will).
Diskutieren Sie mit