War watt? Klimaforscher von allen guten Geistern verlassen?

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Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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04. Dezember 2017
Klimaschutz in der EU

Prof. Mojib Latif gehört zu den bekanntesten Klimaforschern in Deutschland. Latif ist Professor am GEOMAR, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, und leitet den Forschungsbereich Ozeanzirkulation und Klimadynamik. 2015 erhielt er den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt für seine Fähigkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse in der Öffentlichkeit zu vermitteln. Im Oktober dieses Jahres wurde er zum Präsidenten des Club of Rome Deutschlands gewählt. Der renommierte Forscher forderte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, „Deutschland müsse sofort alle Braunkohlekraftwerke abschalten, um das Ziel einer Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen um 40 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990 noch erreichen zu können.“ Ist der Mann von allen guten Geistern verlassen? In den Sondierungsgesprächen zwischen CDU, CSU, FDP und Bündnis 89/Die Grünen zeichnete sich nach zähen Verhandlungen ein Kompromiss ab, Kohlekraftwerke mit einer Leistung von sieben Gigawatt abzustellen. Latif fordert nun eine Stilllegung von 18 GW. Das ist die Leistungssumme aller deutschen Baunkohlekraftwerke. (Hier geht es zur Liste der Kraftwerke.)

Wovor hat die deutsche Politik Angst?

Was reitet den viel beschäftigten Wissenschaftler? Schießt er mit seiner Forderung nicht weit über das Ziel hinaus? Weit am Ziel vorbei schießt zunächst die deutsche Politik. Nach dem Scheitern der Sondierungen ist es nahezu unmöglich geworden, das Klimaschutzziel von 2020 zu erreichen. Um die Minderung von 40% gegenüber den Treibhausgasemissionen von 1990 einzuhalten, müsste in der verbleibenden Zeit der jährliche CO2–Ausstoß um 150 Millionen Tonnen gesenkt werden. Um wirksamen Klimaschutz durchzusetzen, fehlt es an  politischem Willen. Warum? Angst vor der Bevölkerung braucht die Politik nicht zu haben. Denn laut Emnid-Umfrage wollen 69 Prozent der Deutschen dem Umwelt- und Klimaschutz im Zweifel Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen geben. Und selbst der Kohleausstieg hat eine Mehrheit. 59 Prozent fordern, dass die nächste Regierung ihn beschließt.  Wo vor hat die deutsche Politik Angst?

Von allen guten Geistern verlassen, treiben wir den CO2-Anteil in der Atmosphäre in immer neue Höhen.
Von allen guten Geistern verlassen, treiben wir den CO2-Anteil in der Atmosphäre in immer neue Höhen. (Durch Klicken auf das Bild öffnet sich die Quelle.)

Und warum spielen berechtigte Ängste in der deutschen Politik nur eine marginale Rolle? Die Messdaten der Klimawissenschaftler zeigen, dass wir auf dem besten Wege sind, unsere Zukunft zu verheizen. 406, 85 ppm beträgt die CO2 –Konzentration in der Atmosphäre. 290 ppm waren es zu Beginn der Industrialisierung. Und 23 Weltklimakonferenzen haben es nicht vermocht, diesen Prozess aufzuhalten. Auch 2017 wird der Ausstoß an CO2 gegenüber dem Vorjahr wieder wachsen. Deutschland liegt historisch betrachtet auf Platz 4 der weltweiten Klimasünder. Vor allem im Verkehrssektor gibt es keinerlei Fortschritte. Wir liegen aktuell im Verkehr sogar über den CO2-Werten von 1990.

Wir sind es, die von allen guten Geistern verlassen wurden

Regierung und Parlament stützen sich bei ihrer Arbeit stets auf die Expertise der Wissenschaft. Wenn Politiker wie der derzeitige Präsident der USA die Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung ignorieren, haben wir dafür nur Hohn und Verachtung übrig. Doch in Deutschland läuft es nicht anders. In den vergangenen 30 Jahren hat nur eine einzige Maßnahme, die Treibhausgase nachhaltig reduziert: Die Abwicklung der DDR-Wirtschaft. Alle anderen wurden durch Wachstumseffekte neutralisiert.

Jedes Jahr neue Rekorde. Das Jahrzehnt 2010 bis 2020 wird sich da einreihen. (Durch Klicken auf das Bild öffnet sich die Quelle.)

Bei näherer Betrachtung stellen wir fest: Nicht die Klimaforschung ist von allen guten Geistern verlassen, sondern wir sind es. Ähnlich wie US-Präsident Trump reden wir uns die Welt schön. Unsere Taten sind andere. Wir kaufen größere Autos. Fliegen häufiger in den Urlaub und sind überhaupt mobiler denn je. Und auch die Wohnungen werden immer größer. Die Nutzung elektronischer Geräte sowieso. Den Erkenntnissen aus der Wissenschaft Beachtung schenken? Das machen weder die Bundesregierung noch die Bevölkerung. Über Trump mögen wir lachen. In unserer Ignoranz gegenüber den wissenschaftlichen Fakten sind wir ganz nah bei ihm.
Dabei ist bekannt: Je länger wir warten, unseren Lebensstil zu ändern und die Wirtschaft zu dekarbonisieren, desto schneller muss dieser Prozess ablaufen. Noch nehmen die großen Senken (die Wälder und die Meere) über die Hälfte des CO2 auf, das wir emittieren. Doch wenn diese Aufnahmefähigkeit sinkt, wird die Erderwärmung überproportional zunehmen.

(Zum Video: Für das Deutsche Klima-Konsortium äußerten sich im November Prof. Mojib Latif und Prof. Hans Joachim Schellnhuber vor der Presse.)

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Jetzt haben wir es wahrscheinlich noch in der Hand. Wir könnten die Transformation der Dekarbonisierung in einem planbaren Prozess gestalten. Schon in wenigen Jahren, wenn die Geschwindigkeit der Erwärmung expotentiell zunimmt, wird es damit vorbei sein. Wir müssen von allen guten Geistern verlassen sein, wenn wir diese Chance nicht ergreifen.

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  1. Hubertus Grass

    vor 1 Jahr

    Sich nur mit ein paar Worten in eine Debatte einzumischen, bei der es um aktuelle Forschung geht, zeugt von einem unangebrachten Selbstvertrauen. Auch beim Einfluss eines wachsenden Anteils von CO2 in der Atmosphäre ist man heute weiter als im Lehrbuch 6./7. Klasse. Die positiven Einflüsse nehmen ab einem bestimmten Punkt des CO2-Gehalts (abhängig von der Pflanze) oder stagnieren.

  2. KlausAdolfGustav

    vor 1 Jahr

    CO2- Angstmacherei, nacharbeiten:
    Lehrplan Klasse6/7 : Photosynthese

  3. i_Peter

    vor 6 Jahren

    Gut, das Haus ist das selbe, aber inzwischen energetisch saniert.
    - Wärmedämmung mit schwer brennbaren, natürlichen Materialien
    - 3-fach Verglasung
    - Solarthermie und Fotovoltaik
    - Belüftung mit Wärmetauscher
    - neuer Heizkessel mit Solarunterstützung
    - Auto fährt elektrisch, man beachte die viel geringere CO2 Emission Strom vs. Sprit
    Alles nicht umsonst, einige Weltreisen haben nicht stattgefunden.
    Aber das Haus ist wie neu, behaglich und komfortabel.
    Es hat sich gelohnt, auf jeden Fall für das Klima.

  4. i_Peter

    vor 6 Jahren

    Das ist mal eine klare Ansage !
    Und wirklich jeder von uns kann mitwirken.
    Wie geht es ?
    Erst einmal messen, was tatsächlich verbraucht wird an Strom, Gas, Öl, Sprit.
    Also einfach die letzten Rechnungen rauskramen bzw. den km-Stand beim Auto ablesen.
    Damit Verbrauch berechnen.
    Bei mir war das 2003:
    25.000 kWh Gas = 5,4 t CO2 (216g/kWh)
    4.500 kWh Strom Haus = 2,5 t CO2 (560g/kWh)
    9000 kWh Diesel (900 Liter) = 2,4 t CO2 (270g/kWh)
    Gesamt 2002 = 10,3 t CO2
    2017 sieht es so aus:
    4200 kWh Gas = 0,9 t CO2 (216g/kWh)
    2400 kWh Strom Haus
    2400 kWh Strom Auto
    -2500 kWh Solarstrom
    2300 kWh Strom = 1,3 t CO2 (560g/kWh)
    Gesamt 2017 = 2,2 t CO2 oder Reduktion um 79%

    Wir wohnen immer noch im selben Haus und fahren immer noch Auto.
    Flugreisen und täglich Fleisch gab es schon 2002 nicht bei uns.
    Ist aber sicher ein Bereich, wo mancher auch CO2 verringern kann.
    Jetzt, wo ich weiß, es geht und ich habe es durch eigene Willensentscheidung geschafft, habe ich ein gutes Gefühl, dass die Menschheit es schaffen. Machst Du mit ?

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