Klarheit und Bezahlbarkeit als Erfolgsrezept – Der Debatten-Abend zur Kraftwerksstrategie am 21. November 2024

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Redaktion

Stiftung Energie & Klimaschutz
18. Dezember 2024
Bild: ARTIS Photografie - Uli Deck

Experten fordern höheres Tempo bei Umbau des Energiesystems

Die Zeit schreibt ihre eigene Geschichte – mit diesen Worten begrüßt Katharina Klein ihre Gäste. Die Sprecherin des Vorstandes der Stiftung Energie & Klimaschutz spielt damit auf das Thema des Debattenabends in Stuttgart an. Geplant war, dass die eingeladenen Fachleute die Eckpunkte zur Kraftwerksstrategie der Bundesregierung auf Tauglichkeit abklopfen. Doch das Scheitern der Ampelkoalition wirft nun die Frage auf, was von dem Konzept bleiben wird. Diese Ungewissheit prägt die Beiträge der Teilnehmer.

Auf dem Podium sitzen Dr. Patrick Rapp, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus in Baden-Württemberg, Peter Heydecker, Vorstand Nachhaltige Erzeugungsinfrastruktur der EnBW Energie Baden-Württemberg AG, Sönke Tangermann, Vorstand der Green Planet Energy eG, Dr. Casimir Lorenz von der Beratungsgesellschaft Aurora Energy Research – und Moderatorin Alexandra von Lingen.

Kraftwerksstrategie – worum geht es?

Fossile Kraftwerke dürfen keine Antwort mehr sein auf die Herausforderungen der Energiewende.

Sönke Tangermann, Vorstand bei Green Planet Energy eG

Die Kraftwerksstrategie, die zuletzt in dem sogenannten Kraftwerkssicherheitsgesetz mündete, soll dazu beitragen, Deutschland sicher mit Energie zu versorgen. Vorgesehen ist, dass 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs schon 2030 aus erneuerbaren Quellen stammt. Die Rechnung hat jedoch auch einige Unbekannte: Der Energiebedarf wird steigen, doch um wieviel? Die Stromproduktion aus Sonne und Wind schwankt, auch ist unbekannt, wie sich der Zubau der erneuerbaren Energien bis dahin entwickelt. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten sind sogenannte flexible Kapazitäten notwendig. Die Strategie sieht aus diesem Grund 16 Milliarden Euro für flexible Kraftwerke mit einer Kapazität von 12,5 Gigawatt vor. Sie sollen einspringen, wenn Wind und Sonne zu wenig Strom liefern.

Dass flexible Leistung notwendig ist, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, darüber sind sich die Gäste einig. EnBW-Vorstand Peter Heydecker erinnert an die jüngste Dunkelflaute Anfang November 2024. Da gab es so wenig Sonne und Wind, dass der Börsenstrompreis auf 800 Euro pro Megawattstunde sprang, rund zehn Mal so hoch wie im Jahresdurchschnitt. Daraus folgert Peter Heydecker: „Wir brauchen schnell disponible Leistung.“

Dr. Casimir Lorenz stimmt zu, warnt aber, dass die Zeit für den Ausbau schon heute knapp sei. „Wir haben ein Problem mit der Geschwindigkeit.“ Die Voraussetzung für den ab 2030 vorgesehenen Kohleausstieg sei, dass es genug flexible Erzeugung gebe. „Dafür ist die Kraftwerksstrategie ein extrem wichtiger Baustein.“

Das sieht Sönke Tangermann grundsätzlich ebenso, ist aber auch skeptisch: Der Entwurf des Kraftwerkssicherheitsgesetzes sehe vor, dass nur jedes zweite neue Kraftwerk auf grünen Wasserstoff vorbereitet sein muss, sagt er und kommt zu dem Schluss: „Fossile Kraftwerke dürfen keine Antwort mehr sein auf die Herausforderungen der Energiewende.“ Erdgas sei nur eine Übergangslösung. „Aber am Ende brauchen wir grünen Wasserstoff.“ Überdies sei es für den Erfolg der Energiewende unerlässlich, auch andere Flexibilitätsoptionen einzubinden und ihnen entsprechenden Raum zu geben. „Grade Elektrolyseure können bei der langfristigen Speicherung von Energie eine wichtige Rolle spielen und die niedrigen Marktwerte bei hohen Einspeisungen aus erneuerbaren Energien anheben“, so Tangermann. Im Kurzfristbereich gebe es zusätzlich Großbatteriespeicher, bald auch bidirektional landende Kraftfahrzeuge und flexible Wärmepumpen. Sie dürften durch den geplanten Kapazitätsmechanismus nicht aus dem Markt gedrängt werden.

Chancen für Energieversorger

Moderatorin Alexandra von Lingen will wissen, ob die Verzögerung durch die anstehenden Neuwahlen nicht auch die Chance beinhalte, die Kraftwerksstrategie in einigen Punkten nachzuschärfen. EnBW-Vorstand Peter Heydecker stimmt zu. Bislang hätten nachhaltige Erzeugung und sichere Versorgung im Mittelpunkt der Politik gestanden. Nun sei es an der Zeit, mehr auf Kosteneffizienz und Wirtschaftlichkeit zu schauen. Die EnBW habe zwar viele Vorschläge in diese Richtung gemacht, doch nur wenig sei aufgegriffen worden. „Ich sehe eine Chance, dass wir in der Diskussion mit den Stakeholdern nun genau auf diese Punkte eingehen können“, sagt Peter Heydecker.

Raus aus dem Regeldickicht

Ein Unternehmen, das sich an einem neuen Standort ansiedeln will, ist auf eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung angewiesen.

Dr. Patrick Rapp, Staatssekretär, Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes Baden-Württemberg

Wiederholt fordern die Podiumsgäste weniger Bürokratie, um die Transformation des Energiesystems voranzubringen. Damit schließen sie sich dem Wunsch von Unternehmensverbänden an. Der baden-württembergische Wirtschaftsstaatssekretär Dr. Patrick Rapp vergleicht die Situation der Energiewirtschaft mit einem Fußballfeld. „Im Moment haben wir die Situation, dass wir auf jedem Quadratmeter Rasen einen Pflock haben, auf dem steht, was der Spieler zu tun hat.“

Lange Genehmigungsverfahren für Windparks und Freiflächenanlagen würden die Ausgaben erhöhen – was der Wirtschaft schade, weil die Kosten nicht mehr kalkulierbar seien, kritisiert der Staatssekretär. „Ein Unternehmen, das sich an einem neuen Standort ansiedeln will, ist auf eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung angewiesen.“ Sei das nicht gegeben, würden Firmen das Land verlassen. Um die Transformation wirtschaftlich zu gestalten, dürfe man nicht kleinteilig regulieren. Wichtig sei der Blick aufs Ganze.

EnBW-Vorstand Peter Heydecker stimmt zu. „Wir müssen Leitplanken setzen, aber kein Mikromanagement betreiben.“ Es sei wichtig, die einschlägigen Gesetze zu entschlacken und breit auf die Themen zu schauen. Akteurinnen und Akteure aus Verwaltung und Energiewirtschaft monieren seit Jahren lange Genehmigungsprozesse für den Bau von Energieanlagen.

Dr. Casimir Lorenz unterstreicht an dieser Stelle, dass besonders Unternehmen langfristige Klarheit brauchen. Die Höhe einer Förderung oder wann genau Klimaziele greifen, sei in diesem Zusammenhang zweitrangig. „Investorinnen und Investoren wollen planen und sie wollen wissen, worauf sie ihr Geschäftsmodell abstellen können.“

Neue Technologien – wieviel Förderung muss sein?

Staatsekretär Dr. Rapp warnt davor, sich dabei bestimmte Technologien auszuwählen und langfristig zu fördern. Offenheit sei wichtig. Finanzielle Anreize müsse man aber mit Umsicht setzen. „Neue Technologien können wir mit einer Impulsfinanzierung anstoßen, aber dann müssen sie sich am Markt behaupten.“

Peter Heydecker ergänzt, dass die auf neuen Technologien beruhenden Geschäftsmodelle irgendwann wirtschaftlich werden müssen. Es gebe bereits zahlreiche positive Beispiele. So seien die Kosten für Batteriespeicher drastisch gesunken. In Großbritannien würden bereits hohe Summen in diese Anlagen investiert. „Ich bin 32 Jahre in der Energiewirtschaft und ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell eine Kostendegression bei wichtigen Technologien sehen würden.“

Die Podiumsteilnehmer waren sich allerdings einig, dass die Kosten gerade für Unternehmen sehr hoch sein können. Damit Förderung richtig verteilt werden kann, schlägt Dr. Casimir Lorenz eine strenge Auswahl vor. „Um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, ist es wichtig, sich einzugestehen, wo es sinnvoll ist, Fördergelder zu investieren.“ Er fügte hinzu: „Die Politik muss entscheiden, welche Industriezweige sie erhalten will.“ Diese Aussage wollte Wirtschaftsstaatssekretär Dr. Patrick Rapp so nicht stehen lassen. „Ich will mir nicht anmaßen zu sagen, welcher Industriezweig bleiben darf und welcher nicht“, entgegnete er.

Welche Farben braucht der Wasserstoff?

Die Politik muss entscheiden, welche Industriezweige sie erhalten will.

Dr. Casimir Lorenz, Aurora Energy Research

Die Eckpunkte der Kraftwerksstrategie sehen vor, dass flexible Leistung für das Stromnetz künftig auch aus Gaskraftwerken kommt, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Dieser soll mit Hilfe der Elektrolyse aus erneuerbarem Strom erzeugt werden und lässt sich flüssig oder in Gasform lange Zeit speichern. Das Problem: Auf absehbare Zeit gibt es noch nicht genug grünen Wasserstoff. Eine Übergangslösung könnte blauer Wasserstoff sein, der aus fossilen Brennstoffen hergestellt wird. Das dabei entstehende Kohlendioxid wird abgefangen und gespeichert.

Peter Heydecker erläutert, dass die EnBW dabei sei, die gesamte Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff aufzubauen – vom Windpark über die Elektrolyse bis zum Kavernenspeicher. „Ich bin überzeugt, dass Wasserstoff künftig eine große Rolle spielen wird.“ Es gebe aber viel Unsicherheit. Deshalb sei es sinnvoll, erst mal mit blauem Wasserstoff anzufangen, um die Marktreife zu fördern und die CO2-Emissionen sofort zu senken. Die Herstellungskosten für blauen Wasserstoff lägen derzeit bei 600 Euro pro Tonne. Grüner Wasserstoff hingegen koste aktuell 1.000 Euro. „Das ist ein Riesenunterschied.“ Hinzu kämen Kosten für Speicherung, Netz und Transport.

Sönke Tangermann erhebt Einspruch. Für ihn verhindert die Produktion von blauem Wasserstoff, dass Geschäftsmodelle für grünen Wasserstoff entstehen können. Das sei aber wichtig, damit sich die Technologie schnell entwickeln kann. Anlagen zur Gewinnung von blauem Wasserstoff würden sehr bald vom grünen Wasserstoff verdrängt und damit zu verlorenen Investitionen. „Die Problematik rund um die Speicherung von CO2 und die Treibhausgasemissionen rund um die Förderung, Aufbereitung und den Transport von Erdgas zur Gewinnung blauen Wasserstoffs werden überdies überhaupt nicht in die Betrachtungen einbezogen“, sagt Tangermann. Sein genossenschaftlich organisiertes Unternehmen bietet selbst grünen Wasserstoff an, der aus erneuerbaren Energien erzeugt und dem Erdgasnetz beigemischt wird.

Für Casimir Lorenz ist Wasserstoff vor allem für die Industrie wichtig, da Betriebe auf diesem Weg ihre Prozesse dekarbonisieren können. Grüner Wasserstoff sei deshalb ein entscheidendes Mittel, um Deutschland international wettbewerbsfähig zu halten. Im Sommer gebe es zahlreiche Tage, an denen mittags die Photovoltaikanlagen in voller Kraft laufen. In manchen Fällen müssen Anlagen sogar abgeregelt werden. Moderne Speicher und Elektrolyseure seien deshalb ein geeignetes Mittel, um den Marktwert der Photovoltaikanlagen anzuheben und den Zubau zu beschleunigen.

Dass grüner Wasserstoff das Ziel ist, daran hat auch Dr. Patrick Rapp keinen Zweifel. Die Landesregierung treibe deshalb die Zusammenarbeit mit internationalen Partnerregionen voran. Es gehe darum, die Elektrolysetechnik weiterzuentwickeln und mit Ländern zusammenzuarbeiten, die klimatisch geeignet seien, große Mengen an Wind- und Sonnenstrom zu erzeugen – zum Beispiel Marokko oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Den dort produzierten Wasserstoff, womöglich per Leitung, nach Deutschland zu transportieren, sei aber nach wie vor ein ungelöstes Problem.

Sind Preiszonen eine Lösung?

ch bin 32 Jahre in der Energiewirtschaft und ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell eine Kostendegression bei wichtigen Technologien sehen würden.

Peter Heydecker, Vorstand Nachhaltige Erzeugungsinfrastruktur der EnBW

Kurz vor Ende nimmt die Diskussion nochmal Fahrt auf. Wie sich der in Zukunft steigende Stromverbrauch decken lassen könnte, will ein Zuschauer wissen. Hintergrund der Frage: Vor allem in Süddeutschland ist der Energiebedarf durch die Industrie hoch, Windparks stehen allerdings im Norden. Wie lässt sich das Gleichgewicht halten? Durch Preiszonen lautete die etwas provokative Antwort von Dr. Casimir Lorenz. Das heißt, der Strompreis wäre dort höher, wo es zu wenig lokale Erzeugung gibt – also in Süddeutschland. Dr. Lorenz weist darauf hin, dass von einer Steigerung nur der Großhandelspreis betroffen wäre. Steuern, Umlagen oder Netzentgelte, die einen erheblichen Teil des Endpreises ausmachen, blieben stabil. „Es würde sich um einen Unterschied von wenigen Cent pro Kilowattstunde handeln.“

Der baden-württembergische Staatssekretär Dr. Patrick Rapp will das Argument nicht gelten lassen. „Da kriege ich kalte Füße“, entgegnet er. Denn selbst, wenn der Preisunterschied gering sei, würden die Kosten bei den betroffenen Unternehmen auf lange Sicht deutlich zu Buche schlagen und den Ruf nach einem finanziellen Ausgleich durch den Staat wachrufen. Daran könne niemand Interesse haben.

EnBW-Vorstand Peter Heydecker weist daraufhin, dass Strom dort erzeugt werden muss, wo die Bedingungen am besten sind, zum Beispiel auf See. Dort habe die EnBW Milliarden investiert, um die produzierte Energie in die Industriezentren zu leiten. Würde der Preis im Süden fallen, rechneten sich die Vorhaben nicht mehr. Die Folge: Windparks müssten abgeschaltet werden.

Diese Argumente kann Sören Tangermann zwar nachvollziehen. Es sei jedoch sinnvoll, wenn sich energieintensive Unternehmen in den Zentren der Stromerzeugung ansiedeln – so wie es Serverfarmen und Batteriehersteller bereits vormachen. „Deutschland ist schließlich keine Kupferplatte.“ Auch in Süddeutschland müsse daher massiv in Windparks investiert werden. Green Planet Energy eG betreibe bereits hoch wirtschaftliche Windparks in Baden-Württemberg und Bayern, sagt Tangermann. „Windenergie funktioniert also auch im Süden.“

Welche Technologien die Versorgungssicherheit gewährleisten und ob Tarifzonen für die Strompreise sinnvoll sind, darüber wurde auch im Anschluss lebhaft weiterdiskutiert: Bei einem Imbiss tauschten sich die Teilnehmer*innen aus und es wurde deutlich, dass es zu diesem Thema noch einiges an Gesprächsbedarf gibt.

Die gesamte Podiumsdebatte zur Kraftwerksstrategie können Sie hier anschauen.

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