Ist die Geschichte der Erneuerbaren auserzählt? Welche Narrative jetzt zählen.

Gastautor Portrait

Daniel Mendes Jenner

Gründer der "Young forum community" (YF)

Daniel ist bekannt dafür, Brücken zu bauen: Mit seinem Hintergrund in Global Environmental and Sustainability Studies reist er durch Deutschland, um Menschen für eine nachhaltige Zukunft zu begeistern. Als Journalist, Moderator und Berater bringt er Erfolgsgeschichten der Nachhaltigkeit mit Vordenkern und vielversprechenden Talenten zusammen. Gemeinsam mit „forum Nachhaltig Wirtschaften“, dem führenden Nachhaltigkeitsmagazin für Entscheider im deutschsprachigen Raum, hat er die „Young forum community“ (YF) gegründet. YF bringt junge Nachhaltigkeits-Changemaker zu den wichtigsten Veranstaltungen in Wirtschaft und Politik - und das kostenlos.

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23. Juli 2025
@Zaptec

Wenn Wende für Kehrtwende steht

Wir befinden uns in einer Zeit, in der man sich auf nichts von dem verlassen kann, was einem noch vor 2-3 Monaten zur Energiewende erzählt wurde.

It’s on us? Sicher?

E.ON und RWE rudern derzeit kräftig zurück, als hätten sie sich einen Platz beim weltbekannten Ruder-Duell zwischen Oxford und Cambridge erkämpfen wollen.

Da werden dann auch mal 10 Milliarden Euro Investitionsvolumen von RWE gekürzt.

Andere wie EnBW investieren kräftig weiter. Gleichzeitig erscheint jedoch eine von EnBW beauftragte Studie, welche das Ausmaß solcher Investitionen in Erneuerbare infrage stellt.

Stattdessen sollen gleich 20 Gigawatt weitere elektrische Leistung an Gaskraftwerken die Energiewende sichern.

Egal wie gut oder schlecht diese Empfehlung ist, mich beschäftigt viel mehr die Geschichte, die dabei vermittelt wird.

Es ist eine Geschichte über ein Land, das Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit untergeordnet hatte, weil es so umweltfreundlich sein wollte. Diese Geschichte ist zu simpel. Außerdem ist sie gefährlich.

Fakten belegen mehr als nur eine Geschichte

Während Erzeuger also von einem zunehmenden Problem sprechen, tut sich auf der anderen Seite eine attraktive Chance für Verbraucher auf.

Daniel Mendes Jenner

Es ist erstmal nicht falsch, wenn man anmerkt, dass wir von Monat zu Monat neue Spitzen in der Menge an Stunden mit negativem Strompreis erreichen. Also Stunden, in denen so viel Sonne scheint oder Wind weht, dass sich die Stromerzeugung nicht mehr rechnet.

Gleichzeitig werden dadurch der Stromverbrauch und auch die Stromspeicherung lohnenswert. Zumindest, wenn man mit einem Smart Meter und dynamischen Tarifen arbeitet. Während Erzeuger also von einem zunehmenden Problem sprechen, tut sich auf der anderen Seite eine attraktive Chance für Verbraucher auf.

Das Problem ist damit nicht weg, aber der zusätzliche Kontext erlaubt nun politisches Abwägen.

Die Lücken der Erzählung

Am Ende landen diese und weitere Gedanken von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche immer wieder in den großen Nachrichtensendungen dieses Landes. Dort gehört das Thema auch hin, schließlich ist die Energiewende entscheidend für unsere Klimaziele.

Wer mit weiteren Akteuren der Branche spricht, der wird nicht abstreiten können, dass die Energiewende noch nicht perfekt ist. Für ein langfristiges Ziel sind regelmäßige Evaluationen und Kurskorrekturen nicht verkehrt.

Derzeit bleibt jedoch das Ziel an sich auf der Strecke. Spreche ich mit Führungskräften, sprechen sie zwar alle über die Kosten, aber niemand über die CO2-Budgets, die bei den Kurskorrekturen berücksichtigt werden müssten. Auch auf Nachfragen kamen dazu keine konkreten Antworten, das Thema spielt schlichtweg keine Rolle.

Das Narrativ bleibt und verfestigt sich: Man habe zu sehr auf den Ausbau geschaut, man war zu nachhaltig, jetzt müsse Vernunft walten.

Doch wo bleibt die Einordnung, dass das Balkonkraftwerk für den eigenen Strombedarf, die Anlage auf dem Fabrik-Dach oder der Speicher zuhause nicht an Attraktivität einbüßen?

Hängen bleibt eher, dass Frau Reiche große Sorge vor Systemkosten habe. Den Kosten, welche für die nötige Infrastruktur entstehen werden. Schade nur, dass auch ohne einen starken Zuwachs an Erneuerbaren unsere Netze akut ausgebaut werden müssen. Details, die dem Diskurs guttun würden.

Eine Welt, in der es sich zu laden lohnt

Es gilt Narrative zu etablieren, die Visionen zeigen. Visionen, welche die Abstraktheit von CO₂ überwinden.

Daniel Mendes Jenner

Spätestens jetzt sollte deutlich geworden sein, dass der Diskurs aus den Medien nicht von dem ablenken darf, was das zentrale Ziel der Energiewende ist. Emissionsfreiheit.

Eine Energiewende, welche dieses Ziel verfehlt, ist gescheitert. Kommunikativ darf man dennoch andere Wege gehen.

Es gilt Narrative zu etablieren, die Visionen zeigen. Visionen, welche die Abstraktheit von CO₂ überwinden.

Eine Welt, in der günstige, saubere Energie nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel ist und in der sich Flexibilität im Geldbeutel bemerkbar macht. Wer clever lädt, speichert oder verbraucht, profitiert. Das ist kein Zukunftsszenario mehr, sondern vielerorts bereits Realität. Reden wir mehr darüber!

Was jetzt zählt, sind Geschichten, die den Wandel als Chance begreifen, nicht als Bedrohung. Die Energiewende erhöht keine Risiken, sie reduziert sie.

Es geht nicht mehr nur um den Ausbau von Wind und Sonne, sondern um das Zusammenspiel von Erzeugung, Verbrauch, Speicherung und Digitalisierung.

Die Gestehungskosten von Wind- und Solarenergie sind die niedrigsten und werden das auch bleiben. Systemkosten steigen zudem nicht einfach so. Sie steigen, wenn Stromtrassen unter der Erde liegen sollen oder wenn Erneuerbare dort ausgebremst werden, wo die deutsche Industrie produziert.

Investitionen in Speicher und Netze schaffen Wertschöpfung vor Ort. Und nicht zuletzt: Die Kosten des Nicht-Handelns, also die Folgekosten der Klimakrise, übersteigen längst die Investitionen in die Transformation.

Was jetzt zu erzählen ist

Um es auf den Punkt zu bringen: Die Zukunft der Energieversorgung ist dezentral, digital und demokratisch. Die Bürgerinnen und Bürger werden zu aktiven Teilnehmenden am Energiesystem, als Prosumer, als Speicherbetreiber, als flexible Verbraucher. Das ist mehr als eine Modernisierung: Es ist ein gesellschaftlicher Wandel.

Die Geschichte der Erneuerbaren ist nicht auserzählt, nein sie beginnt gerade erst, spannend zu werden. Es bleibt nur die Frage, wie wir die Chancen der neuen Energiewelt nutzen wollen. Wie wir Innovationen fördern, Teilhabe ermöglichen und die Vorteile fair verteilen. Es geht um Mut zur Veränderung, um Lust auf Gestaltung und um den Glauben daran, dass die beste Zeit für die Energiewende noch vor uns liegt.

Denn eines ist sicher: Die Narrative, die wir heute wählen, bestimmen, wie wir morgen handeln. Das ist die wichtigste Geschichte, die wir uns und anderen jetzt erzählen sollten.

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