Die Energiewende vor Ort gestalten – ein Redaktionsgespräch unserer Stiftung mit Jörg Bold, Vorstand der Ettenheimer Bürgerenergie eG
Bürgerenergiegenossenschaften sind ein zentraler Pfeiler der dezentralen Energiewende in Deutschland. Sie ermöglichen es Bürgerinnen und Bürgern, sich aktiv an der Produktion erneuerbarer Energien zu beteiligen und Wertschöpfung in der Region zu halten. Eine der besonders engagierten Akteurinnen in diesem Feld ist die Ettenheimer Bürgerenergie eG, die seit ihrer Gründung 2011 zahlreiche Projekte realisiert hat – von Photovoltaikanlagen über Carsharing bis hin zu großen Windparkprojekten. Wir sprechen mit Jörg Bold, Vorstandsmitglied der Ettenheimer Bürgerenergie, über die aktuellen Herausforderungen und Erfolge, insbesondere im Kontext des jüngsten Windparkbaus, und wie die Genossenschaft die Akzeptanz für die Energiewende vor Ort sichert. Das Interview beleuchtet die praktischen Aspekte einer Bürgerenergiegenossenschaft und zeigt auf, welche Bedeutung kommunales Engagement und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit für das Gelingen der Energiewende haben.
Dieses Redaktionsinterview mit unserem Gast führte Melanie Peschel.
Die Ettenheimer Bürgerenergiegenossenschaft ist vielen im regionalen Kontext ein Begriff. Können Sie uns einen Überblick über die Kernleistungen und die Historie der BEG Ettenheim geben?
Die Ettenheimer Bürgerenergie wurde 2011 auf Initiative von Bürgermeister Bruno Metz und gemeinsam mit der Volksbank Lahr gegründet. In den Anfangsjahren konzentrierten wir uns auf den Bau von Photovoltaikanlagen auf Dächern, wovon mittlerweile 15 kleinere Anlagen mit insgesamt über 400 kWp entstanden sind. Unser Ziel war es von Anfang an, mehr als nur eine reine Kapitalsammelstelle zu sein. Wir wollten das Gemeinwohl fördern und lokale Projekte entwickeln. Dazu gehören Initiativen wie der „Solar Challenge“, ein Schülerwettbewerb zum Thema Solarenergie, der bereits zum zwölften Mal stattfindet. Ein weiteres wichtiges Projekt ist unser Carsharing-Angebot mit zwei Elektroautos und einem Bürgerbus, dass wir aufgrund geringer Attraktivität für kommerzielle Anbieter etabliert haben. Mittlerweile sorgen über 60 Nutzer dafür, dass wir beim Autoteilen nahezu kostendeckend arbeiten. Aktuell haben wir über 350 Mitglieder, von denen die meisten direkt vor Ort oder in den Nachbarorten ansässig sind.
Ein aktueller Schwerpunkt Ihrer Arbeit liegt auf der Begleitung des neuen Windparks. Können Sie uns mehr über die Entwicklung dieses Projekts und die Rolle der Ettenheimer Bürgerenergie dabei erzählen?
Ja, der Windpark ist aktuell unsere größte Baustelle. Bereits 2016 ging unser erstes Windprojekt, der Bürgerwindpark südliche Ortenau, mit sieben Anlagen in Betrieb. Dort sind wir mit 25 Prozent beteiligt und erhalten für die Betreuung der Anlagen vor Ort eine Vergütung. Diese Betreuungsleistung beinhaltet Aufgaben der klassischen Mühlenwartfunktion, darüber hinaus sind wir auch Problemlöser vor Ort und übernehmen die Öffentlichkeitsarbeit. Mittlerweile haben wir dafür ein Team von vier Personen, die auch unsere Solaranlagen und das Carsharing betreuen. Wir sind sehr nah dran und entdecken frühzeitig Mängel oder Störungen, was dem Projekt zugutekommt.
Unser neuestes Projekt umfasst den Bau von drei neuen Windkraftanlagen des Typs E160 mit jeweils 5,56 Megawatt Leistung. Diese entstehen auf der Gemarkung Ettenheim, wobei der Abstand zur Bebauung von 1.000 auf 2.000 Meter vergrößert wurde. Dank der Unterstützung von Bürgermeister Bruno Metz, der bereits 1999 den ersten Windpark in der Region vorantrieb und mit dem wir seit 2011 vertrauensvoll zusammenarbeiten, konnten wir uns eine der Anlagen sichern und investieren dort 9,5 Millionen Euro.
Wann rechnen Sie mit der Inbetriebnahme der neuen Anlagen und welche Erträge erwarten Sie?
Wir haben im Februar letzten Jahres mit den Rodungen begonnen und im Herbst 2024 mit dem Fundamentbau. Der Turmbau fand im Frühjahr statt, und die Komponenten werden gerade angeliefert. Wir rechnen damit, dass unsere Anlage im Juli 2025 ans Netz gehen kann. Kalkuliert haben wir für unsere Anlage einen jährlichen Stromertrag von 10,4 Millionen Kilowattstunden. Wir hoffen natürlich auf etwas mehr.
Um die positive Stimmung aufrechtzuerhalten, veranstalten wir regelmäßig Windpark-Spaziergänge, meist Samstags mit 20 bis 30 Teilnehmern aus der Region.
Die frühzeitige und transparente Kommunikation mit der Bevölkerung ist Ihnen ein wichtiges Anliegen. Wie wird der Bau des Windparks von der Bevölkerung aufgenommen, und gibt es Widerstände?
Glücklicherweise hat sich in der gesamten Planungs- und Bauphase keine Bürgerinitiative formiert, die gegen das Projekt agiert. Kleinere Kritikpunkte gibt es natürlich immer, beispielsweise wegen Steinchen auf der Straße oder Belastungen für Jäger, aber darauf können wir als lokaler Akteur schnell und unkompliziert reagieren. Wir kontrollieren regelmäßig die Wege und versuchen, auf Anliegen direkt einzugehen. Auf Facebook gab es allgemeines Geläster über Windenergie, aber keine spezifische Kritik an unserem Projekt. Wir haben die Grenze gezogen, dass wir nur eingreifen, wenn es unser Windprojekt oder unsere Bürgerenergiegenossenschaft direkt betrifft.
Um die positive Stimmung aufrechtzuerhalten, veranstalten wir regelmäßig Windpark-Spaziergänge, meist Samstags mit 20 bis 30 Teilnehmern aus der Region. Dort gibt es Kaffee und Brezeln, und wir gehen gemeinsam über die Windenergiebaustelle. Das Feedback ist durchweg positiv, die Leute sind an der Technik interessiert und neugierig. Wir informieren auch über unsere Social-Media-Kanäle wie Instagram über den Baufortschritt, sodass die Menschen wissen, was oben im Ettenheimer Wald passiert. Unsere räumliche Nähe und Glaubwürdigkeit als lokaler Akteur sind dabei sicherlich ein großer Vorteil.
Windparkprojekte bedeuten immer auch Eingriffe in die Natur. Welche Maßnahmen wurden hier getroffen?
Da der erste Windpark bereits steht, konnten wir die gleiche Zufahrt nutzen, wodurch umfangreiche Erdarbeiten entfielen. Natürlich mussten aufgrund der längeren Rotorblätter einige Bäume entlang der Zufahrt weichen. An unserem Anlagenstandort, war die ökologische Wertigkeit des Standorts gering, da es sich hauptsächlich um Douglasien Wald handelte. Solche Eingriffe werden immer durch Ausgleichsmaßnahmen vor Ort kompensiert. Ein schönes Beispiel ist das Stillgewässer für Fledermäuse, den haben wir dort anlegten, wo das Fundament einer abgebauten Windmühle entfernt wurde. Dieser Teich dient Fledermäusen zum Trinken und als Biotop für Amphibien. Diese Stelle im Wald zeigt, dass solche Anlagen später wieder komplett zurückgebaut werden können, ohne dauerhafte Spuren zu hinterlassen.
Es ist eine allgemeine Herausforderung für Bürgerenergiegenossenschaften, die sich auf den kleinen lokalen „Markt“ konzentriert, geeignetes Personal zu finden, da man keine Jahresgehälter wie in großen Unternehmen bieten kann.
Sie erwähnten auch Initiativen wie Carsharing und einen Bürgerbus. Welche Bedeutung haben diese Angebote für die Bürgerenergie und die Gemeinde?
Obwohl sich Carsharing in einer Kleinstadt für marktübliche Anbieter oft nicht rechnet, haben wir bereits frühzeitig Carsharing als Gemeinwohl-Projekt etabliert. Wir betreiben derzeit zwei Elektroautos und einen Bürgerbus. Die bisherigen – und auch zukünftigen – Autos sind elektrisch. Wir haben über 60 eingeschriebene Nutzer. Die regelmäßige Nutzung trägt dazu bei, dass das Angebot mittlerweile kostendecken betrieben werden kann. Für uns sind diese Projekte sehr wichtig, da sie unsere Ausrichtung weg von einer reinen Kapitalanlage hin zur aktiven Gestaltung der Energiewende und Mobilitätswende vor Ort unterstreichen.
Abschließend: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, der mit einem Fingerschnippen erledigt werden könnte, was wäre das in Bezug auf die Ettenheimer Bürgerenergie? Und wie steht es um den Nachwuchs in Bürgerenergiegenossenschaften?
Mein größter Wunsch wäre ein lokales Energie-Sharing-Modell, ähnlich wie in Österreich. Dabei könnten wir die Anlagen der Bürgerenergie, also Wind- und Solaranlagen, sowie die Anlagen unserer Genossenschaftsmitglieder, die vielleicht schon aus der EEG-Förderung fallen, in einem virtuellen Pool bündeln. Ein zentraler Akteur würde dann Reststrommengen beschaffen und den Genossen einen dynamischen Stromtarif anbieten. Das würde eine lokal gesteuerte Stromversorgung ermöglichen, bei der die Assets der Bürgerenergie und der Bürger vor Ort aktiv eingebunden sind.
Was den Nachwuchs angeht, so haben wir zwar sehr junge Mitglieder, oft weil Eltern ihren Kindern Anteile schenken, aber die aktiven Mitglieder sind eher 50 aufwärts. Es ist eine Herausforderung, jüngere Menschen im Alter von 30 bis 40 Jahren zu gewinnen, da diese oft familiär stark eingebunden sind. Christian Ringwald, mein Vorstandskollege, ist hier eine große Ausnahme und sehr engagiert, obwohl er kleine Kinder hat. Wir versuchen, ihn zu entlasten, und sind in den Vorbereitungen für die Erweiterung des Vorstands um eine dritte Person. Es ist eine allgemeine Herausforderung für Bürgerenergiegenossenschaften, die sich auf den kleinen lokalen „Markt“ konzentriert, geeignetes Personal zu finden, da man keine Jahresgehälter wie in großen Unternehmen bieten kann. Viele engagieren sich ehrenamtlich oder in Minijobs, wie unser Windpark-Team, das für seine Arbeit aber auch fair entlohnt wird. Die neue Windmühle soll uns finanzielle Spielräume ermöglichen, um zukünftig weitere lokale Energieprojekte zu unterstützen und so das Engagement vor Ort zu fördern.
Abschließende Worte der Redaktion
Vielen Dank für das Gespräch und die interessanten Einblicke. Neues von der Ettenheimer Bürgerenergie gibt es ja regemäßig v.a. auf Instagram und teils auch auf Facebook. Und natürlich auf Ihrer Website. Gutes Gelingen weiterhin!
Das Gespräch führte Melanie Peschel.
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