Energieabhängigkeit verringern – aber wie?

Gastautor Portrait

Reinhard Bütikofer

Europäisches Parlament

Reinhard Bütikofer ist Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei (EGP) und Mitglied des Europäischen Parlament (Die Grünen/EFA). Seit seiner Wahl ins Europäische Parlament sitzt er als Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) sowie im Unterausschuss für Sicherheit- und Verteidigung (SEDE). Er war vom 8. Dezember 2002 bis zum 16. November 2008 Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen.

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22. April 2014

In der gegenwärtigen Ukraine-Krise kommt Europas Energieabhängkeit wieder deutlich zum Vorschein. Russisches Erdgas und Kohle decken jeweils 30% und 20% der europäischen Gas- und Kohleversorgung. Doch die Verringerung dieser Abhängigkeit ist nicht banal.

Manche schnellen Antworten erweisen sich als alte Sackgassen. Der europäische Spitzenkandidat der FDP etwa, Alexander Graf Lambsdorff, bringt eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ins Spiel und EU- Kommissar Oettinger nutzt die Gelegenheit, um wieder einmal die Förderung von Schiefergas zu fordern und die Energiewende zu bremsen. Lambsdorff altbackenes Gedankenspiel ist der Rede nicht wert. Und Kommissar Oettingers Vorschlag ignoriert nicht nur die Risiken von Schiefergas, sondern auch die Analysen seines eigenen Hauses. Studien der Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission belegen, dass Europa selbst mit Schiefergas-Erschließung weiterhin 60% seines Erdgasbedarfs importieren muss, wenn es nicht einen ganz anderen Weg einschlägt. Soviel zur Annahme, dass Schiefergas eine Wunderwaffe sei gegenüber Russland.

EU

Russlands strategische Schwäche beim politischen Spiel mit dem Gasgeschäft liegt darin, dass wir auf Energieeffizienz bei unserem Gebäudebestand setzen können. Durch Gebäudesanierungen und eine Effizienzstrategie ließe sich nicht nur unsere Abhängigkeit reduzieren, sondern unsere Energiekosten gleich mit. Russische Gasimporte könnten durch eine gute Umsetzung der Őko-Design-Richtlinie um die Hälfte gekürzt werden, so eine Studie von Ecofys. Darüber hinaus könnte man europaweit bis zu 90 Milliarden Euro pro Jahr einsparen.

Die Europäische Kommission begeht mit ihren schwachen Energie- und Klimazielen für 2030 einen strategischen Fehler. Sie verpasst die Chance Energiesicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Klimapolitik zugleich zu fördern. In einer übersehenen Passage der Folgenabschätzung zu den 2030 Zielen steht zum Beispiel, dass ein 40% Treibhausgasreduzierungsziel für sich alleine zu einem Rückgang des BIP um zwischen 0,1% und 0,45% führen würde. Gekoppelt mit einer Effizienz-Strategie würde das BIP dagegen um 0.53% steigen. Und zusammen mit einem ambitionierten Ziel für Erneuerbare Energien würden über eine halbe Millionen neue Jobs entstehen, mehrere Milliarden Euro an Energiekosten eingespart und die Energiesicherheit gesteigert werden.

Auch die neuen EU-Leitlinien zur staatlichen Beihilfe im Bereich Energie und Umwelt sind entsprechend den schwachen Zielen zurückgefahren worden. Beihilfen für kleine und mittlere Unternehmen bei der Energieeffizienz wurden um 30% gekürzt. Bei den Erneuerbaren Energien um 15%.

In seinen jüngsten Schlussfolgerungen hat der Europäische Rat eine Strategie für clean tech gefordert. Aber mit den schwachen Zielen verfolgt die EU-Kommission eine Strategie, womit sie gerade in diesen Bereich unsere Stärken verspielt. Die EU-Kommission wird sich damit auf den grünen Zukunftsmärkten schwer tun. Dies ist vor allem der Fall, weil der internationale Wettbewerb härter wird. Eine ganze Reihe von Länder haben industriepolitische Strategien um Erneuerbare Energien und Effizienz zu fördern. Vor allem Deutschland wird dies teuer zu stehen kommen, denn gut ein Viertel des Weltmarktes für umweltfreundliche Energieerzeugung entfällt auf deutsche Unternehmen.

Die gegenwärtige Ukraine-Krise und schwache europäische Wirtschaftslage sollten nicht missbraucht werden, um die Energiewende zu bremsen. Umgekehrt: sie sollten unsere Entschlossenheit stärken, dieses Zukunftsprojekt Energiewende ernsthaft in Angriff zu nehmen.

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Redaktion:

Zum Auftraggeber der erwähnten Studie Deutsche Unternehmerinitiative Energieeffizienz

Zur Effizienzstrategie hat der NABU eine Tagung durchgeführt. Die dort gehaltenen Vorträge sind hier dokumentiert.

 

 

Diskutieren Sie mit

  1. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    grüne Träumereine... und die Wirklichkeit

    http://dailycaller.com/2014/04/17/europe-may-replace-russian-gas-with-us-coal/

  2. Windmüller

    vor 10 Jahren

    Herr Kaiser - sie werden nicht müde, auf die Energiewende einzuprügeln. Es ist nur putzig, dass sie jeden Tag von der Realität eingeholt werden. RWE baut in Großbritannien in der Grafschaft Oxfordshire einen Solarpark mit 37 MW Leistung ( in Worten siebenunddreissig )
    Da werden Leute nicht müde zu erklären, dass sich Solarstromerzeugung in Deutschland gar nicht rechnet. Aber wenn RWE das macht, dann rechnet sich das sogar im wolkenverhangenen Großbritannien.
    Und RWE Solarstrom ist auch kein Zappelstrom, der die Netze instabil macht - gell ?

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  3. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    Hallo Herr Grass,
    vielen Dank für Ihre Belehrung. Ich habe gar nichts empfohlen - ich habe darauf hingewiesen, dass es auch andere Überlegungen als die von Herrn Bütikofer gibt.
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    Sinnvolle Energieeffizienzmaßnahmen sind zweifellos begrüßenswert - gleichzeitig sollten Sie das Thema Gas nicht so herunterspielen, denn GRÜNE und Umwelt-NGO's, die die "Energiewende-extrem" einfordern, verteufeln nahezu jegliche Form der Ernergieerzeugung.
    .
    Sogar bzgl. "Bio"gas entwickelt sich ehrblicher Widerstand der für sich die absolute Wahrheit beanspruchenden NGO's.
    .
    Derzeit ist Gas - soweit mir bekannt ist - die einzige Energieerzeugungsart, die vom Establishment neben den Erneuerbaren - so gerade noch geduldet wird... und die zudem noch grundlastfähig ist. Nachteil: teurer Brennstoff und politische Abhängigkeit von Russland (weil Frackinggas natürlich auch ganz böse ist!)
    .
    Ich denke daher, dass Sie die Bedeutung des Gases für die Stromerzeugung Deutschlands in der Zukunft - sofern die ideologischen Strömungen die Oberhand behalten - nicht herunterspielen sollten.
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    Wenn wir uns den Ergebnisraum hinreichend beschneiden, bleibt außer Gas zur Deckung unserer Grundlast nichts mehr übrig... Damit verteuert die Energiewende nochmals die Preise...
    .
    Ich finde, wir sollten das unbedingt angehen. Die Leute sollen sehen und spüren, was sie gewählt haben... Lernen durch Schmerz!

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  4. Hubertus Grass

    vor 10 Jahren

    Sehr geehrter Herr Kaiser,

    Sie haben es nicht ganz verstanden. Nur ein kleiner Teil unseres Gasverbrauches geht in die Stromerzeugung. Der weitaus größte wird für die Bereitstellung von Wärme gebraucht. Hier ließe sich, so die erwähnten Studien, durch Effizienz eine Menge einsparen.

    Wollen Sie jetzt per Link empfehlen, wieder mit Kohle zu heizen?

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  5. Franz Wagner

    vor 10 Jahren

    Herr Bütigkofer, was ich mich schon lange frage: "Wo sind die Fundamente der Partei B90/Grüne bezüglich der Erneuerbaren Energiepolitik geblieben"?
    Sind die "Grünen" mittlerweile so seriös und etabliert in den allgemeinen industriell ausgerichteten Politikkreisen eingebunden, dass man zu den zentralen Fragen über die weitere Zukunft der Erneuerbaren Energiegewinnung von dieser Partei nichts mehr zu erwarten hat?

    Oder hat diese Partei schlicht und einfach keine Lust mehr für Ihre ursprünglichen Ziele demokratisch und politisch zu "kämpfen"?

  6. Christian Lösch

    vor 10 Jahren

    Herr Wagner,
    Ihre Entgegnung zu meinem Kommentar spricht für sich!
    Wenn die Energiewende zu einem Erfolg werden soll, brauchen wir aber keine antikapitalistischen Ideologen, sondern echte Fachleute, die unvoreingenommen nach der besten technischen Lösung suchen.

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  7. Franz Wagner

    vor 10 Jahren

    Wissen Sie Herr Lösch, mit antikapitalistischer Brille hat das nichts zu tun. Unsere Väter der sozialen Marktwirtschaft stellten nur andere Regeln auf, damit wir nicht in eine Kapitalwirtschaft (Kapitalismus in Reinstform) abgleiten.
    Diese Regeln, werden seit 2002 durch Gesetzesänderungen wie z.B. in der Versicherungs- und Bankenwirtschaft schrittweise ausser Kraft gesetzt. Das Ergebnis ist die Finanzkrise und die Haftungsunion (EZB) - darüber schon mal nachgedacht?
    Nun geschieht das gleiche bei der Energiewirtschaft und mit dem EEG - warten wir nun 5 Jahre auf eine Energiekrise, nur damit die Aktionäre um jeden Preis zufrieden sind und für die beteiligten Parteien die Parteispenden gesichert erscheinen?

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  8. Christian Lösch

    vor 10 Jahren

    Herr Wagner,
    Sie sollten aufhören, alles durch Ihre ideologische antikapitalistische Brille zu sehen!
    Auch viele der Grünen haben mittlerweile erkannt, dass die Stromerzeugung aus "Erneuerbaren Energien" eben nicht besonders billig ist ("Sonne und Wind stellen keine Rechnung"), und dadurch, dass Wind- und Sonnenenergie nicht immer und oft nur ungleichmäßig zur Verfügung stehen, auch besondere Probleme bereitet.

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