Welchen Einfluss hat die Elektromobilität auf das Stromübertragungsnetz?

Gastautor Portrait

Christoph Kohler

TransnetBW

Christoph Kohler, Jahrgang 1989, belegte an der Universität Stuttgart den Bachelorstudiengang Erneuerbare Energie und schloss daran den Masterstudiengang Nachhaltige Elektrische Energieversorgung mit Abschluss im Jahr 2016 an. Seine Masterarbeit beschäftigt sich mit der Power-to-Gas Technologie und deren Anwendungsfällen als Brückentechnologie an den Schnittstellen zwischen Strom- und Gasinfrastruktur. Seit Juli 2016 arbeitet der Autor bei der TransnetBW und ist dort zuständig u. a. für die Themengebiete Speicher und Sektorenkopplung, worunter auch der Einfluss der Elektromobilität auf das Übertragungsnetz fällt.

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26. Oktober 2017

In vielen europäischen Ländern, aber auch auf dem chinesischen Automarkt, befindet sich die Elektromobilität auf dem Vormarsch. Auch in Deutschland zeichnet sich eine Entwicklung hin zu höheren Anteilen an E-Fahrzeugen auf unseren Straßen ab. Im Fahrwasser dieses Prozesses muss der Ausbau einer geeigneten Ladeinfrastruktur vollzogen werden. Die steigende Ladekapazität hat dabei Auswirkungen auf die Stromnetze, welche die benötigte Energie zu jeder Zeit zur Verfügung stellen müssen. Auch die Betreiber der Stromübertragungsnetze beschäftigen sich daher intensiv mit den Folgen der Elektromobilität auf ihre Netze.

Der Zuwachs der E-Fahrzeugflotte wird im Netzentwicklungsplan unter Einbezug verschiedener Szenarien berücksichtigt

Der Ausbau der Elektromobilität wird in Zukunft einen wichtigen Einfluss auf die Stromnetze haben. Diese Entwicklung wird bereits im sogenannten Netzentwicklungsplan (NEP) der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber berücksichtigt. Die Elektromobilität trägt gemäß NEP 2030 wesentlich zu einem Anstieg der Stromnachfrage im Sektor Verkehr bis 2030 bei. Je nach Szenario wird dabei von einem Bedarf zwischen 2,5 TWh im Jahr (konservatives Szenario) und 15 TWh im Jahr (Innovationsszenario) ausgegangen. Wesentliche Treiber sind hier die Degression der Batteriepreise, der Ausbau der Infrastruktur sowie die zunehmende Nutzerakzeptanz. In Relation zur jährlichen Nettostromnachfrage von zukünftig rund 550 TWh pro Jahr liegt der Anteil der Elektromobilität dennoch auch im Maximalszenario bei unter 3 %. Der zusätzliche Verbrauch von Wärmepumpen wird im Vergleich dazu voraussichtlich deutlich stärker ins Gewicht fallen. Zudem wird sich die Transformation im Verkehrssektor über mehrere Jahre hinziehen, die Übertragungsnetzbetreiber können sich somit auf notwendige Anpassungen vorbereiten.

Stromübertragungsnetz Tabelle 1: Elektromobilität im NEP der Übertragungsnetzbetreiber (Quelle: Fraunhofer ISI, NEP 2030: Entwicklung der regionalen Stromnachfrage und Lastprofile), * Annahme: tägliche Wiederaufladung des Tagesverbrauchs über ein Ladefenster von 3 Stunden
Tabelle 1: Elektromobilität im NEP der Übertragungsnetzbetreiber (Quelle: Fraunhofer ISI, NEP 2030: Entwicklung der regionalen Stromnachfrage und Lastprofile), * Annahme: tägliche Wiederaufladung des Tagesverbrauchs über ein Ladefenster von 3 Stunden

 

Während die Auswirkungen der durch Elektromobilität induzierten zusätzlichen Jahresenergiemenge auf das Übertragungsnetz bis zum Jahr 2030 eher marginal sind, werden andere Faktoren eine deutlich größere Rolle spielen:

Zum einen steigt die Stromnachfrage – auch für Elektromobilität – gerade in den Ballungsräumen im Süden und Westen Deutschlands überdurchschnittlich an. Auf diese Weise erhöht die Elektromobilität den Transportbedarf für die im Norden eingespeiste regenerativen Energie aus Windparks. Die Übertragungsnetzbetreiber berücksichtigen diese Entwicklung im NEP und ermitteln darin die Netzbaumaßnahmen, die diesen Transport ermöglichen. Jedoch könnte es vermehrt im Verteilnetz ohne intelligente Steuerung zu lokalen Netzengpässen kommen. Zum anderen wird die zusätzliche Last durch das Laden einen spürbaren Einfluss auf die Übertragungsnetze haben. Die angegebene Ladeleistung beruht dabei auf der Annahme eines kurzen Ladefensters und einer hohen Gleichzeitigkeit.

Zukünftige Veränderung der Systemlastkurve erst ab einer größeren Durchdringung im Übertragungsnetz spürbar

Vor allem durch Effizienzgewinne ist eine zukünftige Absenkung des Lastniveaus während des Tages zu beobachten, wohingegen sich in den frühen Abendstunden durch die Elektrofahrzeuge eine deutliche Lastspitze ausbildet (vgl. Abbildung 1). Große Lastgradienten innerhalb kürzester Zeit sind die Folge. Vor allem durch die zunehmende volatile Erzeugung wird die ständige Deckung der Last zur Herausforderung. Diese Aufgabe kann nur mit Hilfe einer abgestimmten Mischung aus Last- und Einspeisemanagement, intelligenten Netzbetriebsmitteln, Speichermöglichkeiten und einem funktionierenden europäischen Verbundnetz als Rückgrat bewältigt werden. In den nächsten Jahren sind jedoch, zumindest bis zum Erreichen des Tipping Points der Elektromobilität, noch keine gravierenden Leistungsspitzen im Übertragungsnetz durch die Elektromobilität zu erwarten.

Stromübertragungsnetz: Grafik Lastprofile
Abbildung 1: Prognose der Systemlastkurve in Deutschland in 2050 (Quelle Fraunhofer ISI, NEP 2030: Entwicklung der regionalen Stromnachfrage und Lastprofile)

Flexibilität der Elektromobilität anreizen und intelligent nutzen

Es wird angenommen, dass Elektrofahrzeuge, aber auch weitere dezentrale Verbraucher wie z. B. Wärmepumpen, zukünftig mittels Lastmanagement zur Steigerung der Flexibilität im Elektrizitätssystem beitragen können. Bestehende Analysen zeigen, dass beide Technologien gewichtige Flexibilitätspotentiale aufweisen. Gleichzeitig ist bereits heute absehbar, dass die rapide wachsenden Anteile der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien den Bedarf an Flexibilität im Stromsystem deutlich steigern werden. Der Flexibilitätsbedarf würde bei einer flächendeckenden Einführung von Elektrofahrzeugen durch unkontrolliertes Laden der Fahrzeuge (Laden nach dem letzten Weg) weiter steigen und zu einer maßgeblichen Ausprägung neuer Lastspitzen beitragen. Lastmanagement bietet hier die Möglichkeit, die zusätzliche Stromnachfrage systemverträglich zu integrieren und damit Erzeugung und Last zeitlich in Einklang zu bringen.

Es besteht jedoch große Unsicherheit darüber, inwieweit und zu welchem Zeitpunkt Lastmanagement flächendeckend eingesetzt wird. Dafür müssen v. a. Anreize für die Verwendung eines Lastmanagement-Systems und dem Bau intelligenter Ladesäulen gesetzt werden. Andererseits ist es offensichtlich, dass Energieversorger oder Verteil- sowie Übertragungsnetzbetreiber ein Interesse haben, das Flexibilitätspotential der Nachfrageseite in Form der Vergütung sogenannter Systemdienstleistungen oder durch entsprechende Anreizzahlungen innerhalb des regulatorischen Rahmens zu heben. Gleichermaßen ist es möglich, dass der Gesetzgeber Finanzierungsprogramme auflegt, falls sich abzeichnen sollte, dass die Einführung von Lastflexibilität (insbesondere im Vergleich mit anderen Flexibilitätsoptionen) mit einem volkswirtschaftlichen Mehrwert verbunden ist. Für Schnellladesäulen mit Anschlüssen für mehrere Fahrzeuge erscheinen Lastmanagementkonzepte ebenfalls sinnvoll. Um die Auswirkungen für die Versorgungsnetze in diesen Fällen möglichst gering zu halten, ist der Einsatz von stationären Batterien denkbar, indem in Spitzenlastsituationen die Netzlast begrenzt und teilweise durch die Batterien gedeckt wird.

Schwarmintelligenz plus Blockchain

Eine weitere Form des Lastmanagements könnte in Zukunft mittels Nutzung von Schwarmintelligenz von Energiespeichern genutzt werden. Dabei werden die Batterien von Elektrofahrzeugen aber vor allem Heimspeicher für Redispatch-Maßnahmen eingesetzt. Mit diesem Prinzip lassen sich bei Engpässen im Stromnetz Notmaßnahmen wie die Abregelung von Windparks reduzieren. Dieses Vorgehen wird bereits heute in Pilotprojekten getestet. Zur Vernetzung und Vergütung solcher Dienstleistungen eignen sich potentiell Blockchain-Anwendungen. Ein weiteres Beispiel wäre, die Hemmnisse für Quartiersspeicher zu beseitigen, die vor allem im urbanen Raum mit Heimspeichern eine Verstetigung der Last bewirken könnten. Vor diesem Hintergrund sind aus Sicht der Netzbetreiber Anreize für Flexibilitätsoptionen wünschenswert, insbesondere in Hinblick auf Szenarien mit einer hohen Durchdringung von Elektrofahrzeugen in mittelfristiger Zukunft.

Elektromobilität als Speicher für das Gesamtsystem mit geringem Potential

Zur Überbrückung sogenannter Dunkelflauten, also Phasen geringer Einspeisung aus Solar- und Windenergieanlagen, die über einige Tage anhalten können, würden Elektrofahrzeuge nur einen geringen Beitrag leisten. Dies verdeutlicht eine vereinfachte Rechnung: Bei 27 Mio. E-Fahrzeugen, was ca. 60% des heutigen PKW-Bestands entspricht, mit einer Speicherkapazität von 60 kWh lassen sich 1,6 TWh elektrischer Energie speichern. Dies entspricht in etwa dem Nettostrombedarf von lediglich einem Tag in Deutschland. Somit lässt sich die notwendige Back-up Kapazität an Kraftwerksleistung durch Energiespeicherung in Elektrofahrzeugen nur geringfügig reduzieren. Die speicherbare Energiemenge wäre zu gering für die Überbrückung einer Dunkelflaute. Darüber hinaus würde aus einer möglichen gesicherten Reserve in dieser Form erhebliche Einbußen an Flexibilität der Besitzer von E-Fahrzeugen einhergehen. Allerdings können die dann bestehenden Potentiale der Elektromobilität neben weiteren Speichertechnologien, dem überregionalen Handel eines funktionierenden Elektrizitätsbinnenmarktes sowie einem angemessenen Back-up Kraftwerkspark ein Baustein zur umfänglichen Versorgungssicherheit der Zukunft sein.

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  1. Windmüller

    vor 6 Jahren

    Ich verstehe gar nicht, warum E Mobilität nicht besser genutzt wird, um Stromerzeugung und -nutzung besser auszupendeln. Wir fahren seit 2 Wochen elektrisch. Bei den E Autos kann man eingeben, wann geladen werden soll. Es ist also kein Problem, in der Nacht um 2 Uhr Strom fließen zu lassen, wenn viel Strom im Netz ist. Bei Wärmepumpen und Nachtspeicherheizungen sorgt man ja auch über Rundsteuerempfänger dafür, dass Strom in lastschwachen Zeiten genutzt wird. Heute ist Sturm angesagt. Da ist Windstrom im Überfluss vorhanden. Also hängt der Zoe jetzt an der wallbox.

  2. K.Herrman

    vor 6 Jahren

    10 Tage hintereinander im Januar bewiesen durch Dunkelflaute ,diese gesamte Windenergie muß sich mindestens für 3 Wochen speichern lassen. Bis heute und auf weiteres nicht absehbar.

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  3. AnitaD

    vor 6 Jahren

    Deutschland verfügt über ein sehr gut ausgebautes Gasnetz. Durch Power to Gas könnte dieses Gasnetz als Langzeitspeicher genutzt werden. Experten sprechen von einer Speicherkapazität von ca. 3
    3 Monaten-das würde jede Dunkelflaute überdauern und uns zusätzlich unabhängiger von importiertem Gas aus dem Ausland machen. Dies stellt für mich eine weitaus bessere Lösung dar, als unsere schöne Landschaft mit teuren Megastromtrassen zu verbauen und den Strom um die halbe Welt zu schicken.

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