Eine Kraftwerksstrategie mit Überforderungspotenzial für den Mittelstand

Gastautor Portrait

Dr. Sabine Schäfer

Leiterin Energie und Umwelt DER MITTELSTANDSVERBUND – ZGV e.V.

In Rheinland-Pfalz geboren, zog es mich Anfang der 90erJahre nach Berlin: Hier habe ich an der Humboldt-Universität zu Berlin in einem ingenieurwissenschaftlichen Fach studiert, mit der Möglichkeit direkt im Anschluss daran am Campus Dahlem als Wissenschaftliche Mitarbeiterin zu arbeiten und zu promovieren. Seit März 2018 stehe ich beim MITTELSTANDSVERBUND - ZGV e.V. engagiert für die politischen Interessen unserer Mitglieder ein, zum einen in der Projektarbeit (Leiterin Klimaverbund Mittelstand) als auch zum anderen in meiner Funktion als Leiterin für das Ressort Energie- und Umweltpolitik. Mein Herz schlägt für den Mittelstand, daher ist die Aussage „Wirtschaften mit Weitblick – Kosten senken, Energie sparen und Ressourcen schützen“ für mich persönlich mehr als nur ein griffiger Slogan.

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07. November 2024
Bild: Shutterstock.com/petrmalinak

Die Bundesregierung hat nach langen Verhandlungen eine Kraftwerksstrategie vorgelegt, um auch künftig die Versorgungssicherheit in Deutschland auf dem heutigen hohen Niveau zu halten und gleichzeitig die notwendige Dekarbonisierung des deutschen Stromsystems weiter voranzutreiben. Die wesentlichen Aspekte der Strategie sind nun in ein Kraftwerkssicherheitsgesetz eingeflossen.
Vorgesehen ist der Bau moderner Gaskraftwerke, die in der Zukunft auf Wasserstoff umgestellt werden können und damit eine klimafreundliche Ergänzung zu Wind- und Sonnenenergie bieten sollen. Doch was auf den ersten Blick nach einem zukunftsorientierten Plan klingt, birgt erhebliche Risiken und zusätzliche finanzielle Lasten – für alle Verbraucher, insbesondere für den Mittelstand. DER MITTELSTANDSVERBUND setzt sich daher für ein klares und faires Konzept ein, um den Wirtschaftsstandort Deutschland für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nicht zu gefährden, Energie nicht weiter zu verteuern und damit auch langfristig die Akzeptanz der Energiewende in der Gesellschaft sicherzustellen.

Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit – zwei Seiten ein und derselben Medaille

Insgesamt setzt der nunmehr favorisierte Ansatz auf zentrale Kapazitäten und vernachlässigt mögliche dezentrale, effizientere Lösungen, die zudem ein deutliches Mehr an Resilienz für das Gesamtsystem mit sich bringen können.

Dr. Sabine Schäfer

Kern des Kraftwerkssicherheitsgesetzes ist die Ausschreibung von 12,5 GW neuer, „H2-ready“ (Erd)Gaskraftwerke, die flexibel betrieben und später auf Wasserstoffbetrieb umgestellt werden können. Diese Kraftwerke sollen vor allem im Süden Deutschlands entstehen, um das Netz zu stabilisieren und die sogenannten Redispatch-Kosten zu senken, die entstehen, wenn die Transportkapazitäten des Netzes nicht ausreichen, den Strom aus dem windreichen Norden in die industriellen Zentren im Süden Deutschlands zu transportieren. Zusätzlich fördert die Bundesregierung 500 Megawatt (MW) an „Sprinteranlagen“, die sofort mit Wasserstoff betrieben werden. Eine Tranche von 500 MW für Langzeitspeicher ist ebenfalls geplant.

Unterteilt in zwei Säulen, sollen in einer ersten Tranche der Ausschreibung in Höhe von 5 GW sowohl Investitionskosten (Capex) als auch die höheren Betriebskosten (Opex) im Vergleich zu Erdgas für mit Wasserstoff betriebene Anlagen bis zu einer Obergrenze von 800 Betriebsstunden pro Jahr bezuschusst werden. Die Finanzierung erfolgt über den Klima- und Transformationsfonds (KTF).

Die zweite Säule der Strategie umfasst Ausschreibungen für 5 GW an neuen Gaskraftwerken sowie weitere 2 GW an umfassenden H2-ready-Modernisierungen, die – anders als die erste Säule – beihilferechtlich nicht als Beitrag zur Dekarbonisierung, sondern zur Versorgungssicherheit geführt werden sollen und ab dem 8. Jahr ihrer Inbetriebnahme/Modernisierung auf den Betrieb auf grünen oder blauen Wasserstoff gemäß Nationaler Wasserstoffstrategie umstellen müssen.

Die Anlagen beider Tranchen müssen bis 2045 klimaneutral sein. Das Bundeswirtschaftsministerium sieht in ihnen eine „Brücke“ zum geplanten, technologieoffenen Kapazitätsmechanismus, der ab 2028 starten und über eine Umlage finanziert werden soll.

Insgesamt setzt der nunmehr favorisierte Ansatz auf zentrale Kapazitäten und vernachlässigt mögliche dezentrale, effizientere Lösungen, die zudem ein deutliches Mehr an Resilienz für das Gesamtsystem mit sich bringen können. Zudem stellt sich die Frage, warum zur Vermeidung von Redispatch im Süden nicht weiterhin auf den bislang favorisierten Netzausbau und die Überwindung des vorhandenen Netzengpasses gesetzt wird.

GOOD TO KNOW: Kapazitätsmarkt versus Energy-Only-Markt: Welches Modell ist wirklich zukunftsfähig?

Der Wechsel vom bisherigen im Wesentlichen Energy-Only-Markt zu einem Kapazitätsmarkt ist ein weiterer Kernaspekt der Kraftwerksstrategie. In einem Energy-Only-Markt werden Stromerzeuger ausschließlich für die Menge an Energie bezahlt, die sie tatsächlich liefern. Das fördert die Effizienz, da nur dann produziert wird, wenn tatsächlich Bedarf besteht. Im Gegensatz dazu sieht ein Kapazitätsmarkt vor, dass Stromerzeuger auch für die bloße Bereitschaft, Strom zu erzeugen, entlohnt werden – selbst wenn dieser Strom nicht abgerufen wird.

Finanzielle Belastungen und mangelnde Transparenz: Der Mittelstand fordert Klarheit

Eine Studie des Berliner Beratungsunternehmens Connect Energy Economics, die im Auftrag von Wirtschaftsverbänden wie dem Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne) erstellt wurde, kommt hingegen zu dem Schluss, dass eine Absicherungspflicht (Hedging) – also die Verpflichtung, eingegangene Lieferverpflichtungen am Markt zuverlässig abzusichern – kostengünstiger und robuster wäre.

Der Kapazitätsmarkt hingegen birgt die Gefahr, ineffiziente Strukturen zu fördern und dadurch die Preise zu erhöhen. DER MITTELSTANDSVERBUND sieht hier dringenden Handlungsbedarf, um sicherzustellen, dass dies nicht zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen geht.

Fazit: Ein unkalkulierbares Risiko für den Mittelstand?

Zentraler Kritikpunkt des Mittelstands ist die Einführung eines Kapazitätsmarktes selbst.

Dr. Sabine Schäfer

Die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung birgt zahlreiche Risiken und Unwägbarkeiten – vor allem für den deutschen Mittelstand, der schon jetzt erheblichen wirtschaftlichen Belastungen ausgesetzt ist. Zwar ist die Absicherung der Stromversorgung essenziell, jedoch darf diese nicht zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen gehen. DER MITTELSTANDSVERBUND unterstreicht, dass die Kosten für die Umsetzung der Strategie fair und transparent verteilt werden müssen, um ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zu vermeiden.

Zentraler Kritikpunkt des Mittelstands ist die Einführung eines Kapazitätsmarktes selbst. Denn während in einem Energy-Only-Markt Effizienz im Fokus steht, die Preise an den tatsächlichen Verbrauch angepasst werden und zudem noch der Ausbau von Transportkapazitäten angereizt wird, werden in einem Kapazitätsmarkt auch für ungenutzte Bereitstellungskapazitäten Zahlungen fällig.

Diese Struktur könnte die ohnehin schon hohen Energiekosten für Unternehmen ohne Not über Gebühr erhöhen und die finanzielle Belastung durch eine mögliche Kapazitätsmarktumlage weiter verschärfen. Gerade für mittelständische Unternehmen, die in Deutschland als Rückgrat der Wirtschaft gelten, bedeutet das eine erhebliche Gefahr für ihre Kostentragfähigkeit und damit auch für ihre Wettbewerbsfähigkeit. Zusätzlich bleibt die Transparenz über die genaue Kostenverteilung unzureichend.

Noch im Februar schätzte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die Kosten für die Umsetzung der Maßnahmen auf 15 bis 20 Milliarden Euro. Damals lag das geplante geförderte Zubauvolumen bei 10 GW, nun sind es 12,5 GW, 7,5 GW davon sollen über den KTF gefördert werden. Ein großer Unsicherheitsfaktor sind dabei die Kosten für die Umrüstung bestehender Gaskraftwerke auf die Fähigkeit, Wasserstoff zu nutzen.

Insgesamt ist die Kraftwerksstrategie zwar ein ambitionierter Schritt in Richtung Versorgungssicherheit und Energiewende, doch droht sie am Ziel vorbeizuschießen, wenn die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen des Mittelstands nicht stärker berücksichtigt werden.

Dr. Sabine Schäfer

DER MITTELSTANDSVERBUND fordert daher von der Bundesregierung eine klare Aufschlüsselung der finanziellen Belastungen, die auf die Unternehmen zukommen könnten. Ohne eine verlässliche Gesetzesfolgenabschätzung sehen sich viele Mittelständler gezwungen, erhebliche Risiken in ihre Finanzplanung aufzunehmen, was langfristig nicht tragbar ist. Die Unsicherheit, ob zukünftige Abgaben und Umlagen zu hohen Zusatzbelastungen führen, hemmt Investitionen in innovative und nachhaltige Technologien – Investitionen, die für die mittelständische Wirtschaft dringend notwendig sind, um sich an die Anforderungen des Klimaschutzes anzupassen und zukunftsfähig zu bleiben.

Ein weiteres Problem ist die Vernachlässigung der Energieeffizienz in der Strategie der Bundesregierung. Der „Efficiency First“-Grundsatz, der innerhalb der EU verankert ist, fordert, dass Investitionen in Energieeinsparung und Effizienz Vorrang haben sollten. Der Mittelstand würde vielmehr von Maßnahmen profitieren, die auf dezentrale Lösungen und effiziente Technologien setzen. Durch dezentrale Energieerzeugung – beispielsweise Kraft-Wärme-Kopplung – dezentrale Speicher oder mehr Anreize für eine flexible Nachfrage könnten Unternehmen und Verbraucher die Netzkosten und Abhängigkeiten reduzieren und gleichzeitig ihre Energiekosten senken. Die Kraftwerksstrategie, die primär auf zentralisierte Großkapazitäten setzt, benachteiligt diese dezentralen Optionen und zwingt den Mittelstand zu einem kostspieligen Kurs.

Die geplante neue Umlage für Stromverbraucher zur Finanzierung der Gaskraftwerke ist ein weiterer Punkt, der Besorgnis auslöst. Mit bereits knapp 30 Prozent des Strompreises, die auf Steuern, Abgaben und Umlagen entfallen, stellt jede zusätzliche Umlage eine neue Hürde dar. Der Mittelstand, der seine Energiekosten genau kalkulieren muss, kann diese Last nur schwer schultern. Eine weitere Belastung könnte das wirtschaftliche Fundament zahlreicher Unternehmen in Mitleidenschaft ziehen und die Konkurrenzfähigkeit auf internationalen Märkten gefährden.

Insgesamt ist die Kraftwerksstrategie zwar ein ambitionierter Schritt in Richtung Versorgungssicherheit und Energiewende, doch droht sie am Ziel vorbeizuschießen, wenn die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen des Mittelstands nicht stärker berücksichtigt werden. DER MITTELSTANDSVERBUND appelliert an die Bundesregierung, die Balance zwischen Versorgungssicherheit und wirtschaftlicher Tragfähigkeit zu wahren.

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