Drei Beispiele, wieso das Artensterben aufgehalten werden kann

Gastautor Portrait

Peter Jelinek

Gastautor

Peter Jelinek studierte Internationale Forst- und Ökosystemwissenschaften an der Hochschule in Eberswalde und arbeitete jahrelang zu Europas Green Deal in Brüssel. Zusammen mit Patrick Haermeyer gründete er vor einiger Zeit die politische Agentur The Goodforces.

weiterlesen
25. Oktober 2024

Drei Beispiele, wieso das Artensterben aufgehalten werden kann

Wenn wir ChatGPT fragen, was wir gegen den Verlust der biologischen Vielfalt auf der Welt tun müssten, gibt es acht Antworten. Der Schutz von Lebensräumen, eine nachhaltige Landwirtschaft, die Reduzierung von Verschmutzung durch Pestizide, Klimaschutz, Bildung, Wiederherstellung von Ökosystemen, internationale Zusammenarbeit und Forschung. So revolutionär ChatGPT für unsere Arbeitswelt ist, so altbekannt sind die Antworten auf die größte planetare Bedrohung unserer Zeit: Das Artensterben vor unserer Haustür. Die Zeit für Ausreden ist vorbei und drei Beispiele zeigen, dass die Wende bereits eingetreten ist.

Die Zeit rennt davon

Wie wir alle wissen, ist die Antwort auf alles 42. So zumindest berechnete der Supercomputer “Deep Thought” im Buch “Per Anhalter durch die Galaxis” die Frage der Menschheit nach dem Leben, dem Universum und generell einfach allem. 7,5 Millionen Jahre wartete die Menschheit in Adams Geschichte verzweifelt auf eine Antwort, die da war: 42.

So witzig das Buch und abstrakt die Antwort, so klar ist aber auch, dass wir keine 7,5 Millionen Jahre für eine Antwort auf die drängende Frage rund um den Erhalt eines intakten Planeten haben – und schon gar nicht für die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen. Auf letzteres gibt ChatGPT ebenso eine Antwort. “Laut Berichten von Wissenschaftlern und Umweltexperten ist es entscheidend, bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts signifikante Fortschritte zu erzielen, um das Aussterben vieler Arten zu verhindern.”

Entscheidend, signifikante Fortschritte zu erzielen, um das Aussterben vieler Arten zu verhindern

Für diese notwendigen Fortschritte haben wir also 25 Jahre, um das sechste große durch Menschen verursachte Artensterben auf der Welt zu stoppen.

Peter Jelinek

Für die oben genannten Fortschritte haben wir also 25 Jahre, um das sechste große durch Menschen verursachte Artensterben auf der Welt zu stoppen. Wir müssen klimaneutral werden, im großen Stil Schutzgebiete erhalten und ausweiten, auf den bewirtschafteten Flächen die Vermüllung und Verschmutzung stoppen, in Bildung, Forschung, Monitoring investieren und unseren Flächenfraß stoppen. Wir müssen, und das ist das eigentlich Bahnbrechende, unser gesamtes politisches und gesellschaftliches Handeln dem Erhalt der biologischen Vielfalt unterordnen. Ansonsten endet die Zivilisation, wie wir sie kennen.

Geht morgen die Welt unter? Nein. Schon seit gestern.

Ja, das klingt hart, aber dabei hätte alles anders kommen können, denn die Anzeichen für das Artensterben waren schon viel früher bekannt. Seit 1970 sind die vom WWF im Living Planet Report erfassten Artenbestände weltweit um über 70 Prozent eingebrochen.[1] In Europa ist jede fünfte Art vom Aussterben bedroht.[2] Die vierte Bundeswaldinventur zeigte kürzlich auf, dass der deutsche Wald durch Dürren oder andere Extreme von einem CO2-Speicher zur Quelle wird.[3] Dabei wird allein die Klimakrise dafür sorgen, dass zusätzlich 30 Prozent der wildlebenden Pflanzen und Tierarten verloren gehen.[4] Jahr für Jahr können wir fundiert sagen: Die Welt stirbt ab. Das ist faszinierend wie beängstigend gleichermaßen.

Aber braucht es denn die Singdrossel, den Feldhamster, den Hering, die Insekten oder die Traubeneiche wirklich? Kurz und knapp: Ja, natürlich. Zwei Beispiele. Rund 80 Prozent aller Wild- und Kulturpflanzen hierzulande sind auf die Bestäubung von Insekten angewiesen und 50 Prozent[5] der Weltwirtschaftsleistung beruht direkt auf intakter Natur.

Angesichts der Lage rennt uns also die Zeit davon und sollte auch klar sein, dass dies keine Aufgabe einer politischen Legislatur ist, sondern eine Menschheitsaufgabe für die nächsten Jahrzehnte. Und sie muss heute beginnen, auch wenn Unions-Chef Friedrich Merz vor einigen Monaten sagte: “Es ist eben gerade nicht so, dass morgen die Welt untergeht.”[6]

Doch das tut sie und das eigentlich schon seit gestern.

Der Realität ins Auge blicken

Es ist der Versuch, die ökologischen Grenzen des Planeten zu respektieren, und ja, es gibt Streit.

Peter Jelinek

Sich dem zu stellen, hat die Europäische Union versucht. Sie ist damit das prägnanteste Beispiel, wieso die Wende eingeleitet ist. Europas Green Deal wurde Ende 2019 von der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ausgerufen. In 25 Jahren soll Europas fossile Erbe schrittweise abgeworfen und durch erneuerbare Energien, einer intakten Umwelt und funktionierenden Kreislaufwirtschaft ersetzt werden. In den letzten vier Jahren wurden dafür die Weichen gestellt – mit einem Klimaschutzgesetz und Gesetz zur Renaturierung als Fundament.

Es ist der Versuch, die ökologischen Grenzen des Planeten zu respektieren, und ja, es gibt Streit. Wütende Bauernproteste Anfang des Jahres zeugten davon, aber auch Widerstände gegen Renaturierungen oder das Verbrenner-Aus 2035. Klima- oder Renaturierungsziele sind das eine, Maßnahmen das andere.

Ein weiterer Schritt sind etliche Startups, aber auch Firmen, die die ökologischen Grenzen anerkennen. Kein Unternehmen kommt ohne eine Klimabilanz aus. Es ist ein wahrer ökologischer Markt entstanden, der auf der Suche nach Ökostrom und Umweltbilanz das Rennen bestreitet.

Bleibt das letzte Beispiel. Der Schutz vor den Folgen der Klima- oder Biodiversitätskrise ist den Menschen extrem wichtig. In einer Eurobarometer-Umfrage geben die Befragten regelmäßig an, dass sie sich in erster Linie durch extreme Wetterereignisse und Überschwemmungen gefährdet fühlen[7].

Vernunft ist gefragt

Diese drei Beispiele zeigen, dass Arten- oder Klimaschutz nicht irgendwelche Randerscheinungen, sondern mittlerweile tief in der Gesellschaft verankert sind. Sie sind aber, und das ist die Herausforderung unserer Zeit, nicht direkt auf dem Konto spürbar, wo Miete oder Nebenkosten, aber nicht der Verlust der biologischen Vielfalt abgerechnet werden. Die Sorge vor dem Alltag verdrängt das Artensterben, was nicht als Vorwurf, sondern als Tatsache zu verstehen ist.

Und doch: Ein Klimageld oder ein Artengeld für besonders vielfältige Gärten, die politischen Ideen gibt es wie Plastik am Meer. Den Menschen sind die Herausforderungen bewusst, aber sie wollen mitgenommen werden. Eben hier ist die Politik mehr denn je gefragt – und zwar parteiübergreifend. Während die Trumps dieser Welt mit ihren Lügen den Diskurs vergiften, müssen sich demokratische Kräfte zumindest in den drängendsten Herausforderungen einigen. Tun sie das nicht, werden die Krisen sich beschleunigen und mit ihnen die Folgen, die Ängste und damit der Nährboden für Populisten und Demagogen größer werden.

Es liegt also an uns, die eingeleitete Wende jetzt konsequent zu verfolgen. Dafür haben wir alles. Einen Supercomputer, die Politik, die findigen Unternehmen, die Mehrheit der Gesellschaft. Seien wir vernünftig und nutzen wir die letzte Chance für den vielfältigen Planeten, die wir noch haben, bevor es zu spät ist.

Diskutieren Sie mit

Ich akzeptiere die Kommentarrichtlinien sowie die Datenschutzbestimmungen* *Pflichtfelder

Artikel bewerten und teilen

Drei Beispiele, wieso das Artensterben aufgehalten werden kann
5
1