Die saubere Revolution nimmt Fahrt auf – nur nicht in Europa

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Heimo Fischer

Kolumnist

Als Wirtschaftsjournalist schreibe ich für bekannte Zeitungen, Magazine und Firmenpublikationen. Meine Auftraggeber profitieren von meiner Erfahrung, denn das Geschäft der Medien kenne ich seit vielen Jahren. Ich war Gründungsmitglied der Financial Times Deutschland, für die ich sieben Jahre als Korrespondent aus Paris und London berichtet habe. Mein Studium habe ich als Diplom-Kaufmann abgeschlossen und mehrere Jahre Medienarbeit für die Bundeswehr betrieben. Ich bin Absolvent der Journalistenschule Axel Springer und wurde unter anderem mit dem Deutsch-Französischen Journalistenpreis ausgezeichnet. Als Autor interessieren mich besonders die Menschen hinter meinen Geschichten. Über sie schreibe ich am liebsten – präzise, spannend und einfühlsam.

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28. Juni 2025

In anderen Teilen der Welt läuft gerade eine Cleantech-Revolution – bei der wir zuschauen.

Heimo Fischer

In Deutschland dümpelt die Energiewende vor sich hin. Das ist die schlechte Nachricht, zumindest für uns. Die gute Nachricht lautet: In anderen Teilen der Welt läuft gerade eine Cleantech-Revolution – bei der wir zuschauen.

Den Zustand der Energiewende kann man bei uns in düsteren Farben malen: Schwache Netze behindern den Ausbau von Sonnen- und Windkraft. Speicher haben nach wie vor Exotenstatus und Wasserstoffnetze sind reine Zukunftsvision. Planungschaos und Bürokratie zementieren diese Mängel und immer neue Stimmen betonen, dass die grüne Transformation teurer wird und viel länger dauert als gedacht. Und einige europäische Länder setzen sogar weiterhin auf Kohle als Energieträger.

Dieses Bild ist realistisch – spiegelt aber nur einen Teil der Wahrheit wider und gilt vor allem für Deutschland und andere westliche Industriestaaten. Global betrachtet gibt es hingegen jede Menge Indizien, dass eine grüne Revolution im Gange ist. Sie betrifft Verfahren, Produkte und Dienstleistungen, mit denen sich die Umweltbelastung vermindern und natürliche Ressourcen effizienter nutzen lassen.

Der weltweite Ausbau erneuerbarer Energien erreicht immer neue Rekorde

Das wird unter anderem am Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich, der immer neue Rekorde erreicht. Im Jahr 2024 wurden 585 Gigawatt Leistung installiert – drei Viertel davon entfallen auf die Photovoltaik und rund ein Fünftel auf die Windkraft. China allein steht für zwei Drittel dieses Zuwachses. Damit schaffte das Land weit mehr erneuerbare Erzeugung als der Rest der Welt zusammen. Zwar stimmt es, dass China und andere Länder nach wie vor neue Kohlekraftwerke bauen, um die Versorgungssicherheit zu gewähren, wenn weder Sonne scheint noch Wind weht. Ob das nötig ist, darüber lässt sich streiten. Im Vergleich zu den erneuerbaren Energien ist der weltweite Zubau von Kohlekraft jedoch gering. Im Jahr 2024 war es eine Leistung von 44 Gigawatt.

Fakt ist aber auch, dass die Zeit der schmutzigen Energie vorbei ist. Seit 15 Jahren werden immer weniger fossile Kraftwerke gebaut. Die Investitionen in Öl und Gas sinken seit mehr als zehn Jahren. (Seite 28)

Der Erfolg der Elektromobilität in China

Seit 2017 gehen die Verkäufe von Autos mit Verbrennungsmotor konstant zurück. Die E-Mobilität hingegen eilt von einem Erfolg zum nächsten. Nicht unbedingt in Deutschland, aber in China, wo jedes zweite verkaufte Auto mittlerweile einen Elektroantrieb hat. Hierzulande nur jeder fünfte. Und die Kapazitäten von Wärme- und Stromspeichern gehen weltweit jedes Jahr deutlich nach oben.

Kapitalgeber investieren nachhaltig: Zwei Billionen Dollar für grüne Technologie

Sie sind überzeugt, dass sie mit grünen Innovationen langfristig gute Rendite erzielen können.

Heimo Fischer

Die Finanzmärkte haben diesen Trend längst erkannt. Kapitalgeber investieren hohe Summen in kohlenstoffarme Energien. Im Jahr 2024 waren es mehr als zwei Billionen Dollar. Das entspricht zwei Drittel aller weltweiten Energieinvestitionen und markiert ebenfalls eine Rekordmarke. Dieses Jahr werden es aller Voraussicht nach deutlich mehr sein. Wenn wir davon ausgehen, dass viele dieser Investoren nicht zur Speerspitze der weltweiten Klimabewegung gehören – dann liegt folgende Erklärung nahe: Sie sind überzeugt, dass sie mit grünen Innovationen langfristig gute Rendite erzielen können.

Das war nicht immer so. Die Greentech-Branche verharrte lange Zeit in einer Nische. Vor 20 Jahren fassten viele Geldgeber nachhaltige Geschäftsideen eher mit der Beißzange an – von Ausnahmen abgesehen. Dass sich Sonne und Wind zum tragenden Pfeiler der Stromversorgung entwickeln sollten, konnten sich damals viele Menschen kaum vorstellen.

In den 1990er Jahren waren sogar noch weite Teile der Energiewirtschaft überzeugt, dass die Erneuerbaren in Deutschland nicht mehr als vier Prozent des Strombedarfs decken können. Heute wissen wir, dass es anders gekommen ist. Im Jahr 2000 waren es sechs Prozent, 20 Jahre später 45 Prozent und heute kommen fast 60 Prozent aus regenerativen Quellen.

Die Cleantech-Revolution nimmt an Fahrt auf

Wie kam es zu dieser Fehleinschätzung? Die Kritiker hatten den technischen Fortschritt unterschätzt, der zu sinkenden Kosten führt und Investitionen rentabler macht. Ähnliches sehen wir heute bei Windkraft und Photovoltaik, bei Elektroautos, Speichern oder Solarmodulen. Ein immer schnellerer Preisverfall sorgt für geringere Kosten und treibt einen globalen Boom an. Das Rocky Mountain Institut (RMI), ein international anerkannter Think Tank, spricht von einer Cleantech-Revolution, die wir gerade durchlaufen.

In einer Studie belegen die Autorinnen und Autoren, dass die Kosten für saubere Technologien in den vergangenen zehn Jahren um rund 80 Prozent gefallen sind, während sich die Investitionen verzehnfacht haben. Das Ergebnis ist ein Trend in Form einer S-Kurve, also eine Linie, die nicht gleichmäßig in kleinen Schritten nach oben geht, sondern exponentiell, also immer steiler, ansteigt. Das ist die Phase, in der wir uns gerade befinden. Diesen Wandel treibt vor allem China voran. Die Hälfte des weltweiten Wachstums auf dem Markt für saubere Technologie kommt aus dem asiatischen Land. Erst wenn die Märkte irgendwann gesättigt sind, wird die Kurve zu einer S-Form abflachen.

Von wegen abgehängt: Energiewende im globalen Süden

Was die Energieversorgung angeht, steht der globale Süden in den Startlöchern, darunter auch Staaten, die ziemlich arm sind.

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Was die Energieversorgung angeht, steht der globale Süden in den Startlöchern, darunter auch Staaten, die ziemlich arm sind. Warum das so ist? Um zu wachsen, brauchen sie Energie. Zwar beträgt der Pro-Kopf-Verbrauch ein Fünftel von dem des globalen Nordens. Dennoch müssen die Länder des globalen Südens fossile Brennstoffe importieren – was ihre Reserven belastet und bei steigendem Energiebedarf nicht finanzierbar ist.

Eine Reihe von Staaten in Afrika, Südamerika sowie Süd- und Südostasien haben jedoch Sonne und Wind im Überfluss. Zusammen verfügen sie über 70 Prozent des weltweiten Potenzials an erneuerbaren Energien. Durch den weltweiten Preisverfall grüner Technologie dürfte es immer einfacher werden, diesen Schatz zu heben. Wenn es billiger ist, kostenlosen Wind und Storm zu nutzen anstatt Kohle, Gas und Öl aus anderen Teilen der Welt, dann wäre es dumm, keine Wind- und PV-Parks zu bauen.

Hinzu kommt, dass in vielen dieser Länder der Energieverbrauch gering ist. Das begünstigt den Umstieg auf Wind und Sonne. Denn Produktionsprozesse können von Anfang an auf regenerative Energien ausgerichtet werden. Anders als in den Industrieländern, die ihre über mehr als 100 Jahre gewachsenen Verfahren umstellen müssen.

Zahlreiche Regierungen im globalen Süden haben das verstanden. Lateinamerika hat China bereits beim Anteil von Solar- und Windkraft in der Stromerzeugung überholt und woanders könnte dies bald der Fall sein. Auch in Marokko, Bangladesch, Namibia oder Vietnam gibt es deutliche Zeichen eines Umschwungs.

Beispiel Pakistan: Auf jedem Dach ein Solarpanel

Revolutionen warten nicht – auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen, sich dagegen sträuben oder die Entwicklung aufhalten wollen.

Heimo Fischer

Wie schnell sich die Cleantech-Revolution ausbreitet, zeigt das Beispiel Pakistan. Das Land erlebt derzeit einen unglaublichen Sonnen-Boom. Zahlreiche Gebäude sind mit Solar-Panels bedeckt, wie Satellitenbilder belegen. Im Jahr 2024 wurden Anlagen mit schätzungsweise 17 Gigawatt Leistung importiert, doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Das entspricht, grob geschätzt, der Kapazität von zwei bis drei Atomkraftwerksblöcken.

Von der Cleantech-Revolution profitiert auch Indien, das seine Solar- und Windenergie massiv ausbaut. Das Land hat sich zum Ziel gesetzt, die nicht fossilen Kapazitäten bis 2030 auf 500 Gigawatt auszubauen. Mittlerweile können indische Erzeuger Solarstrom für weniger als zwei Cent pro Kilowattstunde herstellen. In Deutschland liegt dieser Betrag mindestens doppelt so hoch.

Die Technik für diese Solarparks kommt übrigens nicht aus dem Norden, sondern ebenfalls aus China. Das Land brüstet sich damit, dass es genug Kapazitäten hat, um den Cleantech-Bedarf des gesamten globalen Südens zu decken. Seit 2023 hat die Volkrepublik 100 Milliarden Dollar weltweit in den Sektor importiert.

Veränderungen brauchen Zeit. Das gilt auch für die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Dieses Credo war lange Zeit Richtschnur für Politik und Unternehmen. Und womöglich eine Ausrede, um nicht schneller handeln zu müssen. Es kann sein, dass dieser Glaubenssatz heute nicht mehr stimmt. Revolutionen warten nicht – auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen, sich dagegen sträuben oder die Entwicklung aufhalten wollen.

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