War watt? Der Wolf und die Energiewende

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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20. März 2018
War watt? ist die energiepolitische Kolumne unseres Moderators Hubertus Grass, der seit nunmehr 30 Jahren für die Energiewende streitet.

Die Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland haben verabredet, ein gemeinsames Wolfsmanagement zu betreiben. In Sachsen und Brandenburg, wo mittlerweile einige Wolfsrudel ansässig sind, arbeiten professionelle Wolfsbeauftragte schon seit mehreren Jahren an der Re-Integration des geschützten Raubtieres. Der Wolf ist uns lieb und teuer. Die Ausgaben sind enorm hoch. Schäfer und Viehzüchter werden unterstützt beim Herdenschutz. Wenn der Wolf die Zäune dennoch überwindet, zahlt der Staat einen Ausgleich für jedes verlorene Tier. Übertreiben wir den Naturschutz? Ist ein Tier, das ein so großes Jagdgebiet wie der Wolf braucht, überhaupt in unsere dicht besiedelte Kulturlandschaft integrierbar? Und was hat das mit der Energiewende zu tun?

150 Jahre waren wir nahezu „wolfsfrei“

Um das Jahr 1850 herum wurde die Wolfspopulation in Deutschland ausgerottet. Bereits zwei Generationen zuvor hatte man den Braunbären den Garaus gemacht. In der Zeit zwischen 1945 und 1990 wurden sowohl in der DDR als auch auf dem Gebiet der BRD die eingewanderten einzelnen Wölfe kurzerhand erschossen. Insgesamt sind 22 Fälle dokumentiert. Seit der Wiedervereinigung steht der Wolf unter Naturschutz. In Sachsen siedelte sich im Jahr 2000 fast genau 150 Jahre nach der Ausrottung wieder das erste Rudel an. Mittlerweile soll die Zahl der Wölfe auf 35 Familien angewachsen sein.

Die intensive Begleitung der Rückkehr der Wölfe hat nicht verhindern können, dass zahlreiche Konflikte entstanden. Für Schäfer aber auch für Rinderzüchter, die ihre Kühe und Kälber (wie es sich gehört) auf die Weiden lassen, sind Wölfe ein Riesenproblem. Das kann man nicht kleinreden. In der öffentlichen Meinungsbildung spielt zudem auch die Urangst vor dem Wolf eine große Rolle. Schon hat es einige Sondergenehmigungen für den Abschuss von sogenannten „Problemwölfen“ gegeben. Und selbst bei den Koalitionsgesprächen im Bund spielte das Thema eine Rolle. Der Wolf wird zu einer Art Prüfstein in der Frage, wie ernst wir es mit dem Natur- und Umweltschutz nehmen wollen.

Der Wolf und die Energiewende
Selbst in den Koalitionsgesprächen war der Wolf ein Thema. Das Birkhuhn kam nicht vor.

Naturschutzverständnis aus der Kolonialzeit

Große Raubtiere sind ein Hit. Jedenfalls dann, wenn wir sie im Zoo oder auch bei der Safari gefahrlos beobachten dürfen. Der Schutz von Tiger, Löwe, Panther und Co. ist uns enorm wichtig. Zum Glück bleibt der damit verbundene Ärger dort vor Ort. Von Tigern ist bekannt, dass ihnen, anders als beim Wolf, ab und an Menschen zum Opfer fallen. Und wer schon einmal gesehen hat; wie ein Feld oder eine Plantage aussieht, nachdem sich eine Elefantenherde über die Früchte her gemacht hat, der ahnt, dass unsere Konflikte mit dem Wolf vergleichsweise von bescheidener Natur sind. Wenn wir nicht fähig sind hier in Deutschland mit dem Wolf zu leben, sollten wir den Ländern Afrika und Asien auch zugestehen, alle Tiere, die Probleme bereiten, „zu entnehmen“.

Bislang scheint es eine unerklärte Arbeitsteilung zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern zu geben. Während wir global die Ressourcen ausbeuten, Luft, Wasser und Atmosphäre mit unseren Emissionen verschmutzen, sollen sich die Länder des Südens darum kümmern, ihren Naturreichtum zu erhalten. Selbstverständlich beteiligen wir uns daran mit der einen oder anderen Zuwendung. Der Klimawandel als globales Problem hat die Grundlage dieser Arbeitsteilung zerstört. Denn die vorwiegend von uns emittierten Treibhausgase machen keinen Halt an Landesgrenzen. Ob in den Anden, im Himalaja oder in den trockenen Gebieten Afrikas: Die negativen Einflüsse des Klimawandels sind überall messbar. Weltweit haben wir in den Naturhaushalt eingegriffen und gefährden so das Leben von Milliarden Menschen.

Wir führen eine Menge Scheindiskussionen am Thema vorbei

Zeigen wir Reue? Die Diskussion um den Wolfschutz verdeutlicht einmal mehr, dass wir offenbar nichts begriffen haben. Wir glauben immer noch, Herr über die Natur zu sein und sie nach Gutdünken gestalten zu können. Selbst die Nachrichten vom massenhaften Bienen- und Insektensterben lassen uns nicht demütig werden. Da diskutieren wir doch lieber über die Glaubwürdigkeit der Studien. Wir können oder wollen wahrscheinlich auch nicht verstehen, dass die Natur ihren eigenen Gesetzen folgt und wir im Interesse der gesamten Menschheit gut daran täten, uns diesen Gesetzen anzupassen.

Statt uns den grundsätzlichen Problemen zuzuwenden, die Energiewende voranzutreiben, den Ressourcenverbrauch zu drosseln und die Emission von Umweltgiften drastisch zu reduzieren, führen wir Scheindiskussionen. Dass Windräder Vögel erschlagen, ist betrüblich. Anders als es die öffentliche Diskussion widerspiegelt, haben Windräder aber nur einen minimalen Anteil daran, dass die Populationen zurück gehen.

Millionen von Vögeln fallen jedes Jahr Hauskatzen zum Opfer. Greifvögel werden täglich an Autobahnen, Bundesstraßen und Zugtrassen zu hunderten überfahren. Auf ca. 10 Millionen wird die Zahl der Opfer pro Jahr geschätzt. Und das sind noch nicht da mal die größten Gefahren für die heimischen Wildvögel. Die Gestaltung unserer Agrarlandschaft, große eintönige Äcker und der Flächen deckenden Einsatz von Pestiziden sowie die Vernichtung von Lebensräumen wie Mooren und Hecken haben einige einige heimische Arten derart reduziert, dass ihr Aussterben nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint.

Der Wolf und die Enerigiewende
Gesehen in Sachsen. An den Autoverkehr haben wir uns gewöhnt, von der Natur entwöhnt. Angebracht wären, würden wir der Ratio folgen,  solche analogen Warnhinweise vor dem Betreten des öffentlichen Verkehrsraums.

Der Wolf eröffnet uns eine Chance

Ob wir in Deutschland wieder lernen, mit dem Wolf zu leben? Eine Frage von hoher Symbolkraft. Über 100 Jahre sind wir ohne den Wolf ausgekommen. Jetzt tobt vielerorts der Streit über den richtigen Umgang. Über das Verschwinden der Rebhühner redet dagegen fast niemand. Abgesehen von einigen unverzagten Naturschützern interessiert das Rebhuhn nur wenige Menschen. Das Rebhuhn wird in aller Stille aussterben. Man kann von Glück sagen, dass der Wolf höhere Aufmerksamkeit erregt. Der Wolf eröffnet uns als Gesellschaft die Chance, unser Verhältnis zur Natur noch einmal zu hinterfragen und zu überdenken.

Am Wolf wird sich zeigen, ob wir überhaupt in der Lage sind, die zentrale Herausforderung anzunehmen. Und die heißt schlichtweg: Mit der Natur zu leben. Nicht gegen sie. Wolfsschutz und Energiewende sind nur zwei Kapitel in diesem großen, viele Seiten umfassenden Buch.

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  1. Dieminger

    vor 6 Jahren

    Ein guter Vergleich, wie ich finde. Dieser zeigt auch wie kostenintensiv es wird, wieder aufzubauen, was verloren gegangen ist. Je mehr wir von unserer Umwelt zerstören, desto teurer wird es auch werden, es wieder in Ordnung zu Bringen-sofern es dann überhaupt noch möglich ist. Wenn das letzte Wolfspaar ausgerottet ist, gibt es kein zurück mehr. Das sollte jeder vor Augen haben-auch in Bezug auf die Energiewende. Vielen Dank Herr Grass für Ihren Artikel!
    Mfg Dieminger

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