Biomethan aus Biogas: Das unterschätzte Potenzial für die Energiewende

Gastautor Portrait

Tatiana Demeusy

Senior Managerin Erneuerbare Gase, EnBW AG

Tatiana Demeusy ist Senior Managerin Grüne Gase im Bereich Wertschöpfungskette Gas der EnBW AG. Ihre Schwerpunkte sind die Bearbeitung energiewirtschaftlicher Fragestellungen und Positionierungen entlang der Wertschöpfungskette von erneuerbaren und kohlenstoffarmen Gasen sowie die Vertretung der EnBW AG in Fachausschüssen und Expertengruppen verschiedener nationaler und europäischer Verbände. Sie ist unter anderem langjähriges Mitglied des Company Advisory Boards des Europäischen Biogasverbands (EBA). Zuvor war sie Projektleiterin für Biomethaneinspeiseprojekte bei der EnBW Beteiligung Erdgas Südwest und hat mehrere Biogasaufbereitungsanlagen in Süddeutschland errichtet. Ihre heimliche Leidenschaft ist die Nachweisführung erneuerbarer Energien. Diese entwickelte sie weiter über ihre Mitarbeit in der europäischen Arbeitsgruppe zur Revision des EN-Standards für Herkunftsnachweise (EN 16325), wo sie die Unterarbeitsgruppe für Wärme- und Kälteherkunftsnachweise leitete. Tatiana studierte an der Hochschule Offenburg Verfahrenstechnik mit dem Schwerpunkt Biotechnologie und absolvierte berufsbegleitend ihr Betriebswirtschaftsstudium an der VWA Freiburg.

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07. Oktober 2025

Die Debatte um die deutsche Energiewende fokussiert sich oft auf Windkraft, Photovoltaik und den Hochlauf von Wasserstoff. Ein Energieträger, der bereits heute verfügbar, speicherbar und vielseitig einsetzbar ist, fristet dabei ein Schattendasein: Biogas und das daraus aufbereitete Biomethan. Obwohl Tausende von Anlagen in Deutschland existieren, scheint das Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft. Regulatorische Hürden, fehlende politische Planungssicherheit und fragwürdige Praktiken im europäischen Zertifikatehandel bremsen die Entwicklung.

Tatiana Demeusy ist eine der führenden Expertinnen für erneuerbare Gase in Deutschland. Als Ansprechpartnerin zu Biogas und Biomethan der EnBW befasst sie sich seit Jahren mit den energiewirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für Biomethan. Im Gespräch erläutert sie, warum der heimische Biogasausbau stagniert, welche Potenziale ungenutzt bleiben und wieso klare politische Weichenstellungen dringender denn je sind. Dieses Redaktionsinterview mit unserem Gast führte Melanie Peschel.

Biogas: Anlagen, Biomethan und Biogas Vermarktung in Deutschland

Frau Demeusy, welchen Stellenwert hat Biogas aktuell im deutschen Energiemix für die Wärmeversorgung, sowohl statistisch als auch in der politischen Wahrnehmung?

Statistisch gesehen hat Biogas inkl. Biomethan im Bereich der erneuerbaren Energien zur Wärmeversorgung einen sehr hohen Stellenwert, direkt nach fester Biomasse. Politisch ist die Wahrnehmung jedoch sehr durchwachsen. Ich glaube, vielen Politikern ist der grundsätzliche Wert von Biomasse als speicherbare erneuerbare Energie bewusst. Gleichzeitig wird stark in die Zukunft gedacht, wo Biomasse perspektivisch stofflich genutzt werden sollte, um fossile Energieträger zu ersetzen. Das führt dazu, dass die Hürden für die energetische Nutzung zur Wärmeversorgung heute sehr hoch sind.

Inwiefern äußern sich diese Hürden konkret?

Sie manifestieren sich in Gesetzen wie dem Gebäudeenergiegesetz oder in den Anforderungen für die Wärmeauskopplung bei Stromerzeugungsanlagen im EEG-Vergütungsregime. Dort sind die Anforderungen sehr hoch, was es für viele Projektentwickler aktuell unwirtschaftlich macht, auf Biomethan zur Wärmeversorgung zu setzen anstatt auf Erdgas.

Hat sich die Situation Biogas-Nutzung in den letzten Jahren verschärft?

Es war früher nicht so komplex. Ein gutes Beispiel: Wenn Sie Biomethan als Brennstoff in einer Blockheizkraftwerk-Anlage (BHKW) einsetzen, erhalten Sie nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eine Vergütung für nur 876 sogenannte Vollbenutzungsstunden im Jahr. Das bedeutet, Sie können die Anlage im Vollastbetrieb nur 10 % des Jahres betreiben. Das erfordert wiederum einen entsprechend großen Wärmespeicher und eine große BHKW-Anlage, die die meiste Zeit steht. Gleichzeitig ist die Anlage in der sogenannten „Direktvermarktung“ strompreisgeführt als auch wärmebedarfsgeführt zu betreiben, was sich nicht immer deckt Solche Nebenbedingungen machen es kompliziert und teuer. Das Regime für die Erdgasnutzung ist im Vergleich sehr viel einfacher und besser kalkulierbar. Die heutigen Einschränkungen sind zwar prinzipiell wichtig für Nachhaltigkeit und eine hohe Treibhausgasminderung, in diesem Fall empfinde ich es aber als eine Überregulierung.

Macht es nicht mehr Sinn, künftig stärker auf die Einspeisung von Biomethan zu setzen, um es den Endkunden mit Strom- und Wärmebedarf oder zur stofflichen Nutzung zu liefern, die die höchste Treibhausgasminderungswirkung erzielen?

Tatiana Demeusy

Was war die Intention des Gesetzgebers hinter einer solch strikten Begrenzung der Nutzung von Biomethan?

Die Intention der letzten Bundesregierung war, Biomethan nur noch in hochflexiblen Spitzenlastkraftwerken einzusetzen. Die Idee ist, diese speicherbare erneuerbare Energie nur dann zu nutzen, wenn ein Stromengpass herrscht, etwa bei einer Dunkelflaute ohne Wind- und PV-Strom. Das ist aber ein zu eng geschnürtes Korsett, wenn auch die Wärmenutzung sicherzustellen ist.

Das klingt, als würde das Potenzial von Biogas und Biomethan kleingehalten.

Ich glaube, es fehlt die ehrliche Diskussion über die wirklich nachhaltigen Potenziale. Wir haben in Deutschland knapp 10.000 Biogasanlagen. Der überwiegende Teil produziert Strom direkt vor Ort. Nur etwa 254 Anlagen bereiten das Biogas zu Biomethan auf und speisen es ins Gasnetz ein, wo es allen Erdgaskunden als erneuerbare Alternative zu Erdgas zur Verfügung steht. Ich stelle mir die Frage: Macht es nicht mehr Sinn, künftig stärker auf die Einspeisung von Biomethan zu setzen, um es den Endkunden mit Strom- und Wärmebedarf oder zur stofflichen Nutzung zu liefern, die die höchste Treibhausgasminderungswirkung erzielen? Stattdessen wird es oft vor Ort verstromt, vielleicht sogar zu Zeiten, in denen der Strompreis ohnehin im Keller ist, da der Ausbau eines Biogasspeichers vor Ort mit sehr hohem Aufwand und Kosten verbunden ist. Eine Biogasanlage ist nicht so flexibel wie das bestehende Gasnetz mit seinen Speichern als Infrastruktur.

Viele dieser Anlagen stehen zudem vor einer ungewissen Zukunft, so scheint es?

Genau. Nach 20 Jahren endet die Förderdauer nach dem EEG. Das ist bei rund 5.000 Biogasanlagen in den nächsten Jahren der Fall. Diese Betreiber müssen sich heute schon überlegen, wie sie weitermachen. Eine Option ist, weiterhin Strom zu produzieren und in die EEG-Anschlussförderung zu gehen, was aber mit hohen Investitionen und der bereits erwähnten Vermarktungsrisiken verbunden sein kann. Die andere Möglichkeit wäre, künftig Biomethan ins Gasnetz einzuspeisen. Meines Erachtens müssen wir hier jetzt in die Weiterentwicklung gehen und die Biomethanpotenziale in die Gasnetzinfrastrukturplanung einbeziehen, anstatt bei der Transformation der Gasnetze nur auf Stilllegung oder die Umstellung auf Wasserstoff zu setzen.

Meine Beobachtung ist, dass viele Kommunen bei der Wärmeplanung in den Stadtzentren auf den Ausbau von Nahwärme setzen, kurzfristig mit Erdgas und langfristig mit Wasserstoff.

Tatiana Demeusy

Gibt es im europäischen Ausland Beispiele, die zeigen, wie man Biomethan besser nutzen kann?

Andere Staaten haben das gut gemacht, zum Beispiel Frankreich. Dort hat man die Potenziale erfasst und die zuständige Behörde ist gemeinsam mit den Gasnetzbetreibern in die Planung der Biomassepotentiale für die künftige Biomethaneinspeisung gegangen. Man entwickelt dort gerade eine richtige Biomethan-Infrastruktur und Planungen zur Rückspeisung in die Transportnetzebene. Davon sind wir in Deutschland weit entfernt.

Sie sprechen die Notwendigkeit einer langfristigen Planung an. Wie steht es um die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland?

Hier blickt die ganze Branche mit großer Sorge auf den 1. Juni 2026. Eine zentrale Regelung, die Gasnetzzugangsverordnung, die bisher den Anschluss von Biomethananlagen an das Gasnetz geregelt hat, läuft Ende 2025 aus. Es gibt eine Übergangsregelung des Energiewirtschaftsgesetzes bis Juni 2026, jedoch fehlt es an einer langfristigen Nachfolgeregelung. Das bedeutet, es wird am Juli 2026 keinerlei Regelung mehr geben, wie Netzanschlussprüfungen, Zeitpläne und die Kostenteilung abzulaufen haben. Das betrifft das theoretische Potenzial von Tausenden Anlagen.

Welche Rolle spielt Biomethan in der aktuellen kommunalen Wärmeplanung?

Meine Beobachtung ist, dass viele Kommunen bei der Wärmeplanung in den Stadtzentren auf den Ausbau von Nahwärme setzen, kurzfristig mit Erdgas und langfristig mit Wasserstoff. Dabei ist oft unklar, wie schnell Wasserstoff überhaupt in diese Kommunen kommt. Ein großes, leider nur teilweise einbezogenes Potenzial ist Klärgas, was im Grunde Biogas ist. Gerade im ländlichen Raum, wo es bereits Bioenergiedörfer mit einer Grundversorgung durch Biogasanlagen gibt, wird die Nutzung von Biogas aber zunehmend geprüft.

Der Ausbau von Biomethan in Deutschland stagniert seit einigen Jahren, die Nachfrage aber steigt. Wie wird diese Lücke gefüllt, und welche Probleme ergeben sich daraus?

Die zunehmende Nachfrage wurde in den letzten Jahren insbesondere durch günstiges Biomethan aus dem Ausland befriedigt. Andere Staaten fördern teilweise die Produktion von Biomethan, rechnen sich die daraus produzierte erneuerbare Energie selbst an, weil sie es ja gefördert haben. Die Produzenten vermarkten die Zertifikate aber zusätzlich nach Deutschland, weil hier eine hohe Zahlungsbereitschaft in einem Markt besteht, in dem die heimische Produktion nicht gefördert wird. Diese günstigeren Zertifikate aus dem Ausland machen es den deutschen Erzeugern schwer und führen zur Stagnation des Ausbaus hierzulande. Hier steht der Vorwurf der Doppelzählung und Doppelvermarktung des Biomethans im Raum. Dieses Thema sollte dringend auf EU-Ebene klar geregelt werden, auch um ähnliche Fehler beim zukünftigen Wasserstoffmarkt zu vermeiden.

Abschließend sprachen Sie ein spezifisches Problem im Kraftstoffmarkt an, welches die Glaubwürdigkeit des Systems untergräbt. Können Sie das erläutern?

Es geht um den Markt für die sogenannte THG-Minderungsquote im Straßenverkehr, wo wir schon lange Biomethan als Biolraftstoff vermarkten. Um die ansteigende Nachfrage zu bedienen, hat unsere Konzerngesellschaft Erdgas Südwest in eine Anlage zur Verflüssigung von Biomethan zu Bio-LNG investiert. Was nun aber passiert, ist die Praxis der „virtuellen Verflüssigung“ an LNG-Terminals. Dabei wird fossiles LNG aus zum Beispiel Katar oder den USA importiert. Dann werden Zertifikate von Biomethan, das irgendwo ins europäische Gasnetz eingespeist wird, getauscht, und das fossile LNG wird durch diesen Zertifikatetausch als „Bio-LNG“ vermarktet, ohne dass je ein Molekül Biomethan dem Gasnetz entnommen und physisch verflüssigt wurde. Wir bewerten das als nicht vereinbar mit EU-Recht und dessen Anforderungen an die lückenlose Massenbilanzierung. Diese Praxis schädigt massiv denen, die wie wir in physische Anlagen investiert haben, und untergräbt die Glaubwürdigkeit des gesamten Zertifizierungssystems für erneuerbare Energien.

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